Haidhausen:"Ein schicksalhafter Eingriff in unser Viertel"

Die Aussicht auf den Baubeginn der zweiten Stammstrecke im Jahr 2018 stimmt die Haidhauser alles andere als froh. Vor dem Bahn-Infocontainer ballt sich Skepsis, eine Führung der Bürgerinitiative gerät zur Kundgebung

Von Johannes Korsche, Haidhausen

Ungemütlich und kalt zieht der Wind über den Weißenburger Platz, als der Info-Bauwagen der Deutschen Bahn zur zweiten S-Bahn-Stammstrecke dort Station macht. Der Himmel ist grau. So recht will das nicht zu dem eitlen Sonnenschein passen, den die Bahn-Mitarbeiter an diesem Nachmittag verbreiten wollen. Mit Tee und Keksen. Und den aktuellen Plänen zu den Baustellen, die auf die Menschen zukommen, wenn der Bau der zweiten Stammstrecke 2018 beginnt.

Allein in Haidhausen soll an vier Stellen über mehrere Jahre gebaut werden: am Orleans- und Haidenauplatz, Ecke Pütrichplatz/Milchstraße und in den Maximiliansanlagen. Die Transparenz-Initiative der Bahn soll Vertrauen schaffen. Zugleich übt die Bürgerinitiative "Haidhausen S-Bahn-Ausbau" (BI) mit denselben Informationen weiter den Protest. Die Stimmungslage unter den Haidhausern ist vor der außerordentlichen Bürgerversammlung am Mittwoch, 22. Februar, von 19 Uhr an im Hofbräukeller, durchaus kämpferisch.

Die Meinungen vor dem Info-Bauwagen am Donnerstag zeigen, dass Kathrin Kratzer von der Abteilung für Kommunikation der Bahn und ihre Kollegen noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. "Ich bin geschockt, dass die Entscheider von diesem Konzept überzeugt sind", sagt Claudia Ibler. Sie steht an einem der weißen Stehtische vor dem Bauwagen und hat soeben erfahren, was sie zuvor schon befürchtet hatte: Der zweite Tunnel wird in 35 bis 40 Metern Tiefe direkt unter ihrer Wohnung durch den Boden getrieben. Zwar sei ihr zugesichert worden, dass es zu keinen nennenswerten Erschütterungen kommen werde. So ganz beruhigen kann sie das aber nicht. Zudem will sie trotz der hohen Kosten - insgesamt sind 3,8 Milliarden Euro eingeplant - "kein nachhaltiges und zukunftsfähiges Konzept" erkennen.

"Wir spüren, dass viel Gesprächsbedarf da ist", sagt Kathrin Kratzer. Zehn Haidhauser stehen da gerade vor dem Bauwagen und lesen die Infotafeln. Viele Anwohner wollten wissen, inwieweit sie direkt betroffen sind. Ja, natürlich habe sie auch Skepsis erfahren, sagt Kratzer. Wichtig ist ihr, zu vermitteln, dass die Bauwagen-Tour nur "der erste Aufschlag vor Ort ist". Sobald es neue Planungsergebnisse gebe, werde sie wieder das Gespräch suchen, "zum Beispiel mit Nachbarschaftstreffs oder runden Tischen".

Ob das Andrea Baumgärtel umstimmen kann, ist unwahrscheinlich. Hat doch auch der Info-Bauwagen an ihrer Kritik nichts geändert. Sie interessiert sich besonders für den Rettungsschacht, der an der Ecke Pütrich-/Milchstraße entstehen soll. Ihr Fazit: "Da wurden die Begebenheiten vor Ort einfach nicht berücksichtigt." Die Mitarbeiter der Bahn hätten nichts gewusst von den Einbahnstraßen, den Tiefgaragen und den Kindertageseinrichtungen an der Milch- und der Kellerstraße. Oder vom Kinderspielplatz an der Kellerstraße. Immerhin den Abstand der Lärmschutzwand zu den Häusern habe man ihr sagen können: einen Meter. Das Gespräch sei zwar "sehr nett und ehrlich" gewesen. "Aber inhaltlich wurde ich leider bestätigt."

Zwei Tage später, Samstagmittag auf dem Orleansplatz. Die Wolken haben sich verzogen. Doch wieder scheint das Wetter ein Kontrast zur Veranstaltung zu sein. Denn der strahlend blaue Himmel will nicht so recht zu den verbalen Gewitterwolken passen, die Monika Naggl ins Mikrofon spricht. Etwa 75 Haidhauser haben sich zu einer Führung der BI rund um den Orleansplatz zusammengefunden. Die Baustellen, sie seien "ein schicksalhafter Eingriff in unser Viertel". Ein Kritikpunkt Naggls: Die mehr als 30 Kindertageseinrichtungen und Schulen in Haidhausen hätten bei den Planungen überhaupt keine Rolle gespielt. Alleine der Schulweg über den Orleansplatz werde für die Schüler erhebliche Probleme mit sich bringen, heißt es. Der Fußweg solle stellenweise auf einen Meter Breite schrumpfen. Wie eng es werden wird, zeigen beispielsweise die Wartehäuschen der Tramlinie 19 auf dem Orleansplatz. Die müssen wegen der Baustelle verschwinden. Ob das ohne Unfallgefahr funktionieren kann, wenn "um halb acht ganze Prozessionen von Schülern über den Platz müssen", bezweifelt Naggl. Zudem sei die in den vergangenen Jahren erfolgreiche Verkehrsberuhigung in Gefahr. "Es wird Mega-Staus durch den Baustellenverkehr geben", sagt das BI-Mitglied Regina von Schönberg.

Die Argumente gegen den Bau der zweiten Stammstrecke gehen den Aktivisten nicht aus. Vielleicht aber die Zeit. Noch bleiben der Bahn und der Bürgerinitiative eineinhalb Wochen bis zur Bürgerversammlung. Dann wird sich zeigen, welche Informationen überzeugt haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: