Grundschule im Münchner Westend:"Eine ganz normale Schule"

Grundschule im Münchner Westend: Hände hoch: Rektor Friedrich Fichtner inmitten seiner Schüler.

Hände hoch: Rektor Friedrich Fichtner inmitten seiner Schüler.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

In einer Grundschule im multikulturellen Münchner Westend sind 55 Prozent der Kinder Migranten, die Schüler stammen aus mehr als 40 verschiedenen Ländern. Damit repräsentiert sie die Zusammensetzung des Viertels - entspricht aber so gar nicht dem Klischee von der Brennpunktschule.

Von Jakob Dreher

Friedrich Fichtner ist ein großer und schlanker Mann. Die langen, grau-schwarzen Haare hängen ihm in den Nacken, an der Stirn weichen sie zurück. Ein Dreitagebart bedeckt die Gesichtszüge, die durchaus eine strenge Miene aufsetzen können. Aber im Umgang mit "seinen" Kindern blickt er meist freundlich durch die Brille. In der Grundschule an der Bergmannstraße ist Fichtner für 380 Schüler der "Herr Rektor".

Die Grundschule befindet sich in einem Haus, das fast 125 Jahre alt ist. Die Holztreppen sind abgewetzt von den vielen Kinderfüßen, die Tag für Tag zu ihren Klassenzimmern in den ersten und zweiten Stock steigen. Die Wände sind grau gestrichen, der Parkettboden hat sich dieser Farbe mit den Jahren angepasst. Trotzdem ist die Schule bunt, nicht nur wegen der Kinderbilder an den Wänden, sondern auch wegen der Zusammensetzung der Schüler. "Wir haben hier 55 Prozent Migrantenanteil, unsere Schüler stammen aus mehr als 40 verschiedenen Nationen", erklärt Fichtner. Bei solchen Zahlen denkt man unweigerlich an eine "Brennpunktschule". Diesen Stempel lässt sich der Rektor aber nicht aufdrücken. "Wir sind eine ganz normale Schule, mit normalen Kindern, die normale Eltern haben", stellt er bestimmt klar.

Fichtner ist erst seit diesem Schuljahr in der Bergmannstraße. Das fällt allerdings höchstens auf, wenn er an einer Gangtür zieht, die nur durch Drücken zu öffnen ist. Der Rektor ruft alle Schüler mit ihren Namen, und wenn er mit ihnen spricht, merkt man, dass sie ihm am Herzen liegen. Zum Beispiel der kleine Junge, der in der Pause vor dem Lehrerzimmer auf dem Boden sitzt. Fichtner geht vor ihm in die Hocke und fragt, was los ist. "Nichts", lügt der Junge mit einem verschämten Blick zur Seite. Er darf die Pause nicht im Hof verbringen, weil er etwas angestellt hat. Fichtner blickt ihm noch einen Moment lang in die Augen, nickt ihm dann zu und geht weiter.

Die Bergmannstraße liegt im Westend. "Unsere Schule ist schon etwas repräsentativ für dieses Viertel", findet der Rektor. Die Eltern vieler Kinder sind geschieden, die Mieten sind hoch, das Geld ist oft knapp. Nicht wenige sind gezwungen, mehrere Jobs parallel anzunehmen. Deshalb ist die Nachfrage nach Kinderbetreuung groß. "Die Eltern haben einfach wenig Zeit, mit ihren Kindern Hausaufgaben zu machen.

Es gibt Klassen, da gehen nur zwei von 23 Kindern nach dem Unterricht nach Hause, der Rest geht in einen Kinderhort", schildert Fichtner die Situation. Ein solcher Hort befindet sich auch in der Schule, Jahr für Jahr sponsert ihn eine Anwaltskanzlei mit 10.000 Euro. Damit wird 30 Kindern an vier Tagen in der Woche eine Stunde Hausaufgabenbetreuung durch einen Lehramtsstudenten ermöglicht.

"Alle hier tun ihr Bestes"

Ein Fach fordert Schüler wie Lehrer besonders: Deutsch. "Es ist klar, dass ein Kind, das zu Hause mit einer anderen Sprache aufwächst, sich mit Deutsch schwer tut", sagt der Rektor. "Für manche Elterngespräche brauchen wir Dolmetscher, wir haben schon mehrere Elternbriefe in zwei Sprachen ausgeteilt", erzählt Fichtner. Um den Kindern im Umgang mit Deutsch zu helfen, hat die Schule für die erste und zweite Jahrgangsstufe je eine Deutsch-Lerngruppe. Dafür stellt das staatliche Schulamt 22 Lehrerstunden zur Verfügung, nächstes Jahr werden es sogar noch mehr.

In der Deutsch-Lerngruppe werden Kinder aus einer Jahrgangsstufe zusammengefasst, die mit der deutschen Sprache Probleme haben. 13 ihrer 16 Stunden Grundunterricht - dazu zählen Mathematik, Deutsch, Heimat- und Sachunterricht, Kunst und Musik - lernen sie dann hier, in einer kleinen Gruppe. Die Lehrerin verfügt zusätzlich über die Ausbildung "Deutsch als Fremdsprache".

"Ich bin der Dompteur dieser Kinder"

Die Deutsch-Lerngruppen sind nicht alles, was die Schule zum Wohl ihrer Schüler im Programm hat. In der dritten und vierten Klasse gibt es einen Förderdeutschkurs, es gibt Zusatzangebote zur individuellen Förderung, und die Schule organisiert Veranstaltungen für ihre Schüler. Bei einer dieser Veranstaltungen steht Friedrich Fichtner vor rund 200 Kindern. Beinahe mühelos schafft er Ruhe, dann übergibt er an den eingeladenen Redner. "Man könnte sagen, ich bin der Dompteur dieser Kinder", sagt er und schmunzelt. Der Gast, Tim-Thilo Fellmer, erzählt den Kindern von seinem eigenen Kampf mit Lesen und Schreiben, er stellt eines der Kinderbücher vor, die er geschrieben hat, sowie die Internetseite legakids.net, die Kinder mit Spielen und Übungen das Lesen näherbringen will.

Die Schüler der Bergmannstraße haben jetzt wie alle bayerischen Schüler erst einmal sechs Wochen Ferien. "Den Kindern wünsche ich, dass sie ihre Freizeit sinnvoll und mit ihren Eltern nutzen", sagt Fichtner. Er selbst hat nicht so lange frei, aber das macht ihm nichts aus, er ist gerne in der Schule. "Alle hier tun ihr Bestes", sagt Fichtner. Damit meint er nicht nur die Lehrerkollegen, die Eltern und das Schulamt. Die Stadt kümmere sich um das ganze Viertel, betont er, zum Beispiel sei ein Bildungslokal eingerichtet.

Sicher gibt es noch viel zu tun, die Fenster der Schule sind alt, der Boden ist abgewetzt. Aber man merkt, Fichtner will nicht jammern, er blickt nach vorne, in die Zukunft seiner Schule und seiner Schüler. Er hat voraussichtlich noch sieben Jahre bis zur Rente, sieben Jahre, in denen er alles tun wird, um diese Zukunft positiv zu beeinflussen. Das sagt er natürlich nicht, aber er strahlt es aus.

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