Grünwald:Zu Gast beim Pionier der Bio-Gastronomie

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Der Alte Wirt in Grünwald war mit seinem Bio-Siegel 2006 noch ein Exot. Mittlerweile pflegt er auch andere Trends, von denen sich seine Branche gern mehr abschauen dürfte.

Von Johanna N. Hummel

Manche Trends machen sich selbständig, vor allem wenn dauernd darüber geredet wird, und zwar positiv. Immer mehr Wirte zum Beispiel kochen mit Zutaten aus der Region, sei es aus Liebe zur Umwelt oder aus Liebe zum Erfolg. Nun sind, jedenfalls was den Erfolg angeht, gastronomische Zukunftsforscher etwas anderer Meinung. "Regional", schreiben sie, sei "zu einem inflationär verwendeten Branding verkommen". Als werbeträchtige Marke empfehlen sie die Steigerung von "regional" auf "brutal lokal". Ob bayerische Wirte deshalb künftig zum Fisch statt Zitrone den Saft unreifer Trauben reichen, bleibt allerdings abzuwarten.

Der Alte Wirt am Grünwalder Marktplatz gehörte 2006 zu den Trendsettern. Damals erhielt das Gasthaus ein Bio-Zertifikat, auf bio und regional setzte es, eine Ausnahme in der Gegend. Die nette Sonderstellung ist dahin, halt "inflationär verkommen", was den Wirt Ulli Portenlänger nicht stört, er hält mit gewissem Pathos ("wir leben bio") an dem Konzept fest, auch als Vorbild sozusagen. Immerhin ist die Familie Portenlänger fast so etwas wie Grünwalder Adel, seit 250 Jahren lebt sie im Ort, seit bald hundert Jahren gehört ihr der Alte Wirt.

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Mit dem Bio-Zertifikat wurde das Gasthaus gründlich renoviert. Neben diversen Stuben gibt es ein Restaurant mit weiß gedeckten Tischen und Kassettendecke, das offenbar nur öffnet, wenn viel los ist. Man isst im großen Gastraum, bei dem Innenarchitekten zwar auf Zierrat und Bilder verzichteten, ihre Fantasie dennoch heftig schweifen ließen: Die Decke ist aus Holzstäben geflochten, um die geschwungene Bar stehen, zum Teil dicht an dicht, Holztische, die Tischplatten glänzen pflegeleicht.

In einer Ecke wurde eine Lounge mit Sofa und Ohrenbackensesseln aufgebaut, an anderer Stelle nüchterne lang gestreckte Tische mit Lattenbänken, deren hohe Rückenlehnen an Chorgestühl erinnern. Darüber hängt ein großer eiserner Reif mit Spots wie eine Art riesiger Heiligenschein.

Bayerisch mit mediterranen Einsprengseln wird gekocht, wobei man den Köchen durch eine Glastür auf die Finger schauen kann. Die kleine Standardkarte wechselt mit den Jahreszeiten, die Tageskarte wird auf eine Schiefertafel geschrieben. Nur auf ihr wird bisweilen Fisch angeboten, wir haben nie einen abbekommen. Die Weinkarte ist schön assortiert, bei den Offenen waren der Sauvignon blanc recht brav, Riesling und Merlot trocken und angenehm (das Viertel 5,50 bis 7,50). Das Bier kommt vom Lammsbräu und - einzige Ausnahme im Bio-Konzept - von der Augustiner-Brauerei (die Halbe Helles 3,50 und 4,20).

Brot wird behandelt wie Gold. Es kommt aus der Bio-Bäckerei im Haus und war gut, nur das glutenfreie pappte an den Zähnen. Ein Brotkorb aber wird nicht einfach auf den Tisch gestellt. Es gab ihn nur zu den Vorspeisen, zum Beispiel zu den Karotten-Türmchen mit Granatapfelkernen und viel zu viel Feta oder zu den feinen Auberginen-Röllchen mit Frischkäse (9,50 und 11). Die Gemüsesuppen würzt der Koch äußerst zurückhaltend, mild, sehr mild war die Kartoffelsuppe mit Steinpilzen, reichlich süß die von den Pastinaken (6,50 und 8). Für Vegetarier war auch bei den Hauptspeisen immer einiges dabei (Veganer müssen sich eher bescheiden), die duftige Lauchquiche jedenfalls überzeugte selbst die Fleischesser am Tisch (15).

Weil Bio in jeder Hinsicht kostbar ist und halb leer gegessene Teller Verschwendung sind, hat sich Ulli Portenlänger etwas Besonderes ausgedacht: Es werden keine XXL-Portionen aufgetragen, wer nach dem Hauptgericht noch hungrig ist, bekommt einen Nachschlag. Außerdem werden fast alle Essen auch als halbe Portion angeboten. Wir wurden immer ohne Nachschlag satt, obwohl das Fleisch Appetit nach mehr machte. Der Schweinsbraten ließ sich fast mit der Gabel zerteilen, so mürbe war er, die Kartoffelknödel dazu waren locker, die Dunkelbiersauce war wie aus dem Bilderbuch.

Warum der Koch sein Werk mit zwei winzigen Krustenstücken dekoriert hat, die alt schmeckten, bleibt sein Geheimnis. Die zarte gesottene Almochsenbrust kam mit Brühe und Wurzelgemüse auf den Tisch, mit Apfelkren und einem Kartoffelstampf mit sündig viel Butter, zum Auslöffeln gut. Die saftige Brust vom Landgockel ruhte auf einem feinen Riesling-Risotto mit glasierten Herbstrübchen. Und das Wiener Schnitzel hätte auch in Wien bestanden: Das Fleisch, nicht zu dick, nicht zu dünn, war umhüllt von einer schön welligen, knusprigen Panade. Nur das Viertel Ente wurde mit lascher Haut, reichlich salziger Sauce und pappsüßem Blaukraut serviert, aufgewärmt schmeckte es (14,50 bis 26).

Keine Formtiefs gab es bei den Desserts, wobei eines fast als Götterspeise durchgehen könnte: die Mousse von der Zartbitterschokolade, auf der Zunge zerfließend, herb und süß zugleich (9,50). Am Tisch schöpfte die Kellnerin sie aus einer Schüssel auf den Teller, mit sichtlichem Vergnügen. Heiter, schnell und präsent waren die Bedienungen. Aus verschiedenen Kulturen stammen sie, aus Bayern, Asien oder Afrika. Auch das gehört zum Konzept im Alten Wirt, ein Trend, der ruhig inflationär verkommen dürfte.

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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