Grünwald:Auf der Spur der Steine

Lesezeit: 3 min

Die Geologin Pamela Itzelsberger bringt Kindern an der Isar die Erdgeschichte näher. Eine Zeitreise mit Hammer und Pipette

Von Konstantin Kaip, Grünwald

Anna hat ihren Stein kurz in das Wasser gehalten, damit er nass wurde. Nun hält sie den Kiesel, der in etwa so groß ist wie ihre Kinderhand, mit ausgestrecktem Arm Pamela Itzelsberger entgegen. Die Geologin sieht ihn kurz an. "Das ist Gneis", sagt sie. Der habe sich aus Sand gebildet, als der Kontinent entstanden sei, stamme also noch aus einer Zeit des Erdteils Pangea, bevor es Europa und Afrika gab. "Du hast ein Stück vom Urkontinent in der Hand", sagt Itzelsberger zu dem Mädchen im FC-Bayern-Trikot. Annas Augen leuchten hinter ihrer Brille.

Es ist ein sehr heißer Augustfreitag auf einer Kiesbank an der Großhesseloher Brücke, auf die Pamela Itzelsberger neun Kinder und drei Mütter mitgenommen hat. Die 46-Jährige begutachtet routiniert die Steine, die sie ihr bringen: Dolomit, Kalkstein, Feuerstein. Sie hat ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, der hinter ihrem linken Ohr über ihre Schulter fällt. Dazu trägt sie ein T-Shirt mit Bambi-Aufdruck, Jeans-Hotpants und Turnschuhe. Das Glitzern der Isar verheißt Erfrischung, aber die Kinder haben anderes im Sinn. Sie bearbeiten die Kiesel konzentriert mit Hämmern, es klingt wie in einem Steinbruch. Sie tun das freiwillig und mit Hingabe, ans Baden denkt niemand. Vorhin, auf der Brücke, hat Itzelsberger gefragt, ob die Gruppe nicht lieber am Ufer im Schatten arbeiten wolle. Die Mütter haben stumm genickt. Aber Anna hat geantwortet: "Es geht nicht um den Schatten, es geht um die Steine."

Um Steine geht es auch in Itzelsbergers Leben. Schon als Kind hat sie Kiesel gesammelt. Ihre Mutter hat sie in große Gläser gefüllt und ihr prophezeit: "Du wirst mal was mit Steinen machen." So erzählt es Itzelsberger und lacht: "Erst in meinem zweiten Studienjahr habe ich gemerkt, dass sie Recht hatte." Die 46-Jährige aus Harlaching wollte eigentlich Restauratorin werden, da aber gerade kein Studienplatz frei war, hatte sie sich erst einmal für Mineralogie eingeschrieben. Und dann über Kommilitonen die Geologie kennengelernt.

Sie wurde Diplom-Geologin und arbeitet seit zirka 15 Jahren freiberuflich mit ihrer ehemaligen Studienfreundin Elisabeth Jobe zusammen: In der geologischen Staatssammlung an der Luisenstraße und im Alpinen Museum auf der Praterinsel geben sie Führungen und gestalten Einzelausstellungen. Hauptsächlich aber bieten sie Exkursionen an, bei denen sie Kindern die Erdgeschichte anhand von Steinen näher bringen. Etwa 60 Mal im Jahr, sagt Itzelsberger, seien sie auf einer Isarkiesel-Exkursion. Schulklassen begleiten sie immer zu zweit, kleinere Gruppen wie die der Nachbarschaftshilfe Grünwald an diesem Tag, führt Itzelsberger auch mal alleine. "Wir haben so etwas wie eine Nische geschaffen", sagt Itzelsberger. Und fügt hinzu, dass das zum Leben nicht reicht. Um zu überleben, sagt sei, arbeite sie zudem bei einem Grafik-Designer im Büro: "Aber nur, damit ich das hier machen kann."

Den Kindern zeigt Itzelsberger, was ihnen die Steine erzählen, wenn man sie genauer anschaut und untersucht: vom bayerischen Meer, das vor Hunderten Millionen Jahren am Äquator lag. Sie lässt die Kinder die Kiesel nach der Oberfläche sortieren - glatt, rau, und glatt-rau gemischt - und erklärt ihnen dann geduldig, was das über ihre Herkunft aussagt. Die rauen sind Feuersteine, so genannte Radiolarite, entstanden aus Skelettresten von Radiolaren, Kleinstlebewesen aus der Tiefsee. Die glatten Steine hingegen sind Kalksteine, entstanden aus Meeresschlamm flacherer Gewässer bis etwa 1000 Meter Tiefe. Im Bereich dazwischen, von zirka 1500 bis 3000 Meter Meerestiefe, vermischen sich beide Gesteinssorten. "Wenn es glitzert wie Zucker, dann heißt das tropisches Meer", sagt sie zu einem Buben, der ihr einen Dolomit entgegenhält.

Die Kinder und ihre Mütter lernen viel an diesem Vormittag. Dass die weißen Adern in den Steinen Kalzit-Kristalle sind, eine Art Kleber für die Risse in den Steinen, die entstehende Gebirge gebildet haben. Und dass man somit erkennt, dass die Steine aus den Bergen kommen. Pamela Itzelsberger verteilt Pipetten mit verdünnter Salzsäure, mit der die Kinder ihre Steine beträufeln. Schäumt es, enthält der Stein Kalk und ist im Wasser entstanden.

Im Hintergrund steigt eine Frau im Badeanzug aus der Isar, ohne die jungen Forscher zu beachten. Im Stadtbereich ist das seit der Renaturierung anders, erzählt Itzelsberger, die zahlreichen Badegäste fühlten sich vom Steineklopfen gestört. Deshalb gehe sie dort am Wochenende nicht mehr auf Exkursion. Einige hätten sich auch beschwert, dass die Kinder mit ihren Hämmern die Natur zerstören. "Ich erkläre dann: Steine zerkleinern, das macht die Isar jeden Tag."

Durch die Renaturierung habe der Fluss wieder angefangen, zu mäandern und Kiesel aufzuschütten, sagt Itzelsberger. Ob es stimmt, dass für die Umgestaltung der Isar Steine angekarrt wurden, will eine Mutter wissen. 2005 seien große Steine aus der Schwäbischen Alb in das Flussbett gesetzt worden, erzählt Itzelsberger - Solnhofener Plattenkalk mit Ammoniten. Die aber hätte der Fluss bald weggespült. Die Kinder fänden nun häufig ihre für die Region untypischen Trümmer: "Die sind zu Isarkieseln geworden."

© SZ vom 27.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: