Großraum München:Warum Neonazis auffallend aktiv sind

Großraum München: Rechtsextreme Aktionen und Gewalttaten nehmen zu im Großraum München.

Rechtsextreme Aktionen und Gewalttaten nehmen zu im Großraum München.

(Foto: dpa, Bearbeitung: SZ)
  • In München und Umland kommt es immer häufiger zu rechtsextremen Taten: Fremdenfeindliche Aufkleber, Hass-Kommentare im Netz und Schmierereien.
  • Der Überfall auf einen Döner-Imbiss am S-Bahnhof Ebersberg sprengte jedoch die bisherige Dimension.
  • Das Münchner Rathaus warnt, dass die Rechtsextremen sich im Aufwind sähen.

Von Martin Bernstein, Isabel Meixner und Susi Wimmer

Es ist eine ganz normale Woche. Unter die 250 Pegida-Anhänger, die am Montagabend durch München marschieren, mischt sich wie üblich eine gute Handvoll polizeibekannter Rechtsradikaler. Der Fachstelle gegen Rechtsextremismus im Rathaus wird von fremdenfeindlichen Aufklebern in der Stadt berichtet. Auf einer neuen Münchner Facebookseite werden Nazi-Gegner in Wort und Bild buchstäblich zum Abschuss freigegeben. In Erding und Penzberg werden Moscheen und Flüchtlingsunterkünfte beschmiert.

Nur das, was sich vergangenen Freitag am Ebersberger Bahnhof ereignet hat, sprengt alles, was Ermittler und Rechtsextremismus-Experten in München und der Region in den vergangenen Jahren erlebt haben: Eine achtköpfige Bande überfällt, bewaffnet mit Messer, Knüppeln und Hämmern, den Dönerimbiss eines 41-jährigen Afghanen am Ebersberger Bahnhof. Ein Besucher wird krankenhausreif geprügelt, ein weiterer durch einen Messerstich verletzt.

Ewald Schurer, SPD, MdB aus Erding/Ebersberg

"Von vereinzelten Taten und Tätern kann nicht mehr geredet werden, sondern von einem Netzwerk rechtsradikaler und neonazistischer Organisationsformen."

Für Menschen, die täglich mit dem ganz normalen Rechtsextremismus zu tun haben wie die Leiterin der Fachstelle im Münchner Rathaus, Miriam Heigl, ist nicht zu übersehen: Die Rechtsextremisten in Stadt und Umland wittern Morgenluft. Die Pegida-Kundgebungen, die Flüchtlingsdebatte, der NSU-Prozess in München - das sind Aufhänger für die "Daueragitation" der Rechten, wie Heigl das nennt. Sie sagt: "Natürlich merkt das eine Stadt."

Doppelt so viele Gewaltdelikte von Rechtsextremen wie letztes Jahr

Merkt das eine Stadt? Sie könnte es zum Beispiel an den Einträgen in der Polizeistatistik merken. "Etwas gestiegen" sei die Zahl politisch rechts motivierter Delikte, sagt Andreas Hundseder. Der Leiter des für Rechtsextremismus zuständigen Kommissariats 44 im Münchner Polizeipräsidium bestätigt: Im ersten Halbjahr 2014 gab es in Stadt und Landkreis sechs Gewaltdelikte von Rechtsextremen - heuer waren es im gleichen Zeitraum doppelt so viele.

Das müsse aber noch nichts heißen: 24 solcher Straftaten waren es am Jahresende 2014. Das werde sich heuer wohl die Waage halten, glaubt Hundseder. Jedenfalls gebe es in München seit dem Ende der Kameradschaft München und ihres sogenannten "Braunen Hauses" in Obermenzing keine Szene mehr. Dass in Markt Schwaben, wie Robert Andreasch von der antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (Aida) sagt, eine Wohngemeinschaft von Münchner Nazis existiert, ist neu für Hundseder.

Im Münchner Osten gebe es "eine organisierte rechtsextreme Szene", bestätigt auch Miriam Heigl. So weit will Markus Schäfert vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz nicht gehen. Im Ebersberger Bereich gebe es aktuell keine ausgeprägten rechtsextremistischen Strukturen. Er sagt aber auch: "Es sind uns jedoch Einzelpersonen bekannt, die der rechtsextremistischen Szene zurechenbar sind und sich in Richtung der Münchner Szene orientieren." Unter ihnen sei auch ein führender Aktivist der rechtsextremistischen Partei "Der Dritte Weg".

Ebersberg wird das Innenministerium beschäftigen

Dieselbe Einschätzung der Lage, sogar im Wortlaut, ist aus dem Bayerischen Innenministerium zu hören. Und Für Ludwig Schierghofer, Abteilungsleiter Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung am Bayerischen Landeskriminalamt (LKA), ist der Ebersberger Bereich zwar bislang kein Brennpunkt von rechtsextremen Umtrieben gewesen. "Aber nach diesem Angriff werden wir uns das näher anschauen. Da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen."

Die Szene habe Selbstbewusstsein gewonnen, stellt Miriam Heigl fest. Und gerade die vermeintliche Normalisierung sei ein wichtiger Bestandteil der rechtsextremen Strategie. Hier eine Kundgebung, da ein paar Aufkleber, dort eine Schmiererei, Daueragitation im Internet - der allmähliche Gewöhnungseffekt sei das Kalkül der Rechten. Schierghofer sagt: "Mit Blick auf die ankommenden Flüchtlinge versuchen sie, auch bei moderateren Leuten Ängste zu schüren." Bekannte Extremisten postierten sich etwa am Hauptbahnhof und verteilten Flyer, als zahlreiche Münchner die Flüchtlinge willkommen hießen.

Eine Gruppe reiste auch nach Rosenheim, wo am Bahnhof Asylbewerber ausstiegen, um auch dort Zettel und Aufkleber anzubringen. Den Rechtsextremisten standen aber Hunderte Bürger gegenüber, die dem braunen Spuk entgegentraten. Auch vor Erstaufnahmeeinrichtungen tauchen die Nazis auf. Entsprechend, sagt Schierghofer, sei bayernweit die Zahl politisch motivierter Kriminalität bei den Rechtsextremisten angestiegen. Vom 1. Januar bis 15. September verzeichnete man 1231 Anzeigen, im Vergleichszeitraum 2014 waren es noch 1063. Auch die Gewaltbereitschaft nimmt zu: 56 Fälle registrierte man bayernweit in diesem Jahr, im Vorjahr waren es 44.

Rechte wollen andere animieren

Ein zweites Kalkül der Rechten ist das Hoffen auf Nachahmungstäter. "Die hohe Zahl rechtsextremistischer Aktionen und Veröffentlichungen im Themenfeld Anti-Asyl ist dazu geeignet, die ausländerfeindliche Stimmung in der rechtsextremistischen Szene weiter anzuheizen", analysiert Verfassungsschützer Schäfert. Radikalisierte und gewaltbereite Personen könnten sich dadurch animiert fühlen - auch solche, die "bislang nicht strukturell in der rechtsextremistischen Szene verankert waren, aber deren Gedankengut teilen" - wie offenbar die Ebersberger Angreifer.

Den Ermittlern macht das die Arbeit nicht leichter. Vielleicht, vermutet Robert Andreasch, weil sie nach etwas suchen, was es im rechten Spektrum kaum gibt: feste organisatorische Strukturen. Der Brandanschlag auf die Pasinger Moschee im Juni? Keine Hinweise, sagt Ermittler Hundseder. Man ermittle weiter "in alle Richtungen", wie das dann heißt. Der Anschlag auf die Ausstellung "Jüdisches Leben" auf dem Jakobsplatz kurz danach? Keine Hinweise. Die Hakenkreuzschmierereien am Haus der Kunst im September? Da gebe es eine Spur, sagt der Kriminalbeamte. Aber ob sie nach rechts führt . . . Auch bei den Schmierereien, die in Grafing-Bahnhof einen Deportationszug, Menschen am Galgen und Hakenkreuze zeigten, gibt es keine Hinweise, auch hier ist aus Ermittlerkreisen zu hören: Es könnten ja auch Linksextremisten gewesen sein.

Immerhin: Vier Tage nach dem Ebersberger Überfall wurden vier Wohnungen durchsucht. Das LKA schaltete sich ein. Ermittelt wird inzwischen wegen der Bildung einer bewaffneten Gruppe. Und das ist tatsächlich keine Normalität.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: