Großprojekt in der Altstadt:Siemens wächst über sich hinaus

Großprojekt in der Altstadt: Höher, als Kurfürst Maximilian I. erlaubt: Der Neubau überragt längst die historischen Palais rund um das Reiterstandbild.

Höher, als Kurfürst Maximilian I. erlaubt: Der Neubau überragt längst die historischen Palais rund um das Reiterstandbild.

(Foto: Robert Haas)
  • Aus Gründen des Denkmalschutzes und der Stadtbildverträglichkeit darf die neue Siemens-Zentrale nicht vom Wittelsbacherplatz und Odeonsplatz aus sichtbar sein.
  • Das Obergeschoss ist von bestimmten Punkten des Wittelsbacherplatzes aus aber sehr wohl zu sehen.
  • Stadtheimatpfleger Gert Goergens zeigt sich überrascht, wie stark bei Siemens nun das Obergeschoss ins Blickfeld rückt: Es werde in der Realität nicht eingelöst, was man erwartet habe.
  • Siemens weist jegliche Vorwürfe, unberechtigt von ursprünglichen Planungen abgewichen zu sein, zurück.

Von Nina Bovensiepen und Alfred Dürr

Der Neubau der Siemens-Zentrale am Wittelsbacherplatz galt bisher als mustergültig, sowohl bei der Kosten- und Zeitplanung, wie auch in Sachen Bürgerbeteiligung und Transparenz. Doch je höher der künftige Hauptsitz des Dax-Konzerns gebaut wird, umso mehr zeigt sich, dass es mit der Transparenz doch nicht so weit her ist. Denn Siemens wächst im wahrsten Sinne des Wortes zu sehr über sich hinaus: Der Neubau nach einem Entwurf des dänischen Büros Henning Larsen Architects ragt inzwischen über das denkmalgeschützte Ensemble des Platzes - obwohl die Stadt ausdrücklich gefordert hatte, dass der Blick auf die historischen Gebäude nicht gestört werden darf. Jetzt beschweren sich Nachbarn. Der Tenor: Siemens werde von der Stadt mehr erlaubt als anderen.

Wer die einst mit Denkmalschützern und dem Stadtheimatpfleger erarbeiteten Bedingungen betrachtet, unter denen das Projekt ausgelobt wurde, stellt tatsächlich erhebliche Diskrepanzen zwischen den Vorgaben und dem realen Bauwerk fest. Konkret geht es um die Verträglichkeit mit dem historisch gewachsenen Stadtbild, in das sich die neue Siemens-Zentrale einfügen muss. Dazu hieß es in der Auslobung für den Architektenwettbewerb ganz klar, dass aus Gründen des Denkmalschutzes und der Stadtbildverträglichkeit höhere Gebäudeteile "nicht vom Wittelsbacherplatz und Odeonsplatz sowie von der Altstadt aus sichtbar sein" dürften.

Das sieht nun völlig anders aus: Das Obergeschoss der neuen Zentrale ist von bestimmten Punkten des Wittelsbacherplatzes aus sehr wohl zu sehen. Darüber kann auch jene Simulation nicht hinwegtäuschen, die vor der verhängten Fassade des Palais Ludwig Ferdinand hängt. Dort wird der Eindruck erweckt, der Neubau werde die bestehenden Gebäude nicht überragen. Auch auf der Internet-Seite der Stadt, mit der über das Vorhaben informiert wird, ist diese Simulation zu sehen. Das erinnert an die Situation im Jahr 2001. Damals fiel dem Stadtrat plötzlich auf, dass die Highlight Towers in Schwabing in der bedeutsamen Sichtachse vom Odeonsplatz über das Siegestor emporgewachsen waren - und keiner wollte das bemerkt haben.

Großprojekt in der Altstadt: So hatte es die Simulation vorgesehen: Die Konzernzentrale sollte nur zwischen den bestehenden Gebäuden hervorscheinen.

So hatte es die Simulation vorgesehen: Die Konzernzentrale sollte nur zwischen den bestehenden Gebäuden hervorscheinen.

(Foto: Siemens)

Am Wittelsbacherplatz beobachten die Anlieger den Siemens-Neubau dagegen ganz genau. Im Januar wandten sich Nachbarn mit einem Brief an Stadtbaurätin Elisabeth Merk, in dem sie auf die Höhe der Bauten aufmerksam machten. Zunächst erhielten sie mehrere Wochen gar keine Antwort. Erst auf ein zweites Schreiben kam eine Erwiderung - in der aber nur stand, dass für eine inhaltlich fundierte Antwort noch nicht alle Informationen zusammengetragen seien.

Stadtheimatpfleger Gert Goergens zeigt sich überrascht, wie stark bei Siemens nun das moderne Obergeschoss ins Blickfeld des baulichen Kontextes rückt: Es werde in der Realität nicht eingelöst, was man erwartet habe. Ähnlich äußert sich auch der oberste bayerische Denkmalpfleger Generalkonservator Mathias Pfeil. Beide halten sich allerdings mit Kritik zurück. Es sei zu prüfen, ob die Darstellungen, die man zur Verfügung gehabt habe, mit der Realität übereinstimmten.

Der Konzern weist jegliche Vorwürfe, unberechtigt von ursprünglichen Planungen abgewichen zu sein, zurück. Siemens bewege sich innerhalb der Vorgaben des Bebauungsplans, so eine Sprecherin. Wenn das stimmt, hat sich zwischen den Bedingungen der Auslobung und den Bauvorgaben einiges stark verändert, ohne dass das öffentlich bekannt gemacht worden wäre.

1200 Mitarbeiter

sollen von 2016 an im Siemens-Hauptquartier Platz finden. Die Kosten für die neue Zentrale liegen nach Unternehmensangaben im niedrigen dreistelligen Millionenbereich. Die Fläche des gesamten Bauareals entspricht 1,5 Fußballfeldern. Der höchste Kran, der eingesetzt wird, ist so hoch wie die Kuppel der Theatinerkirche.

Stadtbaurätin Merk will aber nicht von einer Überraschung sprechen: "Es war immer klar, man wird diese Zentrale sehen." Einen störenden Einfluss auf das historische Gefüge hat das aus ihrer Sicht nicht. Das passt zum politischen Tonfall, der das Projekt begleitet. Die künftige Siemens-Zentrale sei ein gutes Beispiel dafür, wie ein "solches anspruchsvolles Bauvorhaben harmonisch in das Altstadtensemble eingebettet werden könne", lobte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ausdrücklich beim Richtfest im September 2014.

Die Stadt hat immer größten Wert darauf gelegt, dass Siemens im Herzen Münchens bleibt. Das Unternehmen gehört zu den wichtigsten Gewerbesteuerzahlern, und zudem ist es ein Signal, wenn ein Weltkonzern der Heimat treu bleibt. Das provoziert bei den Anliegern die Frage, ob und wie viel Entgegenkommen der Konzern dafür erfährt. Ist die Stadt hier womöglich großzügiger als bei anderen Verfahren? Und welchen Preis hat das? Fest steht, dass Siemens ein deutlich höheres Baurecht mit einem Dachgeschoss mehr eingeräumt wurde.

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