Grizzly Bear in Dachau:Schwelgen im Schwurbelpop

Dachauer Musiksommer Grizzly Bear

Grizzly Bear auf der Bühne in Dachau

(Foto: oh)

Sie klingen nach Indie und Folk, sie schaffen Soundlandschaften und spielen entspannte Jam-Sessions: Die amerikanische Band Grizzly Bear verwandelt das Publikum beim Dachauer Musiksommer in ein Heer wippender Wollmützen.

Von Ingrid Fuchs

Wie fühlt es sich wohl an, von einem Bären umarmt zu werden? Einem freundlichen Bären sei hier angemerkt, etwa wie es ihn in der Kindheit gab; flauschig-zerzaust, mit treuen Knopfaugen und ausgebreiteten Armen. Kuschelig, wohlig und warm. Bei der Band Grizzly Bear ist es auf gewisse Weise ähnlich.

Vier amerikanische Musiker, Vertreter des Indie-Rock, Meister des Schwurbelpop, Bären. Sie betören mit vielstimmigen und vielschichtigem Gesang. Für ihr jüngstes Album "Shields" haben sie neben Gitarren, Bass und Schlagzeug auch Synthesizer, Saxofon, Klarinetten und Drumcomputer verwendet - und damit höchst unterschiedliche Songs geschaffen. Damit gelingt es Grizzly Bear fast mühelos, das Publikum zu fesseln. Sogar unter widrigen Umständen, wie sie am Mittwochabend beim Dachauer Musiksommer herrschten.

Wer sich nicht schon tagsüber von den ständigen Regenschauern abschrecken ließ, abends dafür in mehrere Kleiderschichten schlüpfte - manche Besucher hatten nach eigener Aussage gar die lange Unterhose aus dem Schrank geholt, aus Angst vorm Erfrieren - den Weg nach Dachau also auf sich nahm, der wurde belohnt: Um kurz nach acht Uhr öffnete sich der dicht behangene Wolkenhimmel, Lichtstrahlen durchbrachen die graue Tristesse - fast zeitgleich begann Grizzly Bear.

Vier-Mann-Demokratie

Die Band funktioniert wie eine eigenständige Demokratie. Beim Schreiben und Komponieren der Songs von "Shields" haben sich die vier diesmal extra viel Zeit genommen. Zum ersten Mal gingen Gitarrist Daniel Rossen und Ed Droste die zehn Stücke gemeinsam an, komplettiert und abgerundet wurden sie dann durch Schlagzeuger Chris Bear und Bassist (auch: Saxophonist, Klarinettist, usw.) Chris Taylor. Heraus kommen Songs, denen die Einflüsse der einzelnen Musiker anzuhören sind, die gleichwohl nach Grizzly Bear klingen. Vergangenes Jahr ist "Shields" dann erschienen, drei Jahre nach dem großartigen Album Veckatimest. Die Zeit wurde von den Musikern für die Solokarriere, Projekte mit anderen Bands oder, wie bei Sänger Ed Droste, für die eigene Hochzeit genutzt.

Das demokratische Wesen der Band zeigt sich auch auf der Bühne: Die Musiker stehen in einer Reihe, Bassist neben Gitarrist neben Sänger neben Schlagzeuger. Dem Klang hat es nicht geschadet, auch wenn darüber diskutiert wurde, ob denn etwa das Schlagzeug zu laut gewesen sei.

Der Atmosphäre in Dachau konnten weder Wollmützen noch Wanderstiefel etwas anhaben. Bis die dezente Bühnendeko - schlichte Laternen im Hintergrund der Band - ihre Wirkung entfalten konnten, dauerte es leider eine ganze Weile, erst war es schlicht zu hell, dann, um exakt 21.21 Uhr, sorgten Straßenlaternen für ungewollte Festbeleuchtung, doch auch das schien die mehr als 1000 Besucher kaum zu stören. Zu übermächtig die Musik. Zu andächtig die Stimmung. Zu ungewöhnlich der Anblick des großen Rathauses hinter der Bühne und der hoch aufragenden Gnadenkirche im Rücken des Publikums. Selbst jene, die nicht eigens nach Dachau getingelt waren, schien der kleine Platz in ihren Bann zu schlagen.

Und jetzt? Antworten bleiben aus

Zurück zu den Grizzlybären, deren Name übrigens reines Zufallsprodukt ist: Die Band begann als kleines Experiment von Sänger Droste, der es angeblich zum Spaß nach dem Spitznamen eines seiner Ex-Freunde bezeichnete. Dabei blieb es auch. Wer der Mischung aus Indie und Folk, spacigen Soundlandschaften und entspannter Jam-Session lauscht, muss fast andächtig die Augen schließen, mitwippen, schwelgen.

Was bleibt, sind neben all dem Wohlgefühl am Ende aber auch ein paar offene Fragen, aufgeworfen von Grizzly Bear selbst. "What now? What now? What now?"- fragen die Musiker in ihrem Song Colorado vom Album Yellow House (2006). Eine Antwort bleibt aus. Und in einem ihrer bekanntesten Songs, "Two Weeks" vom 2009er Album Veckatimest, heißt es "Would you always? Maybe sometimes? Make it easy?". Statt einer Antwort gibt es hier vielmehr eine Ansage: "Take your time" und: "I told you I would stay".

Das Publikum in Dachau ist auch geblieben, bis zur Zugabe: dem minutenlangen Stück "Sun In Your Eyes", in dem Grizzly Bear auf wundersame Weise vorführt, wie viel sich in einem Song vereinen lässt. Wie sich das anfühlt? Kuschelig, wohlig und ein wenig nachdenklich.

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