Grenzwert überschritten:Ganz dicke Luft

Die Belastung mit Stickstoffdioxid gilt als besonders problematisch, der Verein Green City lässt sie erstmals im großen Stil messen. Zwar gibt es Zweifel an Details der Aktion, aber das Ergebnis ist alarmierend: Nirgendwo in München gibt es gute Werte

Von Andreas Schubert

Die beiden Männer in Schutzanzügen und mit Atemmaske ziehen mitten in der Stadt natürlich die Blicke auf sich. Sie stehen an der Corneliusstraße vor der Glockenbachwerkstatt und posieren für Fotografen, in der Hand halten sie große Schilder mit der Aufschrift NO₂. Es ist ein Fototermin, mit dem die Umweltorganisation Green City gegen die Luftverschmutzung protestiert. Zwar schauen die beiden verkleideten Green-City-Mitarbeiter eher aus, als sei gerade in der Nähe ein Atomkraftwerk hochgegangen. Aber so ist das eben: Wer Aufmerksamkeit erregen will, muss es manchmal auch ein bisschen übertreiben. Schließlich geht es bei der Aktion um ein hohes Gut - die Luft in der Stadt. Und die ist nach neuesten Messungen der Ludwig-Bölkow-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Umweltorganisation Green City alles andere als sauber - nicht nur an Münchner Hauptverkehrsadern, sondern auch in Wohngebieten.

Fünf offizielle Messpunkte für Stickstoffdioxid (NO₂) gibt es in München: An der Landshuter Allee, am Stachus, an der Lothstraße, in Allach und in Johanneskirchen. Die Bölkow-Stiftung hat nun erstmals flächendeckend die Luft untersucht und an 50 Stellen in der Stadt gemessen. Das Ergebnis ist alarmierend: An 15 Punkten wurde der zulässige Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel überschritten. Darunter waren viel befahrene Routen wie die Einstein- oder die Schleißheimer Straße, der Mittlere Ring und der Altstadtring, aber auch reine Wohnquartiere. Eine Übersichtskarte ist im Internet unter greencity.de/nox-messungen-muenchen zu finden.

Grenzwert überschritten: Mitglieder von Green City protestieren gegen die Belastung mit Abgasen an der Corneliusstraße. Zu lange sollte man hier aber nicht stehen.

Mitglieder von Green City protestieren gegen die Belastung mit Abgasen an der Corneliusstraße. Zu lange sollte man hier aber nicht stehen.

(Foto: Catherina Hess)

Auch die Kreuzung Blumen- und Corneliusstraße, wo die weißen Männchen mit ihren Masken stehen, ist dabei. In der Zeit, in der sie (vermutlich sehr besorgt, aber man sieht es hinter den Masken nicht) in die Kameras schauen, schiebt sich ein gutes Dutzend großer Lastwagen vorbei - Diesel, versteht sich. Dazu kommt natürlich noch eine Menge anderer Autos. Wer also länger an dieser Kreuzung steht, wundert sich nicht, dass hier etwas gewaltig stinkt. Und deshalb hat Green City das Trottoir, wo selten freiwillig jemand einfach so länger mal herumstehen würde, mit Sprühkreide markiert: "Luft ist gesund. Hier nicht", steht auf den Gehwegplatten in Großbuchstaben - so lange, bis der nächste Regenguss den Schriftzug wieder wegspült.

40 Mikrogramm ist ein Haufen Gift. Am Stachus sind es sogar im Jahresschnitt 56 Mikrogramm. Und wer einen Balkon zur Landshuter Allee (76 Mikrogramm) raus hat, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm die Geranien eingehen. Doch die Umweltschützer finden nicht nur die teilweise sehr deutliche Überschreitung der Grenzwerte bedenklich, sondern auch die Tatsache, dass an keinem einzigen Punkt im Stadtgebiet die Marke von 20 Mikrogramm unterschritten wurde. Das ist der Wert, den die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt. Um den NO₂-Gehalt zu erfassen haben die Tester sogenannte Passivsammler an Straßenrändern, Gartenzäunen, Bäumen, Innenhöfen und Balkons privater Grundstücke angebracht, sodass nicht alle Messpunkte direkt am Straßenrand lagen.

NO₂-Belastung

An 50 Punkten wurde die Belastung mit Stickstoffdioxid gemessen, an diesen Straßen liegt sie über dem Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter:

Blumenstraße (45,4)

Brudermühlstraße (44,0)

Chiemgaustraße (50,3)

Dachauer Straße (40,2)

Dülferstraße (40,7)

Einsteinstraße (46,8)

Emil-Riedel-Straße (57,8)

Verdistraße (40,4)

Landshuter Allee (63,5)

Leonrodstraße (40,5)

Maximilianstraße (45,7)

Oettingenstraße (44,4)

Radlkoferstraße (40,1)

Schleißheimer Straße (41,8)

Tegernseer Landstraße (61,7)

Passivsammler sind mit einer Trägersubstanz gefüllte Behälter, in denen sich Schadstoffe anreichern. Aus der gesammelten Menge wird dann ein Mittelwert über den Zeitraum des Messung errechnet. Die meisten Messpunkte lagen in 1,5 bis vier Metern Höhe, einige der Behälter waren an der Gebäudefront - am Außenrand von Balkonen oder unterhalb von Fensteröffnungen - in bis zu 15 Metern Höhe angebracht. Die Erkenntnis: Auch weit über der Straße herrschten überhöhte NO₂-Konzentrationen. Und obwohl zwischen September und Dezember nur jeweils ein bis zwei Monate gemessen wurde, dürfte der Wert nur etwa zehn Prozent vom Jahresmittelwert abweichen, schätzt der Physiker Werner Zittel von der Ludwig-Bölkow-Stiftung.

Alexandra De Aguinaga vom Heidelberger Institut für Umweltforschung, das vergangenes Jahr in zwölf Großstädten die NO₂-Werte ermittelt hat (Ergebnisse auf greenpeace.de), meint dagegen auf Nachfrage, es seien auch höhere Abweichungen möglich. Aber zur Orientierung reichten die am Freitag vorgestellten Messungen aus.

Schon die Heidelberger Forscher gingen davon aus, dass das Stickstoffdioxid-Problem ein stadtweites ist. Und auch Physiker Zittel schließt aus seinen Ergebnissen, dass nahezu in der gesamten Innenstadt der gesundheitsrelevante Schwellenwert überschritten wird. Zittel räumt freilich ein, dass die Messung mit einem Passivsammler keineswegs so genau ist, wie die an den offiziellen Stellen. Dort zeichnen bis zu 30 000 Euro teure Apparaturen die Schadstoffbelastung auf. Die von Green City verwendeten Behälter kosten gerade einmal zirka 20 Euro. So lässt sich etwa nicht nachweisen, zu welchen Tageszeiten besonders viele Abgase in die Luft geblasen werden.

NO₂ kommt überwiegend in Dieselabgasen vor und ist der giftigste Stoff, den ein Auto absondert. Es kann Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen auslösen. Wie andere Verbände auch sieht Green City deshalb nur in der Reduzierung des Autoverkehrs eine Lösung des Problems. "Der Politik fehlt dazu der Mut", sagt Martin Glöckner, Geschäftsführer der Umweltorganisation. Punktuelle Maßnahmen wie vorübergehende Tempolimits könnten an der Problematik allerdings kaum etwas ändern. Gefragt seien umfassende Lösungen. Dazu gehörten der Ausbau des Rad-, Fußgänger- und öffentlichen Nahverkehrs. Mehr Grün in der Stadt und barrierefreie Wege könnten wieder mehr zum Flanieren anregen; breitere Radwege und Rad-Schnellrouten, auf denen auch Lastenräder und Pedelecs gefahrlos unterwegs sein können, würden die Leute zum Radeln animieren. Und auch Green City schlägt vor, die Autostellplätze in der Stadt zu reduzieren, alleine innerhalb des Mittleren Rings, sagt Glöckner, seien 120 Hektar Fläche zugeparkt.

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