Grantler-Kolumne von der Wiesn:Ja, sind wir denn im Fasching?

Japaner, Australier und Preißn kaufen die Trachtengeschäfte der Stadt leer, um auf dem Oktoberfest für einen Abend den ausgeflippten Bayern zu markieren. Dem echten Münchner stinkt das gewaltig!

Alois Bierbichl

Alois Bierbichl geht seit zig Jahren auf die Wiesn. Nicht um Riesenrad zu fahren oder Zuckerwatte zu essen, sondern eigentlich nur aus einem Grund: um zu granteln. In der Kolumne lässt er seinem Ärger freien Lauf - stellvertretend für Tausende Münchner während des Oktoberfestwahnsinns.

Grantlerkolumne, Diether Hanitzsch, Illustration

Unzufrieden mit dem Verkleidungszinnober auf der Wiesn: Grantler Alois Bierbichl.

(Foto: Dieter Hanitzsch)

Ja mei, die Wiesn! Jetzt sagen doch mal Sie, was halten denn Sie eigentlich davon, dass sämtliche Touristen, egal wo sie herkommen, heutzutage in Tracht rausfahren zur Theresienwiese? Ich jedenfalls für meinen Teil muss mich ganz schön zusammenreißen, dem nächsten Zugroasten in bayerischer Verkleidung nicht eine Mordstrumm-Watschn als Willkommensgruß mitzugeben.

Glauben denn diese ganzen Japaner, Australier und Preißn im Dirndl und in der Lederhosen, dass das Oktoberfest eine Art Fasching ist? Karneval auf bayerisch, oder was? Kleidungstechnisch meine ich jetzt, alkoholtechnisch ist es das ja eh schon längst. Wir fahren ja auch nicht im Käptn-Iglu-Kostüm nach Hamburg. Oder mit Zobelmütze und Balalaika nach Moskau.

Die bittere Wahrheit ist doch: Die Tracht ist das neue Party-Outfit. Alle verkleidet. Und alle tragen das gleiche Kostüm - und zwar das eines Bayern. Maskiert als Bayer, na bravo! Ohne diese Verkleidung kann man auf der Wiesn keinen Spaß haben, glauben jedenfalls die ganzen Auswärtigen. Die haben wirklich Angst, dass sie ohne Dirndl oder Lederhosen nicht ins Zelt dürfen.

Das Schlimmste ist aber, in was für Trachten sich die Wiesn-Touris schmeißen. Meistens in äußerst billige und schlechte Kopien, aus Ländern, wo irgendwelche Kinder den Stoff für ein paar Euro im Monat zusammennähen müssen. Dazu kombiniert werden dann Paris-Hilton-Sonnenbrillen, Schürzen in Neonfarben und Bergstiefel - oder was der Tourist sonst noch für "Bavarian style" hält.

Aber sehen wir es mal so: So ein Outfit schweißt halt zusammen. Das ist der wahre Grund für die Verkleidung. Die Tracht verschafft einer Gruppe doch gleich eine ganz andere Dynamik. Und hey, für einen Abend mal den ausgeflippten Bayern markieren, was für ein Spaß.

Auf diesen ganzen Kostümierungszirkus kann man als Münchner nur auf eine angemessene Art und Weise reagieren: nur noch in Jeans und T-Shirt auf d'Wiesn. Na, dann Prost!

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