Gräfelfing:Kleines gallisches Dorf

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Großzügige Straßenräume, große Gärten, stattliche Wohngebäude: Die Gartenstadt Gräfelfing - hier die Steinkirchner Straße - spürt den enormen Zuzug in die Metropolregion. (Foto: Catherina Hess)

Gräfelfings Politiker wollen den Gartenstadt-Charakter ihrer Gemeinde unter allen Umständen bewahren. Angesichts des enormen Bevölkerungsdrucks auf den ganzen Großraum sagen Experten heftigen Streit voraus

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Eine Wortmeldung aus dem Publikum machte bei der Diskussion im Gräfelfinger Bürgerhaus über den Erhalt der Gartenstadt das ganze Dilemma der Kommune deutlich: Ein Familienvater, der vor gut einem Jahr nach Gräfelfing gezogen ist, ärgerte sich, dass er gemäß Gräfelfinger Baurecht nicht 40 Quadratmeter an sein Haus anbauen darf, in den Garten hinein, um genug Wohnraum für die wachsende Familie zu schaffen. "Das ist der klassische Konflikt", stellte Bürgermeisterin Uta Wüst (Interessengemeinschaft Gartenstadt Gräfelfing/IGG) fest. Wenn die Gemeinde diesem verständlichen Wunsch nachkäme, kämen wohl viele andere mit Anbauwünschen hinterher. Und dann ist der Anfang vom Ende der Gartenstadt gemacht. Genau das will die Kommune verhindern.

Zuspruch für diese Haltung erhielt Wüst von Experten an diesem Abend: Christian Kühnel, Kreisbaumeister im Landkreis Starnberg, und Stadtplaner Peter Markert, der mit seinem Büro künftig die Gräfelfinger Bebauungspläne bearbeiten wird. Dass der Erhalt der Gartenstadt kein Spaziergang werden dürfte, machten beide Referenten deutlich. Es werde viel eher ein Weg mit Stolpersteinen werden, sagte Markert. Und regelrechten Streit sagte Kühnel voraus. Doch der werde sich lohnen, meinten beide.

Die Umlandgemeinden stehen unter enormem Druck. Der Zuzugsdruck in die Landeshauptstadt und den Großraum wird immer stärker - was fehlt, ist Wohnraum und der soll auch in den Vorortgemeinden entstehen. Der Ruf nach 365 000 neuen Wohnungen im Umland liegt in der Luft. Diese Zahl nannte Kreisbaumeister Kühnel. Für eine Gemeinde wie Gräfelfing, die ihren Gartenstadtcharakter bewahren will, klingt das wie eine Drohung. Ob und wie sich das "kleine gallische Dorf", wie Bürgermeisterin Wüst die Gemeinde nannte, gegen diesen Wachstumsdruck behaupten kann, war das Thema des Abends, zu dem die IGG eingeladen hatte.

Spricht Kühnel über Gräfelfing, gerät er ins Schwärmen: "Ich beglückwünsche Sie zu dieser schönen Gemeinde", sagte er und lobte die vielen öffentlichen Grünflächen, die "außergewöhnlich schönen" Straßenräume, die vielen Freiräume zwischen Gebäuden und Straßen. "Knüpfen Sie an diese Qualitäten an", appellierte er an die Gräfelfinger und ermutigte dazu, dem Siedlungsdruck standzuhalten. Aufgrund des enormen Zuzugs das Baurecht einfach zu erhöhen, sei der "falsche Ansatz". Vielmehr sei "städtebauliches Kalkül" gefragt, also genau auszuloten, wie viel Verdichtung die Gemeinde verträgt.

Das Instrument, um das gallische Dorf vor gesichtslosen Reihenhaussiedlungen mit handtuchgroßen Gärten und vor Geschosswohnungsbau zu bewahren, ist die Bauleitplanung. Die Gräfelfinger haben in ihren Bebauungsplänen das sogenannte degressive Baurecht verankert. Auf kleinen Grundstücken darf demnach in Relation gesehen mehr gebaut werden als auf sehr großen. Die Festlegung, wer wo und in welchem Umfang darf, ist eine komplizierte mathematische Übung. An manchen Stellen ist das zu kompliziert, zu intransparent und auch ungerecht geworden. Deshalb hat das Verwaltungsgericht jüngst Bebauungspläne für unwirksam erklärt. Peter Markert und seine Mitarbeiter sollen jetzt Ordnung schaffen.

Das wird nicht einfach. Einerseits, so Markert, wolle man die Gartenstadt bewahren, andererseits stehe ein Generationenwechsel an. Große Grundstücke wollen geteilt werden - der Siedlungsdruck ist spürbar, und es gilt laut Baugesetzbuch auch das Gebot der Nachverdichtung: erst mal schauen, was im Ort gebaut werden kann, bevor die nächste grüne Wiese erschlossen wird. Wie Markert diese Interessen in den Bebauungsplänen auslotet, will er demnächst den Gemeinderäten vorstellen.

Nicht nur die Baudichte solle die Gemeinde regulieren, wünschten sich Zuhörer. Auch hinsichtlich der Gestaltung fänden einige ein paar Regularien wünschenswert. Wie kann es sein, dass zwischen zwei mehr als 100 Jahre alten Villen ein giftgrün gekachelter Betonkubus gebaut werden darf? Das fragte eine Zuhörerin. Das treibt auch die Bürgermeisterin um. Sie habe Kontakt mit dem Amt für Denkmalpflege aufgenommen, um zu klären, welche Gestaltungsinstrumentarien eine Gemeinde in solchen Fällen hat.

© SZ vom 26.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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