Gottesdienst als Event:Tanz deinen Glauben

Gottesdienst als Event: An einem normalen Sonntag sind die Kirchenbänke in München nicht sonderlich gefüllt.

An einem normalen Sonntag sind die Kirchenbänke in München nicht sonderlich gefüllt.

(Foto: Robert Haas)

Gottesdienste mit Poesie, Philosophie und Feuer-Show: Viele Gemeinden sind so kreativ wie nie zuvor, um attraktiver für Besucher zu werden - denn die Kirchenbänke bleiben oft leer. Hinter den Anstrengungen der Kirchen steht eine einfache, aber plausible Überzeugung.

Von Jakob Wetzel

Die Kirche bittet zum Tanz, und die Gläubigen kommen. Sie bilden einen Kreis, wagen erste Schritte, folgen einer Choreografie, der Pfarrer mittendrin. Dann singen sie und beten, und schließlich bewegen sie sich frei durch die evangelische Johanneskirche in München-Haidhausen, setzen gemeinsam Bilder in Gebärden um: Sie tanzen die Bibel.

An drei Abenden im Jahr verwandelt Kirchenmusikdirektor Gerd Kötter die Kirche am Preysingplatz in eine Tanzfläche, er räumt die Stühle beiseite und fordert die Gläubigen auf, sich zu bewegen, mitzumachen statt nur zuzuhören. Manchmal spielt dazu auch Livemusik. Es sieht nicht unbedingt wie ein Gottesdienst aus, was Kötter arrangiert. Und doch ist es genau das: ein Gottesdienst. Nur eben anders.

Ein Schritt auf die Gläubigen zu

Liturgie und Bewegung zusammenzubringen, das sei ihm ein persönliches Anliegen, sagt Kötter. Doch seine Tanzgottesdienste sind auch ein Schritt nach vorne, auf die Gläubigen zu. Er wolle Leute ansprechen, die "noch etwas anderes suchen", sagt er. Und er hat Erfolg: Regelmäßig kommen mehrere Dutzend Menschen zum Tanz, unter ihnen einige, die mit der Kirche sonst wenig zu schaffen haben - und noch weniger mit ihren Gottesdiensten.

Wie Kötter bemühen sich viele Pfarrgemeinden, die Menschen neu anzusprechen. Denn voll sind die Kirchen oft nur noch zu Festen wie Ostern und Weihnachten. Unter dem Jahr aber besuchen nur wenige den Gottesdienst. Nach Kirchenangaben sind nur etwas mehr als neun Prozent der katholischen Münchner regelmäßige Kirchgänger, von den evangelischen gar nur drei Prozent. So zählt das evangelisch-lutherische Dekanat München an gewöhnlichen Sonntagen etwa 7000 Gottesdienstbesucher. Zum Vergleich: An Weihnachten kamen zuletzt fast 80.000.

Persönliche Ansprache

Um ihre Kirchen auch unter dem Jahr zu füllen, folgen die Gemeinden unterschiedlichen Strategien. Die einen gehen direkt auf die Leute zu: In Nymphenburg etwa verteilten im vergangenen Jahr engagierte Christen Postkarten in einem Neubaugebiet, um die neuen Nachbarn zu begrüßen. In Puchheim im Landkreis Fürstenfeldbruck verteilt die Arbeitsgemeinschaft Ökumene seit Jahren stets vor Weihnachten und Ostern Handzettel an der S-Bahn-Station, um die Gottesdiensttermine unter die Leute zu bringen. Und in Vaterstetten verschenken Katholiken Kerzen auf dem Christkindlmarkt und laden die Passanten in die Kirche ein. Dort können sie ihre Kerzen in Kisten mit Sand stecken und zur Ruhe kommen. Zuletzt kamen an zwei Tagen mehr als 2000 Menschen, in einem Pfarrverband mit etwa 10.000 Katholiken.

Daneben versuchen die Pfarreien, das Angebot in der Kirche ansprechender zu gestalten. Viele setzen auf Musik, auf Band- und Chor-Auftritte, auf Bach-Kantaten und auf Neues Geistliches Lied. Die evangelische Markuskirche in der Gabelsbergerstraße etwa feiert achtmal im Jahr Musikgottesdienste mit Gospelgesang. Die Jesuitenkirche Sankt Michael in der Neuhauser Straße dagegen trumpft mit professionellem Orchester und mehreren Chören auf - obwohl sie gar keine eigene Gemeinde hat.

Gottesdienste für verschiedene Zielgruppen

Zusätzlich haben Pfarreien ihre Gottesdienste unterschiedlichen Zielgruppen angepasst, zum Beispiel im katholischen Pfarrverband Altschwabing: Hier feiert Innenstadt-Dekan David Theil immer samstags eine ruhige Vorabendmesse in der Kirche Sankt Ursula. Familien mit Kindern kommen dafür am Sonntagvormittag. In der Kirche Sankt Sylvester zelebriert Theil sonntags um neun Uhr, wer sich dem Glauben eher philosophisch nähern will, für den ist ein "Denken und Beten" der Jesuiten zwei Stunden später gedacht.

An besonderen Gottesdiensten wie diesem herrscht mittlerweile große Auswahl. Es gibt Abend- und Nacht-, Lyrik- und Märchen-Gottesdienste, katholische Messen nach altem Ritus und evangelische Gottesdienste mit "Bibliolog", bei dem sich die Gläubigen in Bibeltexte vertiefen. Für Familien gibt es Messen für Kinder verschiedenster Altersstufen, vom Krabbel- über den Kinder- bis zum Jugend-Gottesdienst. Stefan Hubl, Jugendseelsorger im katholischen Innenstadt-Dekanat, organisiert für den 14. Februar einen Valentinsgottesdienst, in dem sich Paare segnen lassen können, auch homosexuelle. Und am 21. Februar ist eine Messe mit Feuer-Show geplant; der Ort steht noch nicht fest, aber als Höhepunkt soll ein glühendes Kreuz in die Kirche getragen werden. Man müsse die Jugendlichen positiv überraschen, sagt Hubl. "Sie müssen Kirche so wahrnehmen, wie sie es nicht erwartet hätten."

Gottesdienst als Event

David Theil feierte zuletzt eine Outdoor-Messe im Englischen Garten, mit Spaziergang und anschließendem Picknick. Ihm gehe es aber gar nicht um Werbung oder gar um den Event-Charakter eines Gottesdienstes, sagt er. Wichtig sei, ein menschliches Klima in der Kirche zu schaffen, das spreche sich dann von selbst herum, und die Gläubigen kämen. Alle müssten willkommen sein, regelmäßige Kirchgänger wie Gäste, fordert Theil. Auf keinen Fall dürfe die Kirche die Gläubigen gängeln: "Es ist in Ordnung, wenn Leute nur einmal im Jahr kommen." Die Kirche sei eben für die einen Heimat, für die anderen nur Herberge.

Theil ist überzeugt, dass das Interesse am Glauben noch immer stark ist - auch unter denen, die der Kirche fernstehen. Und er spürt Aufwind, besonders seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus. Theil spricht von mehr Offenheit in der Kirche und davon, dass es für Kirchgänger nun weniger peinlich sei, sich zur Kirche zu bekennen. Man müsse Vertrauen aufbauen und zeigen, dass die Kirche nicht abgehoben ist. Entsprechend verhängnisvoll wirke der Skandal um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, sagt Theil. Resignieren aber liegt dem Pfarrer fern. Wer auf die Kirche schimpfe, der solle kommen, sagt er. Er werde dann sehen, dass seine Kirche mehr sei als nur ein prächtiges, aber kaltes Gebäude: nämlich menschlich und lebendig.

So wie Sankt Ursula. Die Kirche am Kaiserplatz ist ein beliebter Treffpunkt, bei schönem Wetter sitzen viele Menschen auf der Treppe vor dem Südportal und genießen die Sonne. Theil öffnet deshalb am Freitagmittag nach dem Gottesdienst die Kirchenpforte und geht hinaus, er sucht das Gespräch. Letztens habe er sich anregend mit einem jungen Mann unterhalten, erzählt er. Doch als der den Pfarrer im Messgewand aus der Kirche kommen sah, habe er gestaunt - und ungläubig gefragt: "Ist diese Kirche etwa noch in Betrieb?"

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