Goldene Pracht:Ausfahrt mit Amor

Auf dem Rennschlitten durch den Winter - frisch restauriert künden die Gefährte im Marstallmuseum vom Glanz der Barockzeit

Von Wolfgang Görl

Es muss eine tolle Sause gewesen sein, damals im Fasching anno 1751. Vorneweg das Gefährt des Oberststallmeisters Graf von Seinsheim, dahinter 50 weitere Schlitten, deren vergoldete Schnitzereien noch greller blitzten als die Schneekristalle in der Luft. Und dazu die Damen, die neckisch maskiert im Schlittenkasten saßen, während hinter den Schönen die Kavaliere standen und mit langen Zügeln die Pferde lenkten. Schnaubend stoben die prachtvoll geschmückten Rösser über die Piste, behängt mit zahllosen Glöckchen, welche das wilde Faschingstreiben der Adelsgesellschaft schon von weitem ankündigten. Es versteht sich von selbst, dass die Münchner staunend Spalier standen, als die Pferdeschlitten lustig durch die Stadt jagten oder Richtung Nymphenburg glitten.

So oder so ähnlich mag es gewesen sein, wenn sich der Adel im Zeitalter des Barock einer der schönsten Vergnügungen hingab, die der Münchner Winter zu bieten hatte. Wer nun wissen möchte, wie die sogenannten Rennschlitten ausgesehen haben, muss nur das Marstallmuseum in Schloss Nymphenburg besuchen. Dort sind vier dieser Prachtstücke sowie ein künstlerisch ebenbürtiger Kinderschlitten aus barocker Zeit ausgestellt - und neuerdings attraktiver denn je. Drei Jahre haben die Experten der Schlösserverwaltung geplant, getüftelt und gewerkelt, um die Rennschlitten in einem komplett neugestalteten Raum präsentierten zu können. Die barocken Gefährte hat man ebenfalls restauriert, sie stehen kaltweiß beleuchtet auf Acrylglasflächen, die eine Ahnung von Eis und Schnee aufblitzen lassen.

Überhaupt ist es eine glamouröse Welt, in die der Besucher eintaucht, sobald er das Museum betritt - eine Welt feudaler Prachtentfaltung, die der Glorifizierung der Herrscher und gewiss auch der Einschüchterung ihrer Untertanen diente. Wer den ersten Raum mit dem Krönungswagen Kaiser Karls VII. passiert hat, gelangt in den Schlittensaal, wo gleich mal etwas für das Ohr geboten wird. Schellengeläut dringt aus Lautsprechern, es klingt, als würde ein Schlittengespann durch eine Winterlandschaft ziehen. Was da so bimmelt, versichert Kuratorin Friederike Ulrichs, sind tatsächlich die 426 vergoldeten Messingglöckchen, mit denen die Schellendecke bestückt ist, die 1737 für Kurfürst Karl Albrecht, den späteren Kaiser Karl VII., angefertigt wurde. Während der Restaurierungsarbeiten hat man das Geläut aufgenommen, und dieses tönt nun per Akustikschleife durch den Saal.

Der dazugehörige Prunkschlitten ist verschollen, doch die Schellendecke, die ein eigens dafür gebasteltes Modellpferd einhüllt, ist exquisit genug, um den fürstlichen Pomp zu repräsentieren. Angefertigt ist sie aus Samt, den geschickte Hände mit Goldfäden bestickt haben, die plastisch hervortretende Masken formen. Zwei Jahre hatte der kurfürstliche Obertapezierer François Carée gebraucht, um das Schlittengeläut anzufertigen. Billig kam der Kurfürst dabei nicht davon: Zusammen mit Schellendecke und anderen Utensilien kostete der Prunkschlitten knapp 4000 Gulden. Zur selben Zeit verdiente eine Köchin etwa 25 Gulden im Jahr.

Bereits im 16. Jahrhundert hatte es am Münchner Hof kostbar ausgestattete Figurenschlitten gegeben. So fand zur Vermählung Herzog Wilhelms V. mit Renata von Lothringen - an das ausschweifende Hochzeitsfest im Februar 1568 erinnert das Rathaus-Glockenspiel - eine "herrliche Schlitenfahrt" statt, an der auch der Bräutigam teilnahm. Wie aus dem Marstall-Inventar von 1600 hervorgeht, bezeichnete man die schmucken Flitzer auf Kufen tatsächlich als Rennschlitten, wohingegen die Fahrzeuge für Überlandfahrten als "gemaine Schlüten" aufgeführt wurden. Die Rennschlitten dienten dem Amüsement, wozu naturgemäß auch erotische Angelegenheiten zählten, für die das Gefährt, auf dem sich Dame und Kavalier körperlich recht nahe kamen, eine gute Plattform bildete. Bei den Schlittenparaden zur Faschingszeit nahmen sich die Herrschaften die antike Götterwelt zum Vorbild, und manchmal auch das ländliche Leben. Das Kurfürstenpaar verkleidete sich als Wirt und Wirtin, die Höflinge traten als Pastor, Jäger, Händler, Bauern oder Hirten in Erscheinung. Der Geistlichkeit war das freizügige Treiben suspekt. "Von der Kirche wurden die Schlittenfahrten verteufelt", sagt Gudrun Szczepanek, die ebenfalls als Kuratorin des Marstallmuseums fungiert.

Neben den Faschingsparaden veranstaltete der Hof auch sogenannte Karussells. Dabei wurde ein Parcours abgesteckt, der den Steuerkünsten des Kavaliers einiges abverlangte. Währenddessen hatte seine im Schlitten sitzende Dame die Aufgabe, mit einer Lanze Ringe zu treffen oder Pappmaschee-Figuren mit dem Degen den Kopf abzuschlagen.

In Anbetracht dieser fast schon sportlichen Einsätze ist es verwunderlich, dass ein paar der zierlichen Schlitten erhalten geblieben sind. Das älteste Exemplar im Marstallmuseum stammt aus der Zeit um 1680, es ist vermutlich in der Werkstatt des Hofbildhausers Andreas Faistenberger (1646-1735) fabriziert worden. Der damals noch junge Kurfürst Max Emanuel hatte das edle Stück in Auftrag gegeben. Der aus Holz geschnitzte Schlittenkasten hat die Gestalt der Hydra, des Ungeheuers aus der griechischen Mythologie. Über den sieben Köpfen des Monsters schwingt Herakles eine Keule, um dem Untier den Garaus zu machen. Das Motiv war mit Bedacht gewählt: Max Emanuel selbst ließ sich gerne als neuer Herakles feiern.

So ein Kleinod zu restaurieren, "ist eine technologische Herausforderung", sagt Heinrich Piening, der Chef der Restaurierungsabteilung für Holzobjekte bei der Schlösserverwaltung. Die Schlitten waren "ziemlich schnelle Geschosse", sie mussten einiges aushalten. Bei der farblichen Gestaltung des Schnitzwerks benutzten die Künstler deshalb strapazierfähige ölhaltige Fassungen anstatt leimgebundene, wie etwa bei Kirchenheiligen. Auch beim Herakles-Schlitten hatten es die Restauratoren mit einer vielfarbig schillernden Lüsterfassung zu tun, die einer modernen Metallic-Lackierung gleicht. "Das war eine spannende Sache", berichtet Piening. Um einen Schlitten wieder aufzumöbeln, arbeiteten die Fachleute 500 bis 600 Stunden.

Weitaus weniger martialisch als das Herakles-Coupé ist der "Rennschlitten mit Diana", den der Rokoko-Meister Johann Baptist Straub (1704-1784) angefertigt hat. Es war eine Arbeit für den Kurfürsten Karl Albrecht, der den Schlitten um 1740, also etwa zwei Jahre, bevor er zum Kaiser gewählt wurde, in Auftrag gegeben hatte. Vorne auf dem Kasten sitzt die Jagdgöttin Diana im grünen Rock. Der gespannte Bogen, den sie in den Händen hielt, ist im Verlauf der Jahrhunderte verloren gegangen. Auf der Spitze der hochgezogenen Kufen hockt ein geflügelter Putto, der das Jagdhorn bläst. Der Glanz der Figuren ist einer speziellen Technik zu verdanken. Zunächst wurde die Oberfläche versilbert und dann mit lichtdurchlässiger Ölfarbe bemalt. Straub soll noch etliche andere Paradeschlitten für den Hof geschaffen haben, doch nur der Diana-Renner ist geblieben - eine aparte Reminiszenz an die Jagdleidenschaft Karl Albrechts und seiner Gattin, der österreichischen Kaisertochter Maria Amalia.

In der Ära der Kurfürsten Max Emanuel, der von 1679 bis 1726 regierte, und Karl Albrecht (reg. 1726-1745) ging es vielen Münchnern schlecht, ganz besonders den Tagelöhnern und kleinen Handwerken, die außerhalb der Stadtmauern hausten. Max Emanuels Desaster im Spanischen Erbfolgekrieg, das zur Besetzung durch die Habsburger und 1705 zur "Sendlinger Mordweihnacht" führte, soziale Spannungen, wachsende Armut und Wohnungsnot - das Leben der normalen Menschen war etlichen Gefährdungen ausgesetzt. Aber die Künste blühten, stimuliert durch die Effekthascherei des Hochadels. Und so entstanden Artefakte von liebreizender Verspieltheit wie etwa der Rennschlitten, auf dem der Oberolympier Jupiter als kleiner Putto thront, während sich unter ihm zwei Putti balgen. Ebenfalls mit einem Jupiter-Putto verziert ist ein Kinderschlitten, der, auf eiserne Rollen gestellt, auch in den Schlossräumen zum Einsatz kam. Ponys, große Hunde oder Schafe zogen den Flitzer der kurfürstlichen Sprösslinge.

Auf die amouröse Seite des barocken Zeitvertreibs spielt der "Rennschlitten mit Amor" an. Der geflügelte Liebesschlingel hält seinen Bogen hoch, um seine Pfeile abzuschießen. Nicht zuletzt bei der Faschingsparade, die mit einem Maskenball in der Residenz abgerundet wurde, konnten Kavaliere mit dem Amor-Schlitten punkten. Für die Bediensteten der Stadt waren solche Tage weniger lustig. Sie mussten dafür sorgen, dass die Straßen sauber und schlittentauglich waren.

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