Glücksspiel:"Ist nichts Schönes, was ich hier mache"

Glücksspiel: In München gibt es 227 Spielhallen, verteilt auf 113 Standorte.

In München gibt es 227 Spielhallen, verteilt auf 113 Standorte.

(Foto: Robert Haas)

Seit dem 1. Juli gelten strengere Gesetze für Spielhallen. Aber helfen diese wirklich gegen Spielsucht? Ein Besuch.

Von Milena Hassenkamp

Dennis Rath daddelt wie ein Sportler. Der 25-jährige Automechaniker schlägt mit seinem Mittelfinger auf die blinkende grüne Taste, bis die bunten Früchte des "Fruitinators" über den Bildschirm rasen. Er dreht sich nach rechts und startet die Früchte am nächsten Spielautomaten. Dann dreht er sich wieder nach links, drückt erneut, um die Früchte mit einem weiteren Klick anzuhalten. Nur selten setzt er sich hin. Ein bestimmtes Lieblingsspiel hat er nicht, den Automaten wechselt er immer dann, "wenn er nichts mehr bringt". Einmal in der Stunde, wenn der Automat zum Spielerschutz fünf Minuten Pause macht, geht er vor die Tür, um mit Freunden zu rauchen.

Es ist sieben Uhr. In der Spielhalle an der Lotte-Branz-Straße im Euroindustriepark läuft die Klimaanlage auf Hochtouren, vom warmen Sommerabend draußen ist in den dunklen Räumen nichts zu spüren. Dennis Rath wischt sich dennoch den Schweiß vom Gesicht. "Es läuft nicht gut", sagt der 25-Jährige. Mit jedem Klick wird sein Punktestand an den Automaten kleiner. Im Schnitt verspiele er an einem Abend 50 bis 100 Euro, sagt Rath. Seinen richtigen Namen will er, wie alle Spieler in dieser Geschichte, lieber für sich behalten.

Gewinnen, weiß er, ist selten. Doch nur ums Gewinnen geht es. "Bilder drücken macht keinen Spaß, Spaß macht das Geld". Deshalb spielt er in der Halle und nicht daheim an der Playstation. Hier kann er "abschalten". In der Halle läuft keine Musik, nur das Klackern der Tasten und das Klingeln der Automaten sind zu hören. Auf den milchigen Trennwänden, die die acht Automaten in der Mitte des Raumes trennen, lacht die Sonne der Merkur-Spielothekenkette. Manchmal steht ein Freund hinter Dennis Rath, feuert ihn an bei einem Spiel, bei dem der Spieler gar nichts bewirken kann: Wer hier gewinnt, hat keine gute Taktik, sondern Glück.

Es sind gerade junge Männer wie Dennis und seine Freunde, die gefährdet sind, spielsüchtig zu werden, weiß Konrad Landgraf von der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern. Statistiken zeigen, dass Spielsucht vor allem in bildungsfernen Schichten ein Thema ist, Arbeitslosigkeit und Migrationshintergrund sind weitere Risikofaktoren.

Um die Spielsucht zu bekämpfen, hat die Politik die Vorschriften für Spielhallen verschärft. Ab dem 1. Juli dürfen nicht mehr als 48 Automaten in einer Spielhalle stehen - aufgeteilt in vier Konzessionen mit jeweils zwölf Geräten. Zwischen den Hallen muss es einen Abstand von 250 Metern geben und die Hallen müssen täglich für mindestens sechs Stunden geschlossen bleiben. Das Mindestalter wurde von 18 auf 21 Jahre heraufgesetzt. Die Spieler sollen künftig durch geschulte Mitarbeiter betreut werden. Aber hilft das?

Geschult worden sind auch die drei Mitarbeiterinnen, die an diesem Abend im Euroindustriepark Dienst haben. Viel zu tun gibt es nicht. Die meisten Spieler sind nicht interessiert an den Softdrinks und Butterbrezen, die das Personal ihnen anbietet. Bis November 2016 gab es die Getränke sogar noch kostenlos. Jetzt geht die Cola für einen Euro über die Theke. Alkohol darf in Spielhallen nicht ausgeschenkt werden.

227 Spielhallen

gibt es derzeit in der Stadt, verteilt auf 113 Standorte. Viele Betreiber haben Mehrfachkonzessionen und betreiben an einem Ort mehrere Spielhallen. Seit 2012 die neuen Regeln des Glücksspielstaatsvertrags in Kraft sind, werden kaum noch neue Betriebe aufgemacht.

Ob sie häufiger eingreifen, wenn ein Spieler es übertreibt? Dazu wollen die drei Frauen nichts sagen. In einer anderen Spielhalle in der Innenstadt ist das Personal offener: Es sei natürlich nicht im Sinne der Spielhalle einzuschreiten, sagt eine Angestellte. Aber Spieler vom Spielen abzuhalten, sei ohnehin kaum möglich. "Sie kommen ja doch immer wieder." Jeden Tag mit der Sucht konfrontiert zu werden, sie durch ihre Arbeit noch zu fördern, empfinde sie als große psychische Belastung. Immer wieder habe sie überlegt, zu kündigen, aber sie brauche den Job.

Dennis Rath hat keine Probleme und keine Schulden. Das sagt zumindest er selbst. Aber wenn es ums Spielen geht, gibt es oft zwei Wahrheiten. Fragt man Dennis Rath, kommen er und seine Freunde alle zwei Wochen in die Spielhalle. Fragt man das Servicepersonal, sind die jungen Männer phasenweise täglich hier. So wie diese Woche. Die Spieler, das wissen die drei Frauen hinter dem Tresen aus Erfahrung, schätzen ihr Verhalten nicht immer richtig ein. Die Informationsbroschüren zum verantwortungsvollen Spielen, die neben den Automaten liegen, haben Rath und seine Freunde noch nie gelesen. "Ist nicht notwendig", sagt der 25-Jährige. Woher das Geld kommt, das sie nachts in die Automaten stecken, wollen die jungen Männer nicht sagen.

Nach welchen Spielregeln er gewinnt oder verliert, versteht er selber nicht so ganz

"Erziehen", sagt Mario Hoffmeister von der Gauselmann AG, die fünf Spielhallen in München betreibt, "kann man niemanden." Hoffmeister ist es gewohnt, seine Branche zu verteidigen. Menschen, sagen er und seine Branchenkollegen, hätten ein natürliches Spielbedürfnis. Ein Bierbrauer braue auch kein Bier, um die Menschen alkoholabhängig zu machen. Anders als Alkohol sei das Glücksspiel am Automaten aber noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

"Ist nichts Schönes, was ich hier mache", sagt einer von Raths Freunden einsichtig, "das sollte lieber keiner wissen." Der 21-Jährige schaut auf seinen Bildschirm, auf dem sich vier Frauen mit rosa Fächern Luft zufächeln. Gerade hat der Auszubildende wieder 20 Cent verloren. Die vier Frauen waren nicht in einer Reihe. Nach welchen Spielregeln er gewinnt oder verliert, verstehe er selber nicht so ganz, gibt er zu. Irgendwie laufen die Gewinnlinien über den Bildschirm und entscheiden, ob es ein guter oder ein schlechter Abend wird. Innerhalb von 20 Minuten weiß der 21-Jährige: Es ist ein schlechter. 20 Euro hat er schon verspielt. Manchmal mache ihm das was aus, sagt er, heute nicht. Er verlässt die Spielhalle. Seine drei Freunde bleiben bis lange nach Mitternacht. Je später der Abend, desto mehr junge Frauen gesellen sich zu den Männern, desto häufiger spielen sie auf Risiko.

Tür an Tür mit Rath und seinen Freunden spielt die 50-jährige Anna Frollek "Triple Flame". Sie ist mit ihrem Mann gekommen, der am Automaten gegenüber spielt. Der 50-jährige Trockenbauer sitzt zurückgelehnt auf einem schwarzen Drehstuhl, vor ihm blinken die bunten Farben des "Fruitinator". Mit einer Hand bedient er die Starttaste, mit der anderen bewegt er seinen Drehstuhl hin und her. "Er ist in seiner Welt", sagt Anna Frollek, die nach draußen gegangen ist, um eine Zigarette zu rauchen. Fast jeden Abend geht sie mit ihrem Mann in die Spielhalle.

Bis sich ein Spieler seine Sucht eingesteht, dauert es laut Landesstelle für Glücksspielsucht in Bayern etwa vier bis zehn Jahre. Annas Mann spielt inzwischen seit zwei Jahren und hat in dieser Zeit an einem Abend auch schon 500 Euro und mehr verloren, nicht nur einmal. "Lehrgeld" nennt Anna Frollek das. Aber ihr Mann will nicht lernen.

Ein Problem, sagt Konrad Landgraf von der Landesstelle für Glücksspielsucht, habe ein Spieler dann, wenn er eine der folgenden Fragen mit "ja" beantworten könne: Hat er eine ihm nahestehende Person über sein Spielverhalten belogen? Und: Hat er wiederholt mehr Geld an einem Automaten verloren als gewollt? Anna Frollek beantwortet beide Fragen für ihren Mann, der dazu nichts sagen möchte: Ja. Auch sie selbst hat es nicht immer geschafft, bei den 20 Euro zu bleiben, die sie sich für den Abend erlaubt. Vier Mal hat sie die Kontrolle verloren. Ihr höchster Gewinn: 1000 Euro. Vor vier Monaten war das. Wenn Frollek daran denkt, lächelt sie wie jemand, der etwas Unanständiges erzählt.

Davon habe sie erst einmal das Auto vollgetankt, für den Hund eingekauft, "gelebt halt". Sie zuckt mit den Schultern und öffnet wieder die Tür zu dem dunklen Raum, in dem ihr Mann sitzt und verliert. Die 50-Jährige legt eine Hand auf die schwarze Sessellehne hinter seinem Rücken. "Ich verstehe jetzt, warum ich kein Glück habe", sagt ihr Mann ohne aufzublicken. Anna Frollek zwinkert ihm zu. Sie sei der Grund, erklärt sie. Das sage ihr Mann oft. Der steht auf, geht die drei Meter zum nächsten Automaten, zählt hastig zehn Euro aus seiner Tasche auf die Hand, wirft sie in den silbernen Schlitz des Automaten und setzt sich.

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