Glockenbachwerkstatt:Ein Münchner Mikrokosmos

Die Glockenbachwerkstatt ist weit mehr als ein Bürgertreff oder ein gewöhnlicher Club: Seit 30 Jahren spielen hier Kinder, arbeiten Künstler und treten Musiker auf.

Christina Warta

Die stillen Momente gibt es hier auch: Mit Schwung drückt man die schwere, grau lackierte Holztür des klassizistischen Gebäudes auf, geht durch den kurzen Gang und steht ganz allein im Foyer der Glockenbachwerkstatt. Zwei Kinderwagen stehen an der rot bemalten Wand, daneben ist ein sehr kleines Fahrrad geparkt. Vom Innenhof schallen die Rufe von Kindern, man hört einen Ball, der auf Asphalt geprellt wird und aus der Küche das Klirren von Geschirr. Es knarzt, jemand kommt auf der alten Holztreppe von oben herunter.

Glockenbachwerkstatt: "Ein Wohnzimmer mit harten Bänken": So kann man die Glockenbachwerkstatt in der Blumenstraße beschreiben.

"Ein Wohnzimmer mit harten Bänken": So kann man die Glockenbachwerkstatt in der Blumenstraße beschreiben.

(Foto: Stephan Rumpf)

Selbst in ruhigen Zeiten ist man in der Glockenbachwerkstatt nie allein. Das Bürgerhaus lebt, es vibriert den ganzen Tag - von morgens um sieben oder acht Uhr bis abends und am Wochenende bis spät in die Nacht hinein. Vor 31 Jahren öffnete in der Blumenstraße 7 der Bürgertreff erstmals seine Pforten, und eigentlich wollten sie schon im vergangenen November den 30. Geburtstag der "Glocke", wie sie genannt wird, feiern.

Doch am Abend vor dem großen Fest, als längst alles vorbereitet und die Gäste in Vorfreude waren, kam die Nachricht, dass die stellvertretende Geschäftsführerin Roswitha Seper bei einem Autounfall verunglückt sei. Am nächsten Morgen starb sie - in der Glockenbachwerkstatt wurde die Geburtstagsfeier abgesagt.

Damit das Jubiläum dennoch nicht ganz ohne Würdigung vorbeigeht, hat die Glockenbachwerkstatt nun ein Heft inklusive eines knapp 30-minütigen Films des Dokumentarfilmers Harald Rumpf herausgebracht, das die Vielfalt des Lebens im Bürgerhaus zeigt.

Denn für nicht wenige Bewohner des Viertels ist die Glockenbachwerkstatt Treffpunkt und Zentrum, sie ist wunderschöner Biergarten und gemütliche Kneipe, Konzertbühne, Bandübungsraum, Töpfer-, Schreiner- und Metallwerkstatt, ist Kinderhort, Kindergarten und Bolzplatz, im Grunde ist sie Frei- und Lebensraum für all jene, die ihn suchen. "Die Glockenbachwerkstatt", sagt der Sozialpädagoge Josef Pascher, "ist ein Wohnzimmer mit harten Bänken."

Ganz oben unter dem Dach hat Thomas Filser sein Büro. Von hier aus kann der Geschäftsführer auf den mit Graffiti besprayten Innenhof und den geteerten Bolzplatz blicken, aber auch auf das Regal mit den vielen Ordnern. Hier ist die Logistikzentrale der Glockenbachwerkstatt zuhause, und so sagt Filser: "Wir hatten im vergangenen Jahr 134.000 Nutzungen." Filser weiß, dass der Satz ein bisschen komisch klingt angesichts der bunten Angebote im Bürgerhaus, deshalb lacht er leise, nachdem er ihn ausgesprochen hat.

Denn es ist schon eine ziemliche Tiefstapelei, von "Nutzungen" zu sprechen, wenn ein Verein, ein ganz normaler "e.V.", Eltern-Kind-Gruppen, einen Kindergarten, einen Schülerhort und einen Stadtteiltreff betreibt, wenn Mittagsbetreuungen an mehreren Standorten angeboten und acht Kindergärten und -krippen in Betriebsträgerschaft geführt werden. In den vergangenen Jahren ist aus der Glockenbachwerkstatt, die einst aus einer Elterninitiative hervorging, ein mittelgroßer Betrieb im Sozialbereich geworden: 690 Betreuungsplätze für Kinder hat das Unternehmen unter seinen Fittichen, 130 Personen sind angestellt.

"Wir haben uns seit 2004 breiter aufgestellt", erklärt Filser. Damals expandierte der Verein, nachdem 2002 die finanziellen Mittel der Stadt im Rahmen einer Haushaltskonsolidierung um 30 Prozent gekürzt wurden. "Ich dachte: Wir haben so viel Erfahrung in der Kinderbetreuungsarbeit. Warum sollten wir uns nur auf den Stadtteil beschränken?" So gehören mittlerweile auch Einrichtungen in Nymphenburg und Riem zum Betrieb - mit dem Hintergedanken, dass man einem derart gewichtigen Akteur künftig nur mit größtem Widerwillen das Budget kürzen könnte.

Denn grundsätzlich sind sie in der Glockenbachwerkstatt der Stadt München überaus dankbar, schließlich könnte das Bürgerhaus ohne die Finanzierung des Sozial-, Schul- und Kultusreferats nicht so betrieben werden, wie es der Fall ist. Auch der Mietvertrag für das Gebäude an der Blumenstraße ist erneut langfristig gesichert. "Nur durch die Unterstützung der Stadt ist das alles hier möglich", sagt Thomas Filser und meint damit auch die vielen kostenlosen Angebote für Jugendliche sowie die Preise für Kurse, die so gestaffelt sind, dass sie sich auch Menschen mit einem schmaleren Budget leisten können.

Denn darum ging es ja immer in der Glockenbachwerkstatt, und darum geht es auch heute noch: dass Kultur und Kunst auch ohne Kommerz und für alle möglich sein muss, gerade in einer Stadt wie München. "Die meisten Menschen brauchen Geld, um glücklich zu werden", sagt ein junger Mann in der Dokumentation, "wir brauchen nur diesen Platz hier." Bis vor fünf Jahren machten die Sozialpädagogen klassische offene Jugendarbeit. "Das waren nicht die einfachsten Jugendlichen", erinnert sich Josef Pascher. 15 Jahre lang trafen sie sich Tag für Tag in der Werkstatt. "Das ging mal besser und mal schlechter, aber es ging immer irgendwie", sagt er.

Ein Viertel im Wandel

Doch das Viertel hat sich verändert, und mit ihm die Jugendszene. "Viele können sich die Gegend hier nicht mehr leisten, es ist ja eher Schickimicki geworden. Und auch die Nationalität fällt heute nicht mehr so ins Gewicht." Und so passte sich die Jugendarbeit an die neue Zielgruppe an. Heute gibt es regelmäßige Kultur-, vor allem Musikveranstaltungen für Jugendliche und Erwachsene, viele davon sind selbst verwaltet. "Das ist ein ziemlich großer logistischer Aufwand", sagt Josef Pascher, "aber in der Regel funktioniert es." Die Jugendlichen, so will es das Konzept, sollen hier einen Freiraum finden, wo sie ihre Kultur und ihr Milieu pflegen können.

Und zwar unabhängig von Geschlecht und Alter, von Szene und Milieu, von Religion, Partei oder Nationalität. "Wir wollen eine Plattform für verschiedene Szenen sein", sagt Thomas Filser, "wir wollen uns nicht beschränken auf eine Gruppe, sondern ausgewogen sein." Liberalität und Offenheit sind die wichtigsten Säulen dieser Arbeit. Und Josef Pascher ergänzt: "Wir wollen nicht das Übliche machen. Die Menschen, die hierher kommen, sind offen für Anderes."

Und so liest sich das Augustprogramm der Glockenbachwerkstatt, als hätte man willkürlich ein paar Veranstaltungen aus dem Terminkalender der ganzen Stadt zusammengeschrieben: Am Samstag gab es Punk, am Sonntag ein Duo mit Geige und Synthesizer, am Montag eine Session mit elektronischer Musik, am Donnerstag gibt es ein Konzert mit Resonanzkataströphe, am Freitag in einem Raum Afrobeat, im anderen eine Jazzsession. Immer dienstags trifft sich die Hiphop-Szene zum Freestyle-Rap, mittwochs kommen die Blueser zum Musizieren und Fischessen, donnerstags spielen Newcomer-Bands.

Längst hat das üppige Kulturprogramm Strahlkraft entwickelt weit über das Viertel hinaus. "Das ist überregional attraktiv", sagt Thomas Filser, "während sich unsere Kinder- und Jugendarbeit eher auf das Viertel richtet." Im Haus ist beides jedoch fest miteinander verzahnt: In fast allen Räumen der Glockenbachwerkstatt herrscht von früh bis spät Betrieb: Wo morgens die Kindergartenkinder basteln und spielen, übt nachmittags einer Schlagzeug und abends die Trommelgruppe.

Während im Saal die Punks feiern, gibt es im Stadtteiltreff nebenan ein Brasskonzert. Dass so viele unterschiedliche Szenen ein gemeinsames Zentrum ihr eigen nennen, dürfte in der Stadt tatsächlich einmalig sein.

Selbst der Bolzplatz im Innenhof, gleich hinter den Werkstätten, wird von allen genutzt: Morgens spielen die Kinder Fangen, nachmittags Jugendliche Basketball, am Samstag breitet sich der Flohmarkt dorthin aus. Kein Wunder also, dass Thomas Filser besorgt dreinschaut, wenn er die Vorzüge des Bolzplatzes preist: Denn ausgerechnet die Stadt, sonst die noble Unterstützerin der Glockenbachwerkstatt, plant offenbar den Abriss einiger Häuser an der Müllerstraße und einen Neubau an gleicher Stelle. Auf dem Bolzplatz würde dann ein neues Haus gemauert werden. "Das wäre eine Katastrophe für uns", sagt Filser. "Der Bolzplatz ist eine der ganz wenigen Freiflächen für Kinder in der Innenstadt." Und auch das einmalige Flair des wunderschönen Innenhofs wäre dann bedroht. "Es wäre doch schade, wenn die Stadt selbst die Plätze für Kinder wegnimmt", sagt Filser.

Kurz zuvor hat Josef Pascher, der seit 25 Jahren in der "Glocke" arbeitet, übrigens gesagt: "Hierher kommen Menschen, die nicht alles als gegeben hinnehmen wollen, und die in einer kommerzialisierten Gesellschaft ihr Eigenes suchen. Dieser Anspruch ist immer noch da." Wenn dem so ist, dann ist ja möglicherweise auch in der Bolzplatz-Frage das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Glockenbachwerkstatt, Blumenstraße 7, 80331 München, Tel: 089 268838

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