Glockenbachviertel in München:Schwulenszene und Hipster-Kiez

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Gärtnerplatz- und Glockenbachviertel sind derzeit die trendigsten Ausgehviertel Münchens. Doch es war nicht immer so. Eine Retrospektive.

Beate Wild

Trendige Bars, angesagte Clubs, hippe Städter - so präsentiert sich das Ausgehviertel zwischen Isar und Altstadtring schon seit Jahren. Für Münchens Nachtschwärmer gehört das gesamte Areal gedanklich zusammen, obwohl die Grenze zwischen Gärtnerplatz- und Glockenbachviertel geographisch betrachtet entlang der Fraunhoferstraße verläuft. Der Volksmund nennt den gesamten Kiez der Einfachheit halber nur Glockenbach. Offiziell gehören beide Quartiers zur Isarvorstadt, der auch noch das weniger angesagte Schlachthofviertel angehört.

München tolerant und offen: Schwule beim Christopher Street Day. (Foto: Foto: Heddergott)

Das Viertel, das heute fest in den Hände der Feiernden ist, hat eine bunte Vergangenheit. Es war Ende des 19. Jahrhunderts Armeleute- und Arbeiterviertel, später Theater- und Rotlichtbezirk, dann Judenviertel, Zufluchtsort für Schwule, Tummelplatz für sozial Gestrandete, Studenten- und Künstlerquartier und heute Trendviertel und Mekka der Immobilienspekulanten.

Doch diese Spezies ist keineswegs eine Erfindung der Neuzeit. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts war in München der Wohnraum knapp. Als 1854 sich München die heutigen Viertel Haidhausen, Au und Giesing einverleibte, explodierten in der Gegend um den Gärtnerplatz die Immobilienpreise. Das war das Glück des Geschäftsmanns Karl von Eichthal, denn er verfügte bereits über große Grundstücke auf diesem Gebiet. Kurzerhand nutzte er seine Chance und betätigte sich als privater Stadtentwickler und baute auf seiner grünen Wiese das Gärtnerplatzviertel.

Der Gärtnerplatz ist dem Münchner heilig

2006 schlugen die Emotionen der Münchner hoch, als es hieß der Gärtnerplatz solle neu gestaltet werden. Man wollte den ehemaligen Schmuckplatz optisch aufwerten, gleichzeitig aber auch die jungen Leute, die sich hier in warmen Sommernächten vergnügen, vertreiben. Es bildeten sich Bürgerinitiativen, die mit den Bezirksausschüssen heftig diskutierten. Zeitungen wiesen darauf hin, dass der große Reiner Werner Fassbinder auf zertrampelte Rasenflächen gestanden hätte und eine wie auch immer geartete Neugestaltung "seines" Platzes nie und nimmer hingenommen hätte und ob dieser Überlegungen im Grabe rotieren würde.

Doch die Stadt ließ sich nicht beirren und gestaltete den Platz neu. Heute kann man feststellen, dass die ganze Restaurierung gar nicht so schlimm und einschneidend war und mittlerweile längst wieder das Leben auf den Stufen des Gärtnerplatzviertels und auf dem Rasen des Rondells tobt.

Zentrum des Gärtnerplatzes ist selbstverständlich das Staatstheater, das am 25. August 1864 als Aktiengesellschaft gegründet wurde. Es ist heute eines von drei Bayerischen Staatstheatern und neben der Bayerischen Staatsoper das zweite Opernhaus der Stadt.

Die Gay-Community

Dass das Gärtnerplatzviertel zum Schwulenviertel wurde, liegt unter anderem an Karl-Heinrich Ulrichs. Der Anwalt setzte sich im Jahre 1867 für die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung Homosexueller ein, im Viertel formierte sich die Schwulenszene zum Widerstand gegen die rigiden Gesetze, die Männersex unter Strafe stellten.

Da Homosexualität verpönt war, war die Szene gezwungen sich heimlich zu treffen. Typische Treffpunkte waren öffentliche Toiletten, im Szenejargon "Klappen" genannt. Das 1900 erbaute Pissoir am Holzplatz, das heute unter Denkmalschutz steht, war eine typische Anlaufstelle der Schwulen. Die Polizei überwachte diese Orte und nahm hin- und wieder Männer, die durch "unzüchtiges Verhalten" auffielen in Gewahrsam.

Impressionen aus dem Glockenbachviertel
:Willkommen im Viertel!

Sie gelten als schick, schwul und szenig: Gärtnerplatz- und Glockenbachviertel. Doch sie haben noch viel mehr zu bieten. Impressionen eines Rundgangs.

Beate Wild

Besonders während des Naziterrors wurden die Homosexuellen geächtet und verfolgt. Bereits 1933 wurden die ersten ins KZ Dachau gebracht. Doch auch nach dem Krieg hatte die Schwulenszene es nicht leicht. In den fünfziger Jahren gab es die ersten Schwulenkneipen, von denen bis heute lediglich die 1957 eröffnete Teddy-Bar in der Hans-Sachs-Straße überlebt hat. Noch 1966 forderte die CSU die Schließung aller homosexuelln Kneipen. Ein Jahr später begann eine Münchner Schwulenlegende: Die Kellnerin Augusta Wirsing übernahm von ihrem Chef den Ochsengarten in der Müllerstraße. Sie wandelte den Laden in Deutschlands erste Lederbar um.

Sowohl der Ochsengarten als auch die Deutsche Eiche in der Reichenbachstraße trugen entscheidend dazu bei, dass sich das Gärtnerplatzviertel zum Gay-Hotspot der Stadt entwickelte. 1974 verliebte sich Regisseur Rainer Werner Fassbinder in Armin Meier, einen Aushilfskellner der Eiche, und zog deshalb in das Haus gegenüber. Als der Geliebte sich 1978 das Leben nahm, stürzte für Fassbinder eine Welt zusammen.

Der heutige Wirt der Deutschen Eiche, Dietmar Holzapfel, ist im Münchner Stadtleben und der Schwulenszene äußerst engagiert. Er hilft, den schwulen Christkindlmarkt mitzuorganisieren und nimmt regelmäßig mit seiner Belegschaft am Christopher Street Day teil.

In den achtziger Jahren zählte München mit San Francisco, New York und Amsterdam zu den vier schwulsten Metropolen der Welt. Doch mit dem Aufkommen von Aids geriet die schwule Welt am Gärtnerplatz kurzfristig ins Wanken. Vor allem der CSU-Politiker und damalige Kreisverwaltungsreferent Peter Gauweiler wollte die schwule Infrastruktur aus der Stadt fegen, um die Verbreitung der Krankheit einzudämmen. Er forderte Zwangstests, Meldepflicht und Isolation für Infizierte.

Die weltweite Schwulenszene schaute geschockt auf München. Nur einer hielt der Stadt an der Isar stets vorbehaltlos die Treue: Queen-Sänger Freddie Mercury. Er lebte zeitweilig in der Hans-Sachs-Straße. Er verkehrte in Lokalen wie die Teddy Bar, dem My Lord oder dem Pimpernel. Der Volksschauspieler Walter Sedlmayr soll im Pimpernel im Übrigen einen seiner späteren Mörder kennengelernt haben. Seit 2007 ist Sven Künast neuer Wirt im Pimpernel, seither ist der Laden auch beim heterosexuellen Partyvolk äußerst beliebt.

Genau das scheint das neue Problem des Viertels zu sein: Die Schwulenszene beklagt zunehmend, dass ihr Quatier "verhetet". Wo ein schwuler Laden dicht macht, eröffnet sofort ein "In"-Laden. Als Beispiel sei hier das Mrs. Hendersen in der Müllerstraße genannt, in desse Räumlichkeiten sich seit dem vergangenen Jahr die angesagte Paradiso Tanzbar befindet.

Doch da ein neues Schwulenviertel in München nicht in Sicht ist, werden hier wohl auch in Zukunft Homo- und Heterosexuelle gemeinsam feiern. Bisher hat das jedenfalls hervorragend geklappt.

Das Judenviertel

Die Isarvorstadt zog viele Flüchtlinge aus dem Osten an: Russische und polnische Juden, die den Progromen in ihrer Heimat entflohen waren. Rund um den Gärtnerplatz entstand Münchens Judenviertel. Um 1880 lebten in München etwa 4000 Juden, unter ihnen auch ein gewisser Albert Einstein. Seine Familie lebte in der Adlzreiterstraße 14, wo ein Onkel Einsteins die Elektrotechnische Fabrik J. Einstein & Cie. betrieb. Der Junge, der später einmal einer der bedeutensten Naturwissenschaftler der Welt werden sollte, besuchte ab 1888 das Luitpoldgymnasium in der Müllerstraße.

Nach den Verfolgungen im Osten stieg die Zahl der Juden Anfang des 20. Jahrhunderts auf über 11.000 an. Doch auch in München stand ihnen eine grauenhafte Zeit bevor. Adolf Hitler selbst ließ sich im November 1921 mitten im Herzen des Judenviertels nieder: In der Corneliusstraße 12 baute er in einem Nebenzimmer eines Gasthauses die Parteizentrale der NSDAP auf. Im Viertel begann auch der Straßenterror der Nazis. Kurz vor Weihnachten 1922 überfielen Hitlers Männer etwa die jüdische Volksküche in der Klenzestraße 4.

Die 1931 eingeweihte Synagoge in der Reichenbachstraße 27 ging in der Reichsprogromnacht 1938 in Flammen auf. Nach dem Krieg wurden die Ruinen durch einen Neubau ersetzt, 2006 zog die Jüdische Gemeinde in die neu erbaute Synagoge am Jakobsplatz um.

Die "Reißende"

Dominiert wird das Glockenbachviertel schon seit jeher von der Isar, der "Reißenden". Heute ist Münchens großer Fluß zwar nicht mehr seiner Bedeutung entsprechend "reißend", sondern nur fließend, doch in seiner Wichtigkeit für die Stadt hat die Isar nichts eingebüßt.

Die Hochwasser der Isar, die im Karwendel bei Scharnitz entspringt, waren stets sehr gefürchtet. Lange verhinderte die Isar, dass sich die Stadt nach Süden hin ausdehnte. Im 19. Jahrhundert war sie noch ein Wildfluss mitten in München, bis man ihr schließlich ein enges Korsett in Form eines betonierten Flußbettes verpasste. Seit einigen Jahren versucht München nun, ihrem Fluss die Natürlichkeit zurückzugeben. Die Renaturierung der Isarauen ist in vollem Gange.

Die Party-Meile

Der Boom ging Anfang der neunziger Jahre los, als der Bezirksausschuss und die Geschäftsleute des Viertels den Gärtnerplatz erstmals zur Partyzone erklärten. Vor allem im Sommer hat das Areal Hochkonjunktur. Zwischen Juni und September jagt ein Straßenfest das andere. Seit 1991 veranstaltet etwa das "Sub", das Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum in der Müllerstraße, jährlich ein großes Fest in der Hans-Sachs-Straße. Doch nicht nur die Gay-Community feiert hier. Das Straßenfest ist mittlerweile so beliebt, dass es sich auch auf Nebenstraßen ausgedehnt hat.

Auch ohne offiziell organisierte Party lassen es sich die jungen Münchner bei schönem Wetter nicht nehmen, es sich am Gärtnerplatz oder vor angesagten Bars des Viertels bequem zu machen. Im Sommer ist auch der Weg an die Isar nicht weit. Grillen ist zwar seit Jahren im Innenstadtbereich verboten, doch viele Cliquen machen es sich einfach mit ein paar Bierchen am Ufer bequem.

Der Wettstreit der Baumeister

Auf dem Gärtnerplatz stehen die Büsten der beiden großen Baumeister Friedrich von Gärtner und Leo von Klenze. Im wahren Leben waren die beiden Architekten verfeindet, die konkurrierten zeitlebens um die Spitzenposition.

Leo von Klenze gelangte vor allem in seiner Stellung als Hofarchitekt von König Ludwig I. von Bayern zu Bedeutung. Zu seinen Aufgabenbereichen gehörte die klassizistische Umgestaltung Münchens, unter anderem mit dem Marstall, dem Königsplatz, der Ludwigstraße, der Glyptothek und der Alten Pinakothek.

Friedrich von Gärtner folgte 1819 einem Ruf nach München als Professor der Baukunst an der Kunstakademie. Neben seinem Lehrfach leitete er als Direktor die Porzellanmanufaktur Nymphenburg und Glasmalereianstalt. Auf Empfehlung von Peter von Cornelius begann er 1829 mit dem Bau der Ludwigskirche seine schöpferische Tätigkeit in München.

Die Bäche

München verdankt seinen Aufstieg zum Teil auch den Bächen der Isarvorstadt, die hier eins ein blühendes Gewerbegebiet mit Energie und Brauchwasser versorgten. Heute ist von den zahllosen Wasserarmen, bis auf den Glockenbach, kaum noch etwas sichtbar. Dabei hatte das Viertel bis Anfang des 19. Jahrhunderts den Beinamen "Venedig des Nordens".

Die Bäche wurden von den Gewerbetreibenden für die unterschiedlichsten Zwecke genutzt. Am Ufer des Glockenbachs befand sich etwa eine Glockengießerei, am Dreimühlenbach eine Mühle, das Krankenhausbächl versorgte das Spital mit Wasser. Zwischen 1920 und 1970 wurden Schritt für Schritt die Bäche des Viertels aufgefüllt oder überbaut, da man sie nicht mehr benötigte. Heute fließen die übrig gebliebenen Gewässer unterirdisch durch das Viertel.

Mehr über das Glockenbachviertel und seine Geschichte erfährt man in dem Buch "Die Isarvorstadt" von Martin Arz, Hirschkäfer Verlag 2008.

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