Giesing:Interdisziplinäre Praxis

München: Dr. Gußmann, ICP München, mit Patient Patrick Kaufmann (21).

Umfassende Hilfe, die speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung abgestimmt ist, organisiert der Internist Felix Gußmann als Ärztlicher Leiter des neuen Medizinischen Zentrums vom 1. Februar an.

(Foto: Stefanie Preuin)

Kommende Woche eröffnet ein Zentrum, das medizinische Hilfe für Schwerbehinderte anbietet. Hausärzte sollen trotzdem die ersten Ansprechpartner bleiben

Von Sven Loerzer

Die ersten Anfragen sind schon eingegangen, obwohl die neue Praxis noch gar nicht eröffnet worden ist. Das Medizinische Zentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB), das die Stiftung ICP am 1. Februar in Giesing eröffnen wird, soll eine Lücke in der gesundheitlichen Versorgung vor allem von Menschen mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen schließen. Um den besonderen Anforderungen gerecht zu werden, wird sich dort ein interdisziplinäres Team um die Patienten kümmern.

Die Stiftung ICP, Träger des Integrationszentrums für Cerebralparesen, das aus dem früheren Spastikerzentrum hervorgegangen ist, baut damit ihr Angebot an Einrichtungen rund um die individuelle Förderung und Betreuung von Menschen mit schweren Behinderungen aus. Bei einer Cerebralparese handelt es sich um einen frühkindlichen Hirnschaden. Die Folgen davon können Mehrfachbehinderungen sein mit Störungen der Motorik, Wahrnehmung, Sprache, des Verhaltens und der kognitiven Funktionen sowie Epilepsie. Am häufigsten treten Störungen der Motorik mit erhöhter Muskelspannung auf, der Spastik, sowie abnorme Haltungs- und Bewegungsmuster, die zur Einschränkung der Gehfähigkeit, der Handfunktion sowie des Sprechens führen.

Menschen mit komplexen Behinderungen benötigen eine medizinische Versorgung, die speziell auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr erhalten diese Versorgung in den Sozialpädiatrischen Zentren. Weil sich gezeigt hat, dass Erwachsene mit Behinderung aber häufig nicht ausreichend Hilfe erhalten, werden seit 2016 bundesweit Zentren für eine spezialisierte Versorgung aufgebaut. Die Stiftung ICP richtet für das MZEB gerade barrierefrei zugängliche Räume im Erdgeschoss des Münchner Förderzentrums in der St.-Quirin-Straße 19 ein.

Ärztlicher Leiter ist der Internist Felix Gußmann, der zuvor schon als Hausarzt im Förderzentrum tätig war. Der 38-Jährige hatte schon während seines Zivildienstes in einem Heim für behinderte Kinder gearbeitet und die Betreuung behinderter Menschen auch während seines Studiums fortgesetzt. Er ist deshalb nicht nur mit dem Alltag von Menschen mit Behinderungen bestens vertraut, sondern auch mit deren Pflege. Seine Facharztausbildung hat er im Klinikum Dritter Orden absolviert.

Auch künftig bleiben die jeweiligen Hausärzte der Menschen mit Behinderung die ersten Ansprechpartner bei gesundheitlichen Problemen. Aber wenn der Hausarzt beispielsweise feststellt, dass ein Epileptiker immer mehr epileptische Anfälle hat, dann kann er seinen Patienten an das MZEB überweisen. Dort muss ein Termin vereinbart und ein ausführlicher Fragebogen beantwortet werden, um dann beim Besuch in der Praxis auch die nötigen Spezialisten zur Abklärung aufbieten zu können. So kann Gußmann die Strukturen des ICP nutzen und je nach Bedarf erfahrene Orthopäden, Neurologen, Physio-, Sprach- und Ergotherapeuten, Sozialpädagogen, Psychologen und sogar eine Pflegekraft, die einen Pflegeplan erstellt, hinzuziehen, um eine zuverlässige Diagnose zu stellen und die Behandlung einzuleiten. Auch ein Orthopädietechniker steht bereit, etwa wenn ein Rollstuhlkeilkissen für die Sitzposition nötig sein sollte oder orthopädische Hilfsmittel anzupassen sind. Alle Angebote sind durch die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen abgedeckt. Die Behandlung ist allerdings gekoppelt an den Grad der Behinderung (mindestens 70) und an das Vorliegen bestimmter Diagnosen.

Die Praxis besteht aus drei Multifunktionsräumen, die mit je einer Liege und einem Sitz ausgestattet sind. "Alle Therapeuten kommen mit ihren Geräten in den Raum zum Patienten", auf diese Weise werde vermieden, dass diese zu Untersuchungen den Raum oder gar die Praxis wechseln müssen. "Wir wollen so eine Reizüberflutung verhindern", erklärt Gußmann. Er rechnet nach Prognosen der Krankenkassen mit etwa 800 bis 1000 Patienten pro Jahr. Denn das MZEB in Giesing hat über Münchens Süden hinaus einen großen Einzugsbereich bis Miesbach ins Oberland.

Im Münchner Norden in der Rümannstraße 9 hat bereits die Stiftung Pfennigparade ein MZEB eingerichtet, das sich ebenfalls um Erwachsene mit schweren Mehrfachbehinderungen kümmert, schwerpunktmäßig um außerklinisch beatmete Patienten. Schon wegen der unterschiedlichen Schwerpunkte, aber auch der unterschiedlichen Einzugsbereiche machen sich die beiden Versorgungszentren keine Konkurrenz. Nach den Plänen zur flächendeckenden Versorgung ist je eine Million Einwohner ein MZEB notwendig.

Medizinisches Zentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB): Stiftung ICP, St.-Quirin-Str. 19, Tel. 69 38 25-511, info@mzeb-muenchen.de; Stiftung Pfennigparade, Rümannstr. 9, Tel. 83 93-79 20; MZEB_Medizinzentrum@pfennigparade.de

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