Giesing:"Gleichzeitig statt nacheinander"

Falls die Stadt als erstes den Bau eines Tunnels an der Landshuter Allee angeht, haben 250 000 Menschen im südöstlichen Ring-Abschnitt das Nachsehen. Bereits jetzt fordern Bürgervertreter vom Rathaus eine Lösung

Von Julian Raff und Hubert Grundner, Giesing

Wie die meisten Anwohner des südöstlichen Ring-Abschnitts blickt Ender Beyhan-Bilgin kopfschüttelnd auf die Tunnel-Vorentscheidung zugunsten der Landshuter Allee, von "Egoismus" à la "Wir zuerst", hält sie aber nichts. In der SPD-Fraktion des Bezirksausschusses (BA) Obergiesing-Fasangarten und in einer 2010 gegründeten Bürgerinitiative setzt sich die Obergiesingerin für eine Röhre im Viertel ein, am besten als große Variante zwischen Brudermühlbrücke und Chiemgaustraße, wo sie seit 16 Jahren wohnt.

"Scheibchenlösungen bringen nichts", kritisiert Beyhan-Bilgin einen "Priorisierungsvorschlag", der Giesing nicht nur hintanstellt, sondern auch ausgerechnet die per Ampel geregelte, stauträchtige Verzweigung zwischen Ring und McGraw-Graben ausspart. Natürlich müsse auch der "Fließverkehr" an der Landshuter Allee unter die Erde, allein schon wegen des Feinstaubs. Den wische aber auch sie täglich als graue Schmiere vom Fensterbrett - wenn sie die Schallschutzfenster einmal öffnet. Für die Stadt ergebe sich aus der Belastung eine Rechtspflicht zum Schutz der Anwohner. Deshalb lehnt sie einen Bürgerentscheid ab. Klar, Plebiszite haben die Ring-Untertunnelung überhaupt erst angestoßen. Nun müsse die Stadt diesen Weg aber ohne Spaltung der Bürgerschaft zu Ende gehen. Die von der Stadt prognostizierte Zunahme des Verkehrs durch den Luise-Kiesselbach-Tunnel hat Beyhan-Bilgin ferienbedingt noch nicht beobachtet, der Trend der vergangenen Jahre spreche aber dafür.

Landshuter Allee in München, 2014

Es wird laut in St. Theresia, wenn die Autolawine rollt.

(Foto: Florian Peljak)

Ihre Schlussfolgerung "gleichzeitig statt nacheinander" unterschreibt auch Clemens Baumgärtner ohne Wenn und Aber. Der CSU-Politiker leitet den Nachbar-Bezirksausschuss Untergiesing-Harlaching, der den Tunnel ebenfalls fordert, wenn auch nicht unisono in der ganz großen Variante. Zu sagen, "da bauen wir nicht, da gibt es Probleme", bezeichnet er als geradezu "irrsinniges Argument".

Kürzlich hat Baumgärtner einen BA-Beschluss angestoßen, wonach die Luftbelastung durch automatische Messstationen überwacht werden soll, die bei Überschreiten der Grenzwerte Alarm schlagen - um die Politik von der Dringlichkeit des Projekts zu überzeugen. Es gehe nicht darum, "Autofahrer mit achtspurigem Ausbau zu beglücken", sondern um die Gesundheit der Anwohner, verwahrt sich der BA-Chef gegen den an seine Partei gerne gerichteten Vorwurf der Klientelpolitik. Sicher, die technischen Probleme des Tunnelbaus seien hier immens, aber das Gleiche gelte für die Belastung. Baumgärtner will sich und anderen "keine Denkverbote" auferlegen und kann sich sogar Wohnhäuser über einem Tunnel vorstellen.

Eine Art freiwilliges Denkverbot hat sich hingegen die SPD-Fraktion im Bezirksausschuss Ramersdorf-Perlach verordnet. Zu beobachten war dies jüngst, als im Gremium ein gemeinsamer Antrag der Bezirksausschüsse Berg am Laim, Ramersdorf-Perlach, Obergiesing-Fasangarten und Untergiesing-Harlaching zur Abstimmung stand. Das ursprünglich von den Freien Wählern in Obergiesing initiierte Papier zielt auf eine zukunftsfähige und verträgliche Weiterentwicklung des Mittleren Rings von der Candidbrücke über die Tegernseer Landstraße, die Chiemgaustraße und den Innsbrucker Ring bis zum Leuchtenberg-Tunnel ab.

Giesing: Laut ist es an der Chiemgaustraße.

Laut ist es an der Chiemgaustraße.

(Foto: Claus Schunk)

CSU-Sprecher Simon Soukup begrüßte den Antrag als "Signal aus dem Münchner Osten an die Stadt", aber Markus Guinand (SPD) wehrte ab: "Der Antrag kommt zur Unzeit", der BA solle nicht der Entscheidung des Stadtrats im Oktober vorgreifen. Worauf ihm Werner Ruf (CSU) umgehend entgegenhielt: "Genau deshalb müssen wir uns jetzt rühren. Wir haben die Verpflichtung, uns für die Menschen im Stadtbezirk einzusetzen."

Da die SPD bei ihrer ablehnenden Haltung blieb, appellierte Soukup erneut an alle Mitglieder: "Es wäre extrem bedauerlich, wenn sich Ramersdorf-Perlach als einziges Gremium dagegen aussprechen würde." Doch auch sein Hinweis, durch den Antrag würde kein Projekt im Stadtbezirk gefährdet, verfing bei den meisten Genossen nicht. Stattdessen erwiderte Marina Achhammer (SPD): "Ihre liebenswerte Naivität, dass der Ortskern Ramersdorf davon nicht berührt würde, teile ich nicht."

Eine Mehrheit ließ sich dann von Gedanken leiten, wie sie Gunda Wolf-Tinapp (Grüne) formulierte: Sie bejahe den gemeinsamen Antrag der vier Bezirksausschüsse, weil darin endlich eine Gesamtlösung für die Verkehrsprobleme gefordert werde, statt wieder nur eine Insellösung - mit dem nächsten Tunnelprojekt - anzustreben. Obwohl sich die SPD mit Ausnahme von Andrea del Bondio und Josef Kress-del Bondio geschlossen diesen Argumenten verweigerte, ging die Abstimmung mit 25:13 für den Antrag aus.

Nach dem positiven Votum hier und zuvor in Obergiesing-Fasangarten sowie Untergiesing-Harlaching könnte am kommenden Dienstag das angestrebte Viererbündnis komplettiert werden. Dann entscheidet der Bezirksausschuss Berg am Laim, ob er ebenfalls "notwendige, zeitnahe und weitergehende Planungen für den südöstlichen Mittleren Ring" fordert. Falls ja, könnten die Vorsitzenden dieser vier Bezirksausschüsse für sich in Anspruch nehmen, Sprachrohr für circa 250 000 Menschen im Münchner Südosten zu sein. Ein solch geballter Vorstoß der Lokalpolitiker bei einem Verkehrsprojekt dürfte jedenfalls einmalig sein.

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