Giesing:Auf Augenhöhe

Beim Spaziergang durch Giesing treffen sich die Generationen, um Geschichten und Erinnerungen auszutauschen. Vor allem aber geht es darum, das Leben anderer zu verstehen und gegenseitige Vorbehalte abzubauen

Von Laura Zwerger, Giesing

Als Rudolf Kustermann noch jung und der 80. Geburtstag weit entfernt war, ist er immer mit seinen Burschen in ein Giesinger Lokal gegangen und hat sich an einen der Tische mit einem Telefon gesetzt. War der ganze Mut gesammelt, dann hat er eines der hübschen Mädchen an ihrem Tisch angerufen. "Ich hab dann immer gleich aufgelegt, wenn wirklich eine abgehoben hat", erzählt Kustermann und lacht. Er ist der älteste Teilnehmer beim ersten Giesinger Spaziergang des Alten- und Service-Zentrums Untergiesing (ASZ) und des Jugendtreffs Akku.

An diesem Dienstag haben sich rund zehn Senioren und junge Menschen am Jugendtreff an der Lohstraße getroffen, um gemeinsam durch Giesing zu streifen - die Generationen sollen sich näher kommen und sich von ihren Lieblingsorten und Erlebnissen im Viertel erzählen. Dabei ähneln sich manche Geschichten selbst über 60 Jahre hinweg: "Am Rosengarten haben sich beispielsweise schon die Älteren mit ihren Liebsten getroffen, noch heute gehen die Jugendlichen dort gerne hin", erzählt Sieglinde Felixberger. Sie arbeitet seit der Gründung des Jugendtreffs Akku vor 20 Jahren in der Einrichtung, seit 18 Jahren in leitender Funktion. Zusammen mit der ASZ-Projektleiterin Ute Schad und der Sozialpädagogin Verena Friedl organisiert sie das zweiteilige Projekt "Giesinger Geschichten", das vom Fonds der "Sozialen Stadt München" und von der "Bueb Stiftung für innovative Bildungsprojekte" unterstützt wird.

Giesing: Gemeinsam unterwegs: Auch unterm Schirm lässt es sich trefflich plaudern.

Gemeinsam unterwegs: Auch unterm Schirm lässt es sich trefflich plaudern.

(Foto: Catherina Hess)

Dabei können Jugendliche und Senioren im ersten Teil des Projektes ihre Erinnerungen miteinander teilen, im zweiten Teil soll ein Drehbuch entstehen und von den Teilnehmern nachgespielt werden. "Beim Filmen entstehen Begegnungen", sagt Schad. Dass solche Projekte die Scheu unter den Generationen erfolgreich verringern können, hat Schad bereits bei anderen Veranstaltungen erlebt. "Unsere Seniorin Elke produziert seit einiger Zeit zum Beispiel Rap-Songs zusammen mit Jugendlichen", erzählt sie.

Elke Paulussen ist auch bei diesem Projekt wieder dabei. An dem Nachmittag wird sie schnell mit den Jugendlichen warm - sie lässt sich ein Tablet erklären oder hebt beherzt eine junge Frau während des Spaziergangs hoch, damit sie in ein altes, wassergeflutetes Steingemäuer schauen kann. Paulussen freut sich immer, wenn sie Zeit mit jungen Leuten verbringen kann: "Wenn wir älter werden, sollten wir uns an den Jungen orientieren und nicht rückwärts", sagt die 71-Jährige, "die jungen Leute haben noch so eine schöne Unbekümmertheit und Offenheit."

Giesing: Beim Giesinger Spaziergang sollen sich die Generationen näher kommen und von ihren Lieblingsorten und Erlebnissen im Viertel erzählen.

Beim Giesinger Spaziergang sollen sich die Generationen näher kommen und von ihren Lieblingsorten und Erlebnissen im Viertel erzählen.

(Foto: Catherina Hess)

Benennen die Senioren an diesem Nachmittag Vorbehalte, die sie oft von Gleichaltrigen hören, dann werden Jugendliche meist als Störfaktoren, lärmende Partymeute oder als wenig rücksichtsvoll beschrieben. "Dabei stimmt das gar nicht", sagt Elisabeth Thal, "ich erlebe es oft, dass junge Leute aufstehen und einem ihren Platz anbieten." Die 77-Jährige schätzt das Projekt , sonst gebe es nämlich nur selten Kontaktmöglichkeiten zu jungen Leuten.

Dass ältere Menschen gegenüber Jugendlichen oft Vorbehalte haben, das spüren auch die Teilnehmer aus dem Jugendtreff. "Meist meinen wir ja, dass ältere Leute schlecht von uns denken", sagt Fosia, "aber heute haben sie uns beeindruckt und uns gezeigt, dass das nicht immer so ist." Fosia ist zwölf Jahre alt und kommt oft in den Jugendtreff, meist zum Fußball spielen oder Tanzen. Mit Älteren kommen weder sie noch die anderen Jugendlichen außerhalb der Familien in Berührung: "Jetzt würde ich aber gerne noch mehr über das Leben von früher erfahren."

Geschichten haben sich die jungen und alten Teilnehmer des Giesinger Spaziergangs noch viele zu erzählen, schnell bilden sich kleine Grüppchen. Mal wird Elke Paulussens Bauernweisheiten über die Jahreszeiten gelauscht, mal gibt Rudolf Kustermann eine Geschichte aus seiner Jugend zum Besten. Und auch wenn viele der Geschichten an diesem Nachmittag von "früheren" Zeiten handeln, sind sich die Senioren einig: "Dass früher alles besser war, das stimmt so nicht. Es war einfach eine andere und genauso schöne Zeit."

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