Gewalt in Kontaktladen:Drogennotdienst braucht selbst Hilfe

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Im Kontaktladen L 43 kommen täglich 120 Süchtige vorbei. Hier erhalten sie Essen und auch neue Spritzen.

(Foto: dpa)
  • 115 Mal mussten die Mitarbeiter des Kontaktladens L 43 vergangenes Jahr bei Auseinandersetzungen zwischen Besuchern des Drogennotdienstes eingreifen.
  • Nun soll die Einrichtung einen Sicherheitsdienst bekommen.
  • Die Anlaufstelle hilft schwerst Drogenabhängigen, bietet eine 24- Stunden-Beratung, eine Notschlafstelle und frische Spritzen.

Von Dominik Hutter

Vor eineinhalb oder zwei Jahren, so versichert Jörg Gerstenberg, da hätte man wohl noch gesagt: "Das geht gar nicht." Inzwischen aber sind die Mitarbeiter des Kontaktladens L 43 überzeugt, dass es ohne Sicherheitsdienst nicht mehr funktioniert in den Hinterhofräumen in der Landwehrstraße. Schon der Kollegen wegen, die immer öfter Streit unter den Besuchern des Drogennotdienstes schlichten müssen und dabei zunehmend offenen Aggressionen ausgesetzt sind.

115 Mal mussten sie im Jahr 2015 bei "massiven, spontanen, handgreiflichen Auseinandersetzungen deeskalierend eingreifen", wie es die städtische Gesundheitsreferentin Stephanie Jacobs formuliert. Verletzt wurde glücklicherweise niemand, obwohl nach Auskunft Gerstenbergs durchaus schon mal eine Bierflasche durch die Luft fliegt. Nun will die Stadt den bedrängten L 43ern für 82 000 Euro einen Sicherheitsdienst spendieren. Das Thema steht an diesem Dienstag auf der Tagesordnung des Stadtrats.

Was sich in der seit 1993 bestehenden Einrichtung im Bahnhofsviertel abspielt, klingt dramatisch: Von "wüsten Beschimpfungen und Schlägereien untereinander" ist in der Beschlussvorlage für den Stadtrat die Rede. Von Streitereien, "die vom Personal nur schwer und unter persönlichen Risiken beendet werden können". Flaschen flögen durch die Luft, Einrichtungsgegenstände wie die Eingangstür würden beschädigt. Im Hof, in der Einfahrt und auf dem Gehweg der Landwehrstraße bildeten sich Gruppen, die Passanten belästigen.

Immer mehr Leute hätten Hausverbot - und würden aggressiv, wenn sie zum Verlassen des Hofes aufgefordert werden. Dazu kämen eine starke Vermüllung, "Ansätze zum Lagern" und Konflikte mit Anwohnern sowie Besitzern der umliegenden Geschäfte. Im L 43 ist seit 2015 sicherheitshalber ein Notrufsystem installiert.

Die vom Verein "Prop" betriebene Anlaufstelle hilft schwerst Drogenabhängigen, die von den auf Abstinenz angelegten Angeboten der Suchthilfe kaum mehr erreicht werden können. Es gibt eine 24-Stunden-Beratungsstelle, einen Cafébetrieb mit Spritzentausch und eine Notschlafstelle. Das Angebot ist kostenlos und richtet sich bewusst an eine Klientel, die weiterhin Drogen nimmt und Therapien ablehnt. Stattdessen gibt es Krisenintervention, Kontakte, eine Grundversorgung mit Essen und Körperpflegemitteln sowie akute HIV- und Hepatitis-Prävention durch Spritzentausch.

Dass die Besucher so aggressiv auftreten, ist nach Auskunft Gerstenbergs ein neues Phänomen. "Die Klienten verändern sich", berichtet der Sozialpädagoge, der dafür vor allem einen Grund sieht: die neuen psychoaktiven Substanzen (NPS), die in der Drogenszene genommen werden. Heroinsüchtige verhielten sich deutlich ruhiger als NPS-Konsumenten, die oft unter Psychosen wie Verfolgungswahn litten. Diese Leute seien nur noch schwer zu erreichen und hätten "eine kurze Zündschnur", hat Gerstenberg beobachtet. Da wird es im Gespräch schnell laut und anschließend aggressiv.

Weil es einfach nicht mehr ging, hat L 43 schon einmal auf eigene Kosten für sechs Wochen einen Sicherheitsdienst engagiert - im vergangenen Sommer. Mit positiven Folgen: Es gab deutlich weniger Probleme, die Süchtigen kamen aber trotzdem in den Kontaktladen. Denn das will das Gesundheitsreferat natürlich auch nicht - dass das für die Versorgung schwer drogenabhängiger Münchner so wichtige L 43 plötzlich für die eigene Klientel unattraktiv wird. Dieser Effekt wird befürchtet, wenn etwa bei jedem Vorfall die Polizei gerufen würde.

Auf Dauer aber kann sich L 43 keinen Sicherheitsdienst leisten. Stimmt der Stadtrat dem Vorschlag Jacobs' zu, springt das Rathaus in die Bresche. Einmalig für ein Jahr und einen Monat, wie es in der Vorlage heißt. Nach Auskunft Gerstenbergs sollen die neuen Security-Kollegen vor allem im Hof sichtbar sein. Damit die Arbeit von L 43 weitergehen kann. Der Laden gilt als stark frequentiert: Rund 120 Leute kommen pro Tag vorbei.

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