Gespräch zum Muttertag:"Kinderkriegen ist kein Projekt"

Grafik Muttertag

Mutter sein: Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

(Foto: SZ Grafik)

Drei Frauen sprechen über die Selbstverständlichkeit des Kinderkriegens, den richtigen Umgang mit dem Nachwuchs und das Gefühl, perfekt sein zu müssen. Ein Generationengespräch.

Von Anne Goebel und Christina Warta

Was bedeutet es heute, Mutter zu sein? Um diese Frage zu beantworten, lud die SZ drei Frauen zu einem "Müttergipfel": die Journalistenschülerin Hanna Maier, 25, die Mathematikerin Stefanie Ress, 40, und die Schriftstellerin Franziska Sperr, 65.

An diesem Sonntag ist Muttertag. Was bedeutet Ihnen dieser Tag?

Franziska Sperr: Ich habe überhaupt keine Beziehung zum Muttertag und bin auch in einer Familie großgeworden, in der er keine Rolle gespielt hat. Der Impuls kam ursprünglich aus der Frauen- und Friedensbewegung. Das ist verkommen zu einem Konsumfest. Die Firmen jubeln, die Mütter auch, weil sie Beachtung bekommen oder ein Geschenk - also, ich finde das veraltet. Dieses Ehren der Mutterschaft als solcher, was soll der Popanz?

Frau Maier, Frau Ress, Sie sind jünger. Sehen Sie das ähnlich?

Hanna Maier: Ich verstehe den Ansatz. Aber es wird sicher ein Geschenk geben von der Krippe, in der meine Tochter ist.

Stefanie Ress: Ja, man kommt gar nicht drum herum. Die Kinder haben etwas vorbereitet, das sie überreichen - das ist für sie etwas Besonderes. Ich schenke meiner Mutter nichts, sie legt explizit keinen Wert darauf. Durch eigene Kinder bekommt der Tag aber eine neue Bedeutung.

Maier: Der Gedanke, dass man der Mutter einen Tag schenkt, gefällt mir eigentlich. Außerdem wäre der Tag ein guter Anlass, über die gesellschaftliche Position der Mütter nachzudenken. Sollen sie mehr arbeiten? Sollen sie mehr Platz im öffentlichen Raum bekommen? Andererseits sollen sie nicht mit den Kinderwagen schubsen - alles ungeklärte Fragen. Ich glaube jedenfalls, dass Frauen, die vor 30 Jahren Kinder bekamen, das selbstverständlicher getan haben. Heute ist Kinderkriegen ein, wie soll ich sagen, ein "Projekt".

Also bekamen Frauen früher ihre Kinder unaufgeregter - und heute wird die Sache zum Großereignis stilisiert?

Ress: Ich glaube, die Lebensveränderung war immer gleich. Was ein Kind bedeutet, merkt man erst, wenn es da ist. Wir machen heute ein Projekt daraus, weil wir aus allem ein Projekt machen. Alles muss unbedingt etwas Besonderes sein. Ich habe meine Kinder eher spät bekommen, da ist im Leben schon viel passiert. Man konzentriert sich manchmal vielleicht zu sehr darauf, wie man Veränderungen meistert.

Ist das der Unterschied zum Muttersein früher, Frau Sperr? Ihre Kinder wurden Anfang der Achtzigerjahre geboren.

Sperr: Es war immer kompliziert, Kinder in die Welt zu setzen. Nach dem Krieg lag alles in Schutt und Asche, trotzdem wurden Kinder geboren. Ich glaube nicht, dass es früher selbstverständlicher war. Man hat nur nicht alles so ordentlich gemacht.

Gespräch zum Muttertag: Drei Generationen von Müttern im Gespräch: Stefanie Ress, Hanna Maier und Franziska Sperr (von links).

Drei Generationen von Müttern im Gespräch: Stefanie Ress, Hanna Maier und Franziska Sperr (von links).

Was meinen Sie mit ordentlich?

Sperr: Naja, mich erschreckt das manchmal, wenn ich Mütter beobachte. Ich kenne eine Mutter, die über ihre Zweijährige sagt: Mein Kind muss teilen lernen, als müsse sie sich mit ihr über das Wesen des Teilens auseinandersetzen. Oder sie isst morgens keine Cornflakes, damit das Kind nicht auch welche möchte. Meine Güte, anstatt dass man einfach sagt, du nicht und ich schon! Dieses wahnsinnige Eingehen auf die Kinder, das sehr Strukturierte. Alles ist total kontrolliert. Die Überwachung durch das Handy, das Verbot von Schneeballschlachten an der Schule wegen der Versicherung - Wildheit ist für Kinder gar nicht mehr möglich.

Sie schütteln den Kopf, Frau Maier - sehen Sie das anders?

Maier: Ich halte das für ein Gerücht, dass Kinder nicht mehr wild sein dürfen. Kinder haben heute klar gesetzte Rahmen, in denen sie wild sein können. Und zu dem Ordentlich-Sein: Man wird als Mutter heute dauernd begutachtet, von anderen Eltern und von Fremden. Das ist ein ständiges Abgleichen, und wenn mal die Socken verschieden sind, gilt man als asozial. Für Alleinerziehende gilt das noch mehr. Ich gebe mir viel Mühe, damit meine Tochter toll aussieht und keiner denkt, da könnte etwas im Argen liegen.

Sperr: Das ist süß.

Maier: Ja, damit sie sehen, dass ich die Zukunft Deutschlands schaffe.

Spielt dieser Druck auch hinein, dass in Deutschland immer weniger Kinder geboren werden?

Ress: Ich weiß nicht. Es steckt eher in einem selbst. Ich habe festgestellt, dass meine Eltern, wenn die Kinder herumtoben und ich schon ermahne, sagen: Lass doch. Sind doch Kinder.

Sperr: Das Vergleichen wird in der Schule noch schlimmer. Ich glaube, es sind oft die Eltern, die Druck machen. Die immer hinterher sind, etwas Perfektes zu haben und zu präsentieren, wie ein Juwel. Ein Kind muss heute etwas Reines, Gelungenes, Makelloses sein. Ich glaube, das gilt vor allem für Deutschland. Es hat mit Unsicherheit zu tun, mit Angst vor Eigenarten.

Durften Kinder früher mehr als heute?

Wer heute in den Vierzigern ist, hat jedenfalls das Gefühl, dass er selbst als Kind sehr viel mehr durfte als Kinder heute.

Ress: Wir sind relativ sorgenfrei aufgewachsen. Jetzt sind wir Eltern, und vermutlich sind wir auf der Suche nach Steigerung: Wie kriegt man das noch besser hin? Man will noch eins draufsetzen.

Was empfinden Sie, wenn Sie sehen, dass Ihre Eltern vermeintlich lockerer mit den Kindern umgehen - denken Sie: So wäre ich auch gerne?

Ress: Ich bilde mir immer noch ein, ich wäre auch locker (lacht).

Sperr: Es ist eine ständige Gratwanderung. Meine Mutter war sehr lässig. Die hat mich schon mit 15 mit dem Auto zum Bäcker geschickt. Heute ginge das nicht mehr, es wäre wirklich fahrlässig.

Welche Rolle spielt denn der Partner? Erfolgreiche Frauen raten häufig, dass man sich den richtigen Mann suchen müsse, wenn man als Frau Karriere mit Familie vereinbaren will - sonst funktioniert es nicht?

Maier: Ich habe das dauernd gehört: Ein Kind in der Ausbildung - das funktioniert nicht. Eine Karriere mit Kind ohne Mann - das geht nicht. Der finanzielle Background muss stimmen, sonst geht das nicht. Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Kinderkriegen ist kein Projekt, sondern kann teilweise auch nebenbei funktionieren. Sperr: Das finde ich eine sehr gute Einstellung. Ein Kind kriegt man, und dann muss man sich arrangieren. Man kann nicht warten, bis alles stimmt.

Das heißt: Der Partner spielt eigentlich keine Rolle?

Ress: Natürlich schon. Und für mich sind die Heldinnen des Alltags tatsächlich alleinerziehende Frauen, die alles alleine unter einen Hut kriegen. Gerade wenn ich sehe, wie sehr man an seine Grenzen kommt, wenn man arbeitet - dabei habe ich einen Partner und Großeltern im Hintergrund. Trotzdem finde ich es anstrengend.

Sie arbeiten als Mutter in Teilzeit. War es in Ihrer Partnerschaft jemals Thema, ob Ihr Mann reduziert und nicht Sie?

Ress: Für mich war klar, dass ich es mache. Es ist ein Luxus, den ich für mich als Frau sehe, mehr Zeit mit den Kindern verbringen zu können.

Maier: So habe ich das noch nie gesehen. Für mich hat das fast etwas Unemanzipiertes, wenn die Frau sagt: Ich stecke zurück.

Ress: Ich finde, es ist ein Vorteil. Es ist ohnehin eine kurze Zeit, in der die Kinder einen wirklich brauchen.

Spiegelt Frau Maiers Reaktion die derzeitige Diskussion wider? Emanzipiert ist, wer nicht zurücksteckt?

Ress: Ich glaube schon, dass gerade die Deutschen dazu neigen, alles schaffen zu wollen. Erfolgreich im Beruf sein und eine gute Mutter, eine super Beziehung führen, tolle Reisen machen und, und, und. Man erstickt am eigenen Perfektionismus.

Mussten Sie sich von dem auch ein Stück frei machen?

Ress: Unsere Kinder kamen in dem Moment, als ich eine weiterführende Stelle angenommen hatte. Ich war in der neuen Position - und gleich erst mal wieder weg. Natürlich versuche ich, meine Arbeit gut zu machen. Natürlich möchte man Wertschätzung erfahren. Dennoch gehen meine Kinder immer vor. Ich war Gott sei Dank nie vor die Wahl gestellt: Kinder oder Arbeit.

Sperr: Frauen, die eine Woche nach der Niederkunft wieder einsteigen, um zu beweisen, dass es geht - das finde ich eher schaurig und gar nicht bewundernswert.

Kinder und Job zu vereinbaren geht nur mit guter Betreuung. Wie beurteilen Sie die Situation in München?

Ress: Ich bin da in einer recht komfortablen Lage, habe Eltern und Schwiegereltern im Hintergrund und die Munich Re als Arbeitgeber, der mich sehr unterstützt, auch finanziell. Nur deshalb war es möglich, so weiterzuarbeiten, wie ich es getan habe.

Maier: Ich habe in meiner Ausbildung einen festen Stundenplan. Meine Tochter ist von acht bis 17 Uhr in der Betreuung. Ich habe Anspruch auf einen studentischen Kindergartenplatz. Das läuft sehr gut. Aber klar, mein Tagesplan ist sehr, sehr fix. Und wenn mal was nicht läuft, dann läuft gleich alles nicht mehr.

Wie sollte Ihrer Meinung nach das Verhältnis zwischen Mutter und Kind sein?

Maier: Ich wohne bei den Pinakotheken im Studentenwohnheim. Auf dem Spielplatz erlebe ich Frauen, die sich von ihren Kindern dirigieren lassen . . .

Sperr: Ja, furchtbar. Das sind Eltern, die sich ihre Persönlichkeit abgewöhnt haben. Ich kenne Frauen, die heimlich rauchen und sagen, ihr vierjähriges Kind habe es ihnen verboten. Mütter sollten ihre Souveränität nicht verlieren.

Maier: Was ich aber auch schlimm finde, sind Eltern, die sich kleiden wie ihre Kinder, lustige Erdbeerhüte tragen wie sie und dabei aber sehr unentspannt und erwachsen sind.

Ress: Aber das gab es, denke ich, zu allen Zeiten: Mütter, die in der Babysprache mit ihren Kindern reden. Und die Kumpelmutter, die die beste Freundin ihrer Kinder ist.

Ist man selbst davor gefeit, in eine der Kategorien zu rutschen - selbst wenn man glaubt, in Erziehungsfragen unabhängig zu sein?

Maier: Das führt dazu, dass man sich dauernd Fragen stellt. Meine Tochter versteht zum Beispiel nicht, was es heißt, wenn ich frage: Tut es weh? Also sage ich: Macht es Aua? Aber dann denke ich, so zu reden, das geht gar nicht.

Sperr: Doch, das ist okay.

Maier: Ich weiß nicht.

Sperr: Doch, wenn man damit aufhört, wenn das Kind 30 ist.

Maier: Dann bin ich ja beruhigt.

Sperr: Man muss nicht so rigoros sein. Nicht mit sich und nicht mit dem Kind. Ich glaube, das ist das Geheimnis.

Genau darin scheint das Problem zu liegen: Fehler sind nicht vorgesehen.

Ress: Wir sind wahrscheinlich sehr ratgebergeprägt. Beim Thema Süßigkeiten zum Beispiel, das wird durchgezogen bis zum Äußersten, kein Saft wird ohne Verdünnung getrunken. Dabei verstehen Kinder ganz schnell, wenn man sagt: Zu Hause ist das so, aber im Lokal darfst du auch mal anders. Da erlegt man sich einen Kodex auf, den man nicht bräuchte.

Sperr: Also, das interessiert mich jetzt. Lest ihr tatsächlich Ratgeber? Ich wusste lange gar nicht, dass es wirklich zu jedem Elternthema welche gibt.

Maier: Ich habe aufgehört damit. In der Schwangerschaft habe ich noch welche gelesen, aber da standen dann so beunruhigende Sachen, dass mein Exfreund immer jeden Abschnitt vorher lesen musste. Danach habe ich noch einen Schlafratgeber gelesen, das war's. Ich glaube, dahinter steckt ein großes Suchen nach Regeln.

Aber Frauen haben jahrhundertelang Kinder bekommen ohne Bücher, in denen steht, wie das Baby durchschläft.

Sperr: Vielleicht sind die Ratgeber ein Ersatz für die Großfamilie. In den Kleinfamilien von heute ersetzt die Literatur die Großeltern und die alte Tante, die sich auch noch in die Erziehung einmischt.

Ress: Das ist wahr. Ich habe keine gelesen, aber ich hatte auch nie Angst davor, was es heißt, ein kleines Kind zu haben. Ich komme aus einer Familie, in der immer kleine Kinder da waren. Es gab den Austausch unter den Generationen, und ich hatte das Gefühl, ich muss mir nichts anlesen.

Viele Frauen machen es aber anders.

Ress: Klar. Und das übt auch Druck aus. Wie bitte, keine Frühförderung, kein Babyschwimmen - irgendwann fragt man sich: Kann mein Kind überhaupt groß werden? Kann es. Und schwimmen lernen sie auch.

Haben Sie sich Gedanken gemacht, welche Werte Sie vermitteln wollen?

Maier: Doch, ich schon. Ich komme aus so einer Art Hippie-Familie, und es ist mir wichtig, dass meine Tochter Zuneigung für andere Menschen empfindet. Und ich zeige ihr viele Dinge, sie soll ein Auge für ihre Umwelt bekommen.

Ress: Ich möchte es schaffen, den Kindern so viel Geborgenheit zu geben, dass der Kontakt nie abreißt. Dass sie, egal in welcher Situation, die Eltern immer als Anlaufstation sehen. Ich glaube, wenn sie diese emotionale Stärke erfahren, ist ein Großteil geschafft. Alles andere, fürchte ich, liegt in anderen Händen.

Sperr: Sehr lebensklug. Meine Kinder sind schon groß, und es hat irgendwie funktioniert: Wir haben engen Kontakt. Dass wir uns gerne sehen und schöne Gespräche führen - ich bin dankbar, dass ich interessante Kinder habe.

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