Gesichtserkennnung bei der Polizei:Selfies könnten in Zukunft Verbrechen aufklären

Gesichtserkennung am Computer, Landeskriminalamt in der Maillingersraße

Alphonse Bertillon war der erste Kriminalist, der Menschen vermaß. Auch deswegen hat ihn LKA-Mann Herbert Anders als Hintergrundbild auf seinem Monitor.

(Foto: Florian Peljak)
  • Die Polizei setzt bei ihren Ermittlungen immer mehr auf Gesichtserkennung.
  • Durch Handyfotos oder Überwachungskameras gibt es sehr viel Bildmaterial, das Täter überführen könnte.
  • Derzeit verfügt die Polizei über eine Datenbank mit 3,4 Millionen Bildern.

Von Susi Wimmer

Wer verdächtige Beobachtungen gemacht hat, sollte sich bitte an die Polizei wenden: Dieser übliche Fahndungsaufruf der Polizei könnte schon bald altbacken klingen. Stattdessen wird die Polizei fragen: Wer zur Tatzeit vor Ort war, sollte doch bitte Handyfotos, Selfies oder Videoaufnahmen an die Polizei schicken. Damit sie eventuell den Täter via Computer-Gesichtserkennung herausfiltern kann.

"Ja gut", sagt Bernhard Egger vom Bayerischen Landeskriminalamt (LKA), "solche Fahndungsmethoden sind noch Zukunftsmusik". Die Betonung liegt auf "noch". Denn bereits jetzt verfügt die Polizei über 3,4 Millionen Gesichter mit Namen in ihrer Datenbank, die sie mithilfe eines biometrisch-basierten EDV-Systems automatisch durchforsten kann. Das heißt, der Computer erkennt Gesichter und kann sie abgleichen.

Nach Fingerabdruck und DNA kommt die Gesichtserkennung

"Wir haben so viele Bilder, die auf irgendwelche Weise in die Welt gesetzt werden, und wir können sie jetzt für die Fahndung nach Straftätern oder auch Zeugen nutzen", sagt Egger. Er ist Leitender Kriminaldirektor und leitet am LKA die Abteilung zentrale kriminalpolizeiliche Dienste. Nach dem Siegeszug von Fingerabdruck und DNA in der Kriminaltechnik ist die Gesichtserkennung für den Polizisten nun "die dritte Dimension, die Zukunft".

Das Portrait des Franzosen Alphonse Bertillon ziert den Bildschirmschoner von Kriminalhauptkommissar Herbert Anders (Name geändert). Der Kriminalist Bertillon begann 1879 in der Pariser Polizeipräfektur, Gefangene aufgrund ihrer Körpermaße zu erfassen. Das ging von der Vermessung der Finger bis hin zur Länge der Füße oder Ohren. Und Herbert Anders wandelt auf Bertillons Spuren: Er ist Gesichterfahnder, er vergleicht per Computer das Konterfei eines Verdächtigen mit den Fotos in der polizeilichen Datenbank.

Das System basiert auf der Vermessung des Gesichtes: Ausgehend von den Augen wird der Abstand zur Nase, zum Mund, zum Haaransatz und so weiter berechnet. Binnen Sekunden liefert der Computer die hundert besten Treffer: Menschen mit identischen oder ähnlichen Gesichtsmaßen, die von der Polizei irgendwann einmal erkennungsdienstlich behandelt wurden. Da können Männer wie Frauen auftauchen, 80- oder 20-Jährige, der Computer verlässt sich nur auf die Biometrie.

Gesichtserkennung am Computer, Landeskriminalamt in der Maillingersraße

LKA-Mann Herbert Anders (rechts, mit seinem Abteilungsleiter Bernhard Egger) hat Alphonse Bertillon als Hintergrundbild auf seinem Monitor.

(Foto: Florian Peljak)

3,4 Millionen Bilder sind in der Polizeidatenbank

Auch bei einem der spektakulärsten Fälle des vergangenen Jahres setzte die Polizei auf das Verfahren: Anfang Juni 2015 entführte ein 52-Jähriger die Ehefrau eines Ottobrunner Bankmanagers und steuerte mit ihr einen Supermarktparkplatz im Westend an. Dort konnte sich die Frau selbst befreien und davonlaufen. Der Täter marschierte eiligen Schrittes über ein benachbartes Firmengelände und wurde dort von den Videokameras frontal gefilmt.

Die Polizei konnte nun einen Screenshot machen und das Foto des Täters mit den 3,4 Millionen eingestellten Bildern in ihrer Datenbank vergleichen. Allerdings: Es war vergeblich. Der Täter war bis dato polizeilich noch nicht in Erscheinung getreten. Da hilft auch die beste Gesichtserkennung nichts.

Die Polizei, so sagt Egger, stehe mit dieser Technik ohnehin noch am Anfang. Tatsächlich werde die Methode bereits seit 2008 angewendet, bislang aber öffentlich noch nicht an die große Glocke gehängt. "Anfangs haben wir einen Fall pro Monat geklärt, jetzt ist es einer pro Woche." Das LKA arbeitet daran, die neue Technik auch in den bayerischen Polizeidienststellen publik zu machen. "Denken Sie nur an die Fotos, die überall gemacht werden", meint der Leitende Kriminaldirektor.

Woher die Bilder kommen

Ob in Diskotheken, im Internet, von Überwachungskameras, oder die beliebten Selfies. Auch im Bereich der Kinderpornografie nutzt die Polizei die Technik, um an Namen von Tätern zu gelangen. Generell kann die Polizei alle öffentlich zugänglichen Bilder nutzen. Vor gut einem Jahr etwa hatten Beamte einen illegal eingereisten Mann erwischt und sein Handy sichergestellt. Darauf hatte er noch Erinnerungsfotos mit seinem Schleuser gespeichert. Für die Polizei natürlich ein guter Ansatz, um an die Schleuser-Netzwerke heranzukommen.

Oder bei Schlägereien im Bereich der Kultfabrik. Wo Zeugen früher bei der guten alten Wahllichtbildvorlage im Präsidium saßen und Fotos von Verdächtigen in Augenschein nahmen, hilft jetzt das Netz: Fast jede Disco veröffentlicht im Internet die Party-Bilder der vergangenen Nacht. Erkennt ein Zeuge darauf einen Verdächtigen, lässt Kriminalhauptkommissar Herbert Anders das Foto durch die Datenbank laufen.

Nicht selten führen die biometrischen Daten zum Täter. "Im vergangenen Jahr haben wir gut 2000 Recherchen durchgeführt und 45 Fälle dank der Gesichtserkennung geklärt", sagt Egger. Die Palette der Tatverdächtigen reichte von der Ladendiebin bis hin zum islamischen Extremisten, der sich mit Kämpferpose auf einem Handy ablichten lässt. Bislang sind die Resultate aus der Gesichtserkennung noch nicht gerichtsverwertbar. "Aber sie können einen Ermittler auf die Spur bringen, ein Mosaikstein bei der Aufklärung eines Verbrechens", so Egger.

Private Fotos auf Facebook können nicht durchsucht werden

Auch am Münchner Flughafen wird mit der biometrischen Gesichtserkennung gearbeitet, Easy Pass nennt sich das System und es soll die Passkontrolle erleichtern. Die dort erfassten Daten werden aber nicht gespeichert, die Polizei kann auch nicht darauf zugreifen. Sie kann auch nicht die Fotos durchsuchen, die in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter gepostet werden.

Natürlich können die Gesichterfahnder eine einzelne Person herauspicken und das Gesicht dann mit den 3,4 Millionen Daten vergleichen. Aber sie können nicht andersherum mit dem Foto eines Verdächtigen die sozialen Netzwerke durchsuchen, um auf seinen Namen zu kommen. Ebenso haben die Fahnder keinen Zugriff auf die Datenbank des Kreisverwaltungsreferats mit ihren biometrischen Ausweisfotos.

Momentan arbeiten Eggers Leute daran, dass Zeugen Fotos online der Polizei zusenden können. Im oberfränkischen Burgebrach, wo in der Silvesternacht die elfjährige Janina erschossen wurde, setzte das LKA erstmals Video-Uploads ein: Sie forderte die Bevölkerung auf, alle Videos der Polizei zu schicken, die in der Nacht in Tatortnähe gemacht wurden.

Auf ungewöhnliche Weise konnten Ermittler 2014 einen Einbruch in Freising aufklären. Die Täter waren in eine Wohnung eingedrungen, hatten den Tresor aufgeflext und Schmuck im Wert von gut 100 000 Euro gestohlen - und: ein iPad. Einer der Täter nutze das Tablet und fotografierte unter anderem seine eigene Hochzeit damit. Die Bilder erschienen auch in der Cloud, die mit dem iPad verknüpft war. Auf die konnten die Fahnder zugreifen und so die Tat klären. Die Flitterwochen des Einbrechers dürften wenig romantisch ausgefallen sein.

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