Geschichte des CSD in München:Aufbruch zu neuen Ufern

Geschichte des CSD in München: Die erste richtige Schwulendemo Münchens fand im Juni 1976 im Nymphenburger Park statt.

Die erste richtige Schwulendemo Münchens fand im Juni 1976 im Nymphenburger Park statt.

(Foto: Forum Homosexualität München/oh)

Sie trafen sich in schummerigen Kneipen, Parks, öffentlichen Toiletten, heimlich und in ständiger Angst vor der Sittenpolizei. Dann gingen vor 40 Jahren erstmals Schwule auf die Straße, um sich zu outen: Wie in München der Kampf um die Gleichberechtigung begonnen hat.

Von Karl Stankiewitz

Am 19. Juli 1973 gingen homosexuelle Männer in München zum ersten Mal auf die Straße, um sich als "Schwule" zu "outen"; diese beiden Ausdrücke waren damals allerdings noch nicht in Gebrauch. Ausdrücklich wollten sie um Verständnis werben bei den uninformierten, meist vorurteilsvollen Mitbürgern.

Ihnen durfte die Homosexuelle Aktion München (HAM) mit behördlicher Genehmigung vier Tage lang durch Info-Stände in der Fußgängerzone und Flugblätter bekannt machen: "Homosexuelle Männer sind genauso MÄNNER wie Sie, lesbische Frauen genauso FRAUEN wie Sie, nur dass sie mit ihrem Verhalten die in unserer Gesellschaft beherrschenden Normenklischees und Verhaltensmuster in Frage stellen."

Nun, 40 Jahre später, haben sich Veteranen und heutige Wortführer der Schwulenbewegung im Stadtmuseum getroffen (wo zurzeit die Ausstellung "Wem gehört die Stadt?" zu sehen ist) - zum kritischen Gespräch über die sexuelle Revolution in München, über Höhen und Tiefen einer noch nicht abgeschlossenen gesellschaftlichen Emanzipation. Es war damals ein Aufbruch zu neuen Ufern.

Bis dahin bildeten Homosexuelle nur ein anonymes Stück Subkultur in der Großstadt. Sie trafen sich in schummerigen Kneipen, Saunen, Parks, öffentlichen Toiletten, heimlich und in ständiger Angst vor der Sittenpolizei. Von Selbstbewusstsein keine Spur. Auch die 1969 beschlossene Milderung des von den Nazis verschärften, die "widernatürliche Unzucht" verfolgenden Paragrafen 175 hatte daran wenig geändert.

"Wir blieben ausgegrenzt, eine unterdrückte Minderheit", so erinnerte sich im Stadtmuseum einer der älteren Herren. Das "gesunde Volksempfinden" und seine politischen Protagonisten hätten sie weiterhin bestenfalls für anomal gehalten, oft schlicht für krank. Tatsächlich suchten nicht wenige Homosexuelle Hilfe beim Psychiater. "Ich spritzte mir sogar Hormone", berichtete ein Mann. Trotzdem, meinte ein anderer, "war ich nicht unglücklich, ich passte mich halt an".

"Plötzlich waren wir überhaupt existent"

Das alles änderte sich erst im Gefolge der Studentenrevolte von 1968. Der Kampf um Gleichberechtigung von Minderheiten wurde zum Politikum; die Homosexuellen-Szene mischte sich ein, traf sich nun regelmäßig und entwarf in kleinen Aktionsgruppen allerlei Modelle. "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" - diese Filmprovokation des Rosa von Praunheim wurde zwar von vielen von ihnen kritisiert, stärkte aber gleichwohl ihr kollektives Coming-out. "Plötzlich waren wir überhaupt existent."

In der Öffentlichkeit jedoch wurden die Schwulen zunächst nicht wahrgenommen. So brachte die Süddeutsche Zeitung kein einziges Wort über die bis 22. Juli 1973 dauernden Info-Tage, während sie immerhin den ersten Münchner Flohmarkt zu melden wusste.

Klammheimlich entstanden derweil in München, rasch hintereinander, einschlägige Arbeitsgruppen, Wohngemeinschaften, Zeitschriften, Buchläden, Theatertrupps und Schwule Filmwochen, ein Kulturfestival ("Viorosa"), Beratungsgruppen etwa für Polizisten und Soldaten, schwule Väter und andere bis hin zu schwulen Schuhplattlern; geplant war sogar eine Schwule Volkshochschule. 1973 formierten sich auch lesbische Frauen innerhalb der Münchner Männer-Aktion; sie verließen diese aber bald wieder, um in einem Frauenzentrum aktiv zu werden.

Teestube für "mehr als Sex"

1974 genehmigte die Stadt im Glockenbachviertel eine "Teestube" als öffentlich zugänglichen Treffpunkt für "zwischenmenschliche Beziehungen"; man wollte dort "mehr als Sex" kultivieren. Dessen Betreuer organisierten dann 1976 in München das "Pfingsttreffen schwuler Aktionsgruppen" aus sechs Ländern. Zeitzeugen erinnern sich an die "fürsorgliche Belagerung durch die Polizei"; sie haben auch nicht vergessen, dass Passanten die Vergasung der Anwesenden forderten. In einer Ausstellung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung hing ein Flugblatt der HAM neben einem der RAF. Neonazis sprengten eine Parteienbefragung mit Tränengas.

Geschichte des CSD in München: Zeitzeugen berichten, einige Passanten hätten bei der ersten Schwulendemo hörbar dafür plädiert, die Teilnehmer zu vergasen.

Zeitzeugen berichten, einige Passanten hätten bei der ersten Schwulendemo hörbar dafür plädiert, die Teilnehmer zu vergasen.

(Foto: Forum Homosexualität München/oh)

Wie so vieles der 1968er-Revolte gerieten auch manche Initiativen und Projekte der sexuellen Revolution nach gut zehn Jahren in Strudel: Es gab ideologische Auseinandersetzungen, zahllose Spaltungen und Gründungen, es stritten sich bürgerliche und antikapitalistische Kräfte. Die einen wollten Emanzipation, die anderen Integration. Der Streit ging nicht zuletzt über Prioritäten: Soll man sich um einen Gedenkstein für die mit dem rosa Winkel gebrandmarkten, ermordeten KZ-Häftlinge kümmern? Wie steht man zur Zweierbeziehung oder gar zur Homo-Ehe? Ist schwul gleichbedeutend mit links? Soll man sich zu einer Partei bekennen (wie sie dann mit der Rosa Liste entstand, die 1996 zwei Vertreter in den Stadtrat entsenden konnte)?

Anfang 1980, lange vor der Ermordung von Walter Sedlmayr oder Rudolph Moshammer, wurden Polizei und Bürger durch sechs sogenannte "Homo-Morde" beunruhigt. Neu war die Bedrohung durch Aids, die immerhin einen Fortschritt brachte: Mit der Aidshilfe wurde erstmals eine Organisation als gemeinnützig anerkannt, die von Schwulen getragen wurde.

Dass sich schließlich doch noch eine einigermaßen homogene Interessenvertretung bildete, der Verein für sexuelle Gleichberechtigung, lag an einem Mann, der die Münchner Szene zutiefst verunsicherte: Kreisverwaltungsreferent Peter Gauweiler. Lauthals bedrohte sie der CSU-Saubermann mit Meldepflicht, Zwangstests und gar mit Berufsverbot. Schon erstellte die Polizei "rosa Listen". Daraufhin organisierte ein breites Bündnis 1987 eine Demo mit mehr als 5000 Teilnehmern, die von TV-Teams aus mehreren Ländern aufgenommen wurde. Das öffentliche Interesse stieg.

So erwies sich der Marsch auf die Straße, wie 1973 begonnen, als wirksamstes Mittel auf dem mühsamen Weg zur Gleichberechtigung. Am 28. Juni 1980 sollte der erste Christopher-Street-Day der Bewegung neue Impulse geben; es kamen nicht viel mehr als 50 Teilnehmer. Der bunte Jahrmarkt wurde aber Tradition und von Jahr zu Jahr pompöser. Viel Gaudi, großer Beifall, keine Beschwerden - München scheint tolerant geworden zu sein.

Bei der von ihm moderierten Erinnerungsstunde im Stadtmuseum entließ der Historiker Albert Knoll vom Forum Sexualität München die langjährigen Kampfgefährten mit einer Frage: "Hat die Gesellschaft die Schwulen eingefangen?"

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