Geschasster LMU-Dozent:Die reine Lehre

Geschasster LMU-Dozent: Der geschasste Mitarbeiter würde gerne ans Geschwister-Scholl-Institut der LMU zurückkehren.

Der geschasste Mitarbeiter würde gerne ans Geschwister-Scholl-Institut der LMU zurückkehren.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die LMU lässt den Kettenvertrag eines Mitarbeiters auslaufen und beruft sich dabei auf eine Ausnahmeregelung für Wissenschaftler. Weil der Mann allerdings nur unterrichtet hat, kommt das Landesarbeitsgericht zu einem kuriosen Urteil.

Von Sebastian Krass

Günther Auth ist einer, den man kennt am Geschwister-Scholl-Institut (GSI) für Politikwissenschaft. Auth hat den Ruf eines engagierten und bei den Studenten beliebten Hochschullehrers. Die Fachschaft weist auf die "hervorragenden Ergebnisse der Evaluation seiner Lehrveranstaltungen und die regelmäßige Überbelegung seiner Kurse" hin.

Das Fachgebiet des promovierten Politologen sind die internationalen Beziehungen. Er war schon zwischen 2001 und 2005 insgesamt knapp zwei Jahre am GSI beschäftigt. Von 2007 an war er dann sechs Jahre lang angestellt als "Lehrkraft für besondere Aufgaben", im Jargon auch: Lecturer. Es war allerdings nicht ein Vertrag, der das regelte, sondern sieben aufeinanderfolgende befristete Verträge. Im August 2013 dann war vorerst Schluss. Die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), zu der das GSI gehört, ließ den siebten Vertrag auslaufen und will Auth nicht weiter beschäftigen.

Klage gegen das System

Auth fand sich damit nicht ab. Er klagte noch vor dem Vertragsende gegen das Auslaufen - und damit durch die Hintertür auf eine unbefristete Stelle. Dennoch lief der Vertrag erst einmal aus. Für Auth war es "ein Gang ins Nichts". Für einen Hochschullehrer gibt es nicht allzu viele Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Er sei trotzdem grundsätzlich immer optimistisch gewesen, dass sich etwas ergibt. Auth verschickte sogar ein paar Bewerbungen, aber ohne Erfolg. Er ist jetzt 47 Jahre alt und seit einem Jahr arbeitslos gemeldet. "Mit der Zeit kamen dann doch ab und zu ein paar diffuse Zukunftsängste", erzählt Auth. Aus seiner Klage entspann sich ein langwieriger Rechtsstreit über zwei Instanzen, der einigen Anlass gibt, darüber nachzudenken, wie Hochschulen im Namen des Staats mit Mitarbeitern umgehen - und der bisher mit Niederlagen für LMU und Freistaat endete.

Die juristisch entscheidende Frage ist, ob der Job als Lecturer wissenschaftlich ist oder nicht. Die Lecturer-Stellen wurden in den Hochschulen nach der Einführung des Bachelor- und Mastersystems geschaffen, um den höheren Lehraufwand zu bewältigen. Ein Lecturer mit voller Stelle, wie Auth sie hatte, muss 18 Semesterwochenstunden Lehrveranstaltungen halten, das entspricht acht bis neun Kursen. Insgesamt habe er pro Semester 200 bis 300 Studenten gehabt, sagt Auth. 40 Stunden Wochenarbeitszeit über das ganze Jahr sind dafür vorgesehen. "Für eigene Forschung bleibt mir damit keine Zeit", sagt Auth.

Neue Regelung nach Bologna

Doch die befristeten Verträge für Auth basierten auf dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Es handelt sich dabei um eine Sonderregelung, die spezifischen Bedürfnissen des Hochschulbetriebs Rechnung tragen will. Sie soll eine Fluktuation im akademischen Mittelbau sichern, "um eine gewisse Frische reinzubringen", wie der Anwalt der LMU in einer mündlichen Gerichtsverhandlung sagte. Die Mitarbeiter dürfen demnach vor und nach der Promotion jeweils sechs Jahre mit befristeten Verträgen versorgt werden, zum Zwecke der "wissenschaftlichen Qualifikation". Wenn diese Zeit abgelaufen ist, müssen sie sich etwas anderes suchen, etwa eine Professorenstelle oder einen Job außerhalb der Hochschule. Bei Auth waren 2013 die sechs Jahre rum.

Es ist ein System, das immer wieder auf Kritik stößt, zuletzt deutlich artikuliert vom Wissenschaftsrat, dem einflussreichsten Beratergremium in der Hochschulpolitik. 84 Prozent der 160 000 wissenschaftlichen Mitarbeiter in Deutschland haben befristete Verträge. Dieses Leben von Verlängerung zu Verlängerung erweise sich häufig "erst sehr spät als Sackgasse", moniert der Wissenschaftsrat.

Auth aber macht für sich geltend, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in seinem Fall gar keine Anwendung finden darf. Seine Aufgabe sei es, im Bachelorstudium politikwissenschaftliche Grundlagen zu vermitteln. Deshalb sei er eine Lehrkraft und nicht Wissenschaftler im Sinne jenes Spezialgesetzes, somit sei die Befristung unwirksam. Indirekt fordert Auth damit einen unbefristeten Vertrag - wie ihn mehrere seiner Lecturer-Kollegen am GSI bekommen haben. Und warum soll Auth, der beliebte Dozent, für dessen Verbleib sich die Fachschaft in einer Petition stark macht, gehen? Die Frage beantwortet die LMU nicht, mit dem Verweis auf den Schutz "personenbezogener Daten".

Keine Zeit für die Wissenschaft

Es war eine kuriose Situation vor Gericht. Auth und seine Anwältin sagten, er arbeite nicht als Wissenschaftler. Die LMU behauptete das Gegenteil - um damit die Trennung zu rechtfertigen. Auth müsse in den Kursen "komplizierte Sachverhalte kompetent vermitteln", argumentierte ihr Anwalt. "Wenn das nicht Wissenschaft ist, falle ich vom Glauben ab." Es handele sich keineswegs, wie von Auth behauptet, "um eine rein reproduzierende Tätigkeit". Und dass Auth sich in den sechs Jahren nicht weiterqualifiziert habe, etwa mit einer Habilitation, das sei ein "hausgemachtes Problem".

In der offiziellen Beschreibung von Auths Stelle ist allerdings keine Rede von eigenständiger Forschung. Indirekt sagt der LMU-Anwalt also, Auth hätte in der Freizeit forschen sollen. De facto ist das im Wissenschaftsbetrieb Alltag. Dass eine Uni es aber vor Gericht als Versäumnis darstellt, wenn jemand das nicht mitmacht, ist doch bemerkenswert.

Das Gericht folgt den LMU-Argumenten nicht

Das Arbeitsgericht ließ sich von der Linie der LMU nicht überzeugen. Auth habe 80 Prozent seiner Arbeitszeit mit einer "unterrichtenden Lehrtätigkeit ohne Wissenschaftsbezug" verbracht. Denn in Auths Kursen gehe es nicht darum, "neue Kenntnisse zu gewinnen und zu verarbeiten", sondern jungen Studenten bereits etablierte Grundlagen zu vermitteln. Deshalb gab das Arbeitsgericht Auths Klage statt.

Die LMU legte Berufung ein. Die aber hat das Landesarbeitsgericht (LAG) nun abgewiesen - und keine Revision zugelassen. Rechtskräftig ist das Urteil damit aber immer noch nicht. Die LMU könnte beim Bundesarbeitsgericht (BAG) Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision einlegen. Ihr Anwalt hatte im Gerichtssaal davon gesprochen, dass "eigentlich das BAG die Frage entscheiden muss". Das aber wäre noch ein langer Weg. Die LMU will sich zum weiteren Vorgehen derzeit nicht äußern, sondern die Urteilsbegründung des LAG abwarten.

Rechtssicherheit für alle Beteiligten

Die drohende Niederlage vor Gericht hätte vermutlich Auswirkungen über den Fall hinaus: Allein an der LMU gab es Anfang des Jahres, zum Zeitpunkt der jüngsten Erhebung, 44 Lehrkräfte für besondere Aufgaben mit befristeten Verträgen, wie Auth sie hatte. Auch andere bayerische Unis sind betroffen. Eine grundsätzliche Erklärung zum Thema gibt die LMU ab: "Wir begrüßen es, dass die Befristungsmöglichkeiten von wissenschaftlichen Beschäftigungsverhältnissen mit hohem Lehrdeputat nun gerichtlich geklärt werden." Damit werde für alle Beteiligten Rechtssicherheit geschaffen. "Zugleich können wir so künftig unserer Verantwortung für die Karriereperspektiven" von Nachwuchswissenschaftlern "noch besser gerecht werden". Aber wie verhält es sich im Fall Günther Auth? Ist die LMU ihrer sozialen Verantwortung als Arbeitgeber gerecht geworden? Dazu gibt es keinen Kommentar von der Uni.

Günther Auth hofft, dass die Zeit der Ungewissheit bald vorbei ist. Er will möglichst schnell zurück in seinen Job am GSI. Ob es zum kommenden Wintersemester klappt? "Ich habe an die Uni geschrieben und meine Arbeitskraft angeboten", sagt Auth. "In der Antwort hieß es, die LMU wolle die Urteilsbegründung abwarten." Das kann noch einige Wochen, theoretisch auch Monate dauern.

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