Gerichtsverfahren:Prozess gegen Waffenhändler: Opfer-Angehörige erheben schwere Vorwürfe

Waffenhändler vor Gericht

Seit Ende August muss sich Philipp K. vor Gericht verantworten. Er wird beschuldigt, David S. die Waffe verkauft zu haben.

(Foto: Sven Hoppe/Dpa)
  • Im Prozess gegen Philipp K., der David S. die Tatwaffe für die neun Morde am OEZ verkauft haben soll, hat die Mutter eines Opfers gesprochen.
  • Sie bezeichnete den Angeklagten als Mörder. Sie geht davon aus, dass er rechtsextreme Ansichten hat.
  • Ein Opferanwalt beschuldigte zudem den Richter, nicht an Sachaufklärung interessiert zu sein.

Von Martin Bernstein

Fröhliches Grinsen im schmalen Gesicht, treuherziger Augenaufschlag unter verstrubbelten Haaren - so zeigen Fotos Can Leyla. So werden ihn seine Freunde in Erinnerung behalten. Diejenigen, die überlebt haben. Am 22. Juli 2016 ist Can mit Freunden in den Moosacher McDonald's gegangen. In einer Ecke im ersten Stock sitzen sie zusammen. Was sie nicht wissen: Gleich nebenan, auf der Toilette, lauert ein junger Mann, kaum älter als sie. Ein paar Mal schaut er vorbei, ob inzwischen genügend Opfer beisammen sind. Nicht irgendwelche Jugendlichen - sondern solche, die der junge Mann so hasst, die aussehen, als kämen sie vom Balkan, aus Albanien, aus der Türkei. Wie Can. Um 17.51 Uhr hat der junge Mann genug gesehen. Er tritt zu der Gruppe und schießt. Can stirbt. Mit 14. Weil er Türke ist.

"Ich möchte den Herrn Richter fragen, ob er Kinder hat", wendet sich Cans Mutter an diesem Freitag im völlig überfüllten Saal 275B des Münchner Landgerichts an den Vorsitzenden Richter Frank Zimmer. "Ich wünsche keinen Eltern, dass ihr Kind vor ihnen stirbt." Gerichte seien dafür da, Recht zu sprechen, sagt sie - "aber ich mache mir Gedanken, ob es gerecht ist". Sie meint diesen Prozess, der jetzt schon seit Ende August läuft. Und in dem sich nicht der Todesschütze des Anschlags vom Olympia-Einkaufszentrum verantworten muss, sondern der Mann, der ihm die Waffe verkauft hat und die Munition, mit der David S. an jenem Freitagabend Can Leyla und acht weitere Menschen und am Ende sich selbst erschoss. Diesen Prozess, der nicht ernst genug genommen werde - so empfindet es Cans Mutter, "eine Mutter, die gegenüber dem Mörder ihres Kindes sitzt". Sie sagt: Mörder.

Sie meint den Waffenhändler Philipp K., der fünf Meter von ihr entfernt sitzt. Dessen Gesicht bleibt unbewegt, nur die zuckenden Halsmuskeln zeigen seine Anspannung in diesem Moment. Für die Mutter ist er ein Rechtsradikaler: "Jeder weiß das, doch es wird versucht, das unter den Tisch zu kehren."Der Waffenhändler müsse für seine Tat "die höchste Strafe bekommen", fordert sie. "Mörder!" schleudert sie dem Angeklagten unter heftigen Drohungen noch einmal entgegen - dann bricht sie zusammen.

Es ist das dramatische Ende eines chaotischen Verhandlungstags. Zum wiederholten Mal erweist sich der Saal, in dem die 12. Strafkammer tagt, als viel zu klein. Die zahlreichen Nebenkläger aus den Opferfamilien und ihre Anwälte finden kaum Platz an den ihnen zugewiesenen Tischen. Weitere Angehörige, Geschwister, Großeltern sitzen unter den Zuschauern oder in den für die Medienvertreter vorgesehenen Stuhlreihen, viele sind den Aufrufen von Migrationsbeirat und Opferhilfeverein Before gefolgt.

Dass das Gericht bisher trotzdem der Meinung war, der Saal sei ausreichend, ist für Nebenklageanwalt Yavuz Narin "blanker Hohn". Beifall brandet auf, als er das sagt. Richter Zimmer will das nicht zulassen, droht mit Ordnungsmaßnahmen: "Wir sind hier nicht im Theater, sondern in einem Gerichtssaal." Narin kontert: Das Gericht ernte jetzt nur die Früchte dieses "entwürdigenden" Umgangs mit traumatisierten Angehörigen und mit der Öffentlichkeit. Zum wiederholten Mal wirft er dem Vorsitzenden und seinen beiden Kollegen Befangenheit vor. Rechtsunkundig, voreingenommen, nicht an Sachaufklärung interessiert: So lauten Narins Vorwürfe.

Und so endet dieser Prozesstag, kurz nachdem Cans Mutter ihre Wut und ihre Verzweiflung herausgeschrien hat. Die geplante Fortsetzung am Montag habe keinen Sinn, sagt Richter Zimmer. Erst wenn über den Befangenheitsantrag entschieden sei, könne es am 23. Oktober weitergehen - dann wohl doch in einem größeren Saal. Als die Sitzung geschlossen wird, haben viele Angehörige noch immer Tränen in den Augen.

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