Gentrifizierung:"Wir sind hier kein Lehel und wollen auch keines sein"

Gentrifizierung: Seit Mittwoch sind alle Pflanzenkübel weg.

Seit Mittwoch sind alle Pflanzenkübel weg.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wegen Lokalen wie dem Bavarese stuft die Stadt das Dreimühlenviertel als Szeneviertel ein. Für die Wirte vervielfacht sich so der Preis für Freischankflächen - und die Bürokratie macht selbst vor Blumenkübeln nicht halt.

Von Laura Kaufmann

Mitten im Hochsommer ist das Dreimühlenviertel ein Stück grauer geworden. "R.I.P. Gemütlichkeit" steht auf einem Schild, das Anwohner vor dem Bavarese aufgestellt haben, einem beliebten Nachbarschaftslokal an der Ehrengutstraße. Eine Handvoll abgeschnittener Blümchen daneben: die klägliche Erinnerung daran, was an dieser Stelle am Mittwoch noch blühte. Viele Pflanzen in Blumenkübeln säumten da die Terrasse des Lokals.

"Ich war da immer schon der Böse, die Blumen waren außerhalb der Freischankfläche", sagt Jan Oltznauer, mit Filip Cerny der Wirt des Bavarese und des Valentin-Stüberls gegenüber. Wirklich verstehen könne er den Bescheid des Kreisverwaltungsreferats trotzdem nicht, die Kübel waren in den vergangenen Jahren von der Stadt immer toleriert worden. Sie störten niemanden, ließen die Straßenkreuzung bunter und freundlicher wirken, die Anwohner fanden sie charmant.

"Bei einer Kontrolle der Bezirksinspektion Mitte am 19. Juli 2016 um 13.47 Uhr wurde festgestellt, dass sich außerhalb Ihrer Freischankfläche mehrere Pflanzenkübel befanden", heißt es in einem Schreiben des Kreisverwaltungsreferats an die Wirte. "Wir verweisen auf Punkt 3.4 der Freischankflächen - Inhalts- und Nebenbestimmungen, wonach jede eigenmächtige Ausdehnung der Freischankfläche unzulässig ist." Die "angesprochenen Missstände" müssten bis spätestens 3. August behoben werden, also bis Mittwoch.

Erst vor ein paar Wochen musste Oltznauer den Rollrasen vor dem Valentin-Stüberl entfernen, der dort als Dekoration zur Fußball-EM diente; ein Bußgeldverfahren läuft. Nun also die Blumen. Die Kübel innerhalb der Freischankflächenmarkierung aufzustellen, sei finanziell nicht tragbar, weil dann weniger Platz für Gäste da wäre, sagt Oltznauer: Denn die Gebühr, die sie für ihre Terrasse zahlen müssen, habe sich mehr als verdreifacht, weshalb nun die Wirte die plötzliche Härte der Stadt gegenüber den Pflanzen besonders ärgert.

"Wir schaufeln uns also unser eigenes Grab"

Sie nämlich hat die Gebühren für Freischankflächen im vergangenen Jahr erhöht. Im Zuge dessen wurden einige Lagen neu bewertet, unter anderem eben die des Bavarese und des Valentin-Stüberls im Dreimühlenviertel. Sie fallen nun in die zweitbeste Kategorie, in der auch Bars und Restaurants im Glockenbachviertel rangieren. Für die Bavarese-Terrasse seien pro Jahr nun 4416 Euro fällig, statt zuvor 1340 Euro, sagt Oltznauer. "Wenn es so weitergeht, müsste ich die Halbe für fünf Euro verkaufen, aber das will ich nicht. Wir sind hier kein Lehel und wollen auch keines sein."

Das Dreimühlenviertel kennzeichnet ohnehin eine beständige Gentrifizierung, nun stuft die Stadt es als Szeneviertel ein, was das Ausgehen angeht. Auch wegen des Bavarese und des Valentin-Stüberls, die seit Jahren treue Gäste und deren Freunde anziehen. "Wir schaufeln uns also unser eigenes Grab", sagt Oltznauer.

Dazu passend hat er vor der Terrasse nun ein Schild befestigt: "Im stillen Gedenken an unsere Bepflanzung vor dem Bavarese, die von der Bezirksinspektion als Missstand bezeichnet wurde und bis zum 3. August zu entfernen war." Ein Foto davon hat er auch auf Facebook gepostet. Die Kommentare darunter sind recht eindeutiger Natur: "Lächerlich", "gibt's einen Sachbearbeiter, bei dem man sich beschweren kann?" oder auch "Schon wieder das Spießer-München . . ." Oltznauer tröstet der Zuspruch der Nachbarn, die über eine Unterschriftenaktion nachdenken, auch der Verein Green City ist auf seiner Seite.

Die Blumen hat er zum Großteil verschenkt, der Platz vor dem Lokal ist nun bis auf die erlaubten Stühle und Tische wieder pflastersteingrau. Das Kreisverwaltungsreferat nahm zu alledem am Donnerstag nicht Stellung, weil es nach eigenen Angaben den Vorgang intern noch prüft.

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