Gentrifizierung im Glockenbachviertel:Am Ende des Regenbogens

Sie hießen Morizz, Selig und Café Cook - und sie boten Heimat für prominente und weniger prominente Homosexuelle. Doch inzwischen schließt im einst so schwulen Glockenbachviertel eine Gay-Kneipe nach der anderen - und Schwule werden mitunter offen angefeindet.

Simone Strobel

Wo vor zehn Jahren Besucher nur über Klingeln in die Schwulenbars gelangten, geht heute ein buntes Partyvolk ein und aus. "Jedes Wochenende zieht eine Partykarawane durch das Glockenbachviertel", sagt Thomas Niederbühl, Rosa-Liste-Stadtrat und Geschäftsführer der Aids-Hilfe. Dabei werden Homosexuelle immer wieder unangenehm belästigt, manchmal wird ihnen sogar Gewalt angetan. Niederbühl hat es selbst erlebt, dass Feiernde eines Junggesellenabschieds ihn und seinen Partner nachäfften und beleidigten. Da müsse man sich überlegen, ob man in der Öffentlichkeit die Hand halte oder sich küsse, sagt Niederbühl. "Vorsichtshalber lässt man da seinen Mann lieber los." Das sei nun mal die Kehrseite der neuen Sichtbarkeit.

Gentrifizierung im Glockenbachviertel: Aus und vorbei: Das Morizz hat im Februar 2012 geschlossen. Früher schauten hier noch Prominente wie Guido Westerwelle, Alfred Biolek und Hape Kerkeling vorbei.

Aus und vorbei: Das Morizz hat im Februar 2012 geschlossen. Früher schauten hier noch Prominente wie Guido Westerwelle, Alfred Biolek und Hape Kerkeling vorbei.

(Foto: Stephan Rumpf)

Deutsche Eiche, Teddy-Bar, Pimpernel: In den Neunzigern reihte sich in dem Viertel nahe der Isar eine Schwulenbar an die andere. Neun Kneipen gab es allein in der Hans-Sachs-Straße. Die Schwulen- und Lesbenszene wohnte weitgehend unter sich; die Anwohner interessierten sich kaum für ihre Nachbarn. Menschen von außerhalb besuchten selten das Viertel. Mittlerweile muss man die Schwulenkneipen unter den vielen neu entstandenen Szenebars aufmerksam suchen, um sie zu entdecken.

Die Liste der schwul-lesbischen Bars und Läden, die in den vergangenen zehn Jahren schließen mussten, ist lang. Alexander Miklosy, Vorsitzender des Bezirksausschusses, wies schon im vergangenen Jahr darauf hin, dass sich Hetero-Kneipen oder Restaurants mehr rentierten als schwule Lokale. Die Geschichte des Pimpernels in der Müllerstraße zum Beispiel zeigt, dass die Öffnung für das Publikum außerhalb der Szene manchmal unausweichlich sein kann. Wo früher Freddie Mercury ein und aus ging, war bereits 2007 der anfängliche Glamour verflogen. Eine Lösung, den Club zu retten, war, die Tür für Menschen jeder sexuellen Orientierung zu öffnen. Ähnliche Geschichten spielen sich auch aktuell ab: Im früheren Café Selig in der Hans-Sachs-Straße serviert seit Anfang des Jahres ein afghanisches Restaurant Palau und Tschalau. Auch das Fetisch-Lokal Cook musste im Juni zumachen.

"Viele Betreiber von Schwulen- und Lesbenbars können sich Miete und Pacht nicht mehr leisten", sagt Christian Schultze, Geschäftsführer des Sub (Schwules Kommunikations- und Kulturzentrum). Da helfen auch prominente Besucher nicht. Im Club Morizz in der Klenzestraße kamen Alfred Biolek, Hape Kerkeling und Guido Westerwelle regelmäßig vorbei. Trotzdem konnte sich der Club nicht gegen die Konkurrenz behaupten und öffnete im Februar zum letzten Mal seine Türen.

Wandel in der Schwulenszene

Die Gegend hat sich vom Schmuddel- zum Schickviertel entwickelt. Wohnen in luxussanierten Altbauwohnungen nahe der Isar - das zieht vor allem wohlhabende Jungfamilien und Besserverdienende an. Die neue Klientel zeigt sich offen gegenüber den schwul-lesbischen Bewohnern. Doch die Zugezogenen bringen ihr Geld in eine andere Kneipenkultur als das schwule und lesbische Publikum. Die Mitarbeiter des Sub erleben den Luxuswahnsinn direkt vor der Haustür. Gegenüber entsteht das "The Seven", ein Edelwohnkomplex, dessen Wohnungen zu Millionenpreisen verkauft werden.

Nicht nur die explodierenden Mieten führen dazu, dass Schwulenkneipen sich nicht halten können. Schultze hat auch einen Wandel der Schwulenszene beobachtet. "Früher traf man sich in Wohnzimmerkneipen, heute wird der Kontakt über das Internet hergestellt", sagt er. Zudem gingen Schwule und Lesben mittlerweile auch in Heterobars. "In der Szene sind eher konkrete Events wie die Garry-Klein-Party im Harry Klein gefragt als reine Schwulenkneipen", sagt Schultze. Wenn die Angebote nicht genutzt werden, brauche man sich über die Schließungen aber auch nicht wundern, meint Thomas Niederbühl. Der Buchladen Max und Milian in der Ickstattstraße konnte Ende 2011 die Miete nicht mehr zahlen. "Damals war der Aufschrei groß, aber wenn man fragte, wer sich dort Bücher gekauft hat, stieß man auf Schweigen."

Niederbühl warnt jedoch davor, den Wandel zu dramatisieren: "Die Leute kommen gerne ins bunte Regenbogenviertel, das ist doch erfreulich." Zudem haben sich die Schwulen in den vergangenen zehn Jahren im Viertel stark gemacht: Sie sind mit der Rosa Liste in der Politik vertreten und organisieren bei Hetero- und Homosexuellen gleichermaßen beliebte Events wie den Pink-Christmas-Weihnachtsmarkt. "Das zeigt, dass Schwule und Lesben dazugehören und so soll das auch bleiben", sagt Niederbühl. Die Szene sei selbst gefragt, ihre Heimat zu erhalten.

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