Genf:Tolle Scheune

Temporary Opera des Nations in Geneva

Die warme Atmosphäre eines Holzhauses: die Ausweich-Oper Genf.

(Foto: dpa)

Ein Besuch im Ausweichquartier der Oper Genf, das auch in München Vorbild während der Renovierung sein könnte

Von Egbert Tholl, Genf

Gegenüber liegt das UNHCR, die Abteilung der Vereinten Nationen, die sich um Flüchtlinge kümmert. Das passt. Denn ein Flüchtling, wenn man so will, wohnt auch hier, die Oper Genf, deren Stammhaus in der Altstadt zweieinhalb Jahre lang renoviert wird. Nun heißt sie für eben diese Zeit "Opéra des Nations" und befindet sich in dem Viertel, das alteingesessene Genfer zu verachten neigen, weil sie, Vertreter des alten Bürgertums, ihren Stolz auf die eigene Stadt nicht unbedingt aus deren Internationalität herleiten. Aber: Sie kommen dennoch, fahren die paar Stationen mit der Trambahn vom Hauptbahnhof aus in eine bis dato ihnen eher fremde Gegend.

In jüngster Zeit gab und gibt es zahlreiche Beispiele für solche Ausweichquartiere - offenbar werden Kulturbauten zur selben Zeit marode. Die Oper Brüssel residiert in einem Zelt auf dem riesigen Gelände eines ehemaligen Bahnhofs - das akustische Erlebnis darin ist niederschmetternd. Das Theater Landshut spielt ebenfalls in einem Zelt auf einem Parkplatz im Nirgendwo - ein Ort reiner Trübseligkeit. Das Deutsche Theater in München hatte lange ein Zelt, an welches man sich aber rasch gewöhnte. Genf hat da eine ganz andere Anmutung. Flüchtig wirkt der Bau nicht, eher wie eine enorme Scheune, die dort auch noch hundert Jahre stehen könnte. Alles ist aus Holz, das Foyer hat dennoch genug Grandezza, dass das Publikum mit einem Cüpli Champagner in der Hand nicht deplatziert wirkt. Drinnen, im Zuschauerraum, umfängt einen warm die Atmosphäre des Holzhauses, es gibt keine schlechten Plätze. Dadurch aber auch keine billigen.

Das charmante Opernchalet stand zuvor in Paris, war Ausweichquartier der Comédie Française, hatte dort 600 Plätze und wuchs auf dem Weg nach Genf auf 1118 an. 8,1 Millionen Franken kostete der Bau, zusammen mit der Erschließung des Geländes - einer nackten Wiese - kam man dann auf Gesamtkosten von 11,8 Millionen. Eine Bedingung war: Es sollte, ohne Spuren zu hinterlassen, abbaubar sein. Tatsächlich überlegte man bei den Münchner Philharmonikern, dieses Haus, das ja bereits einmal reiste, nach München zu holen, wenn der Gasteig renoviert wird. Allerdings hätte es dafür nach einmal wachsen müssen, und schließlich stellte man fest: Selber bauen ist billiger. Gleichwohl darf die Oper der Nationen als Vorbild für ein Münchner Ausweichquartier gelten.

Man kann hier viel Optimismus lernen. Claus Hässig, der "Secrétaire général" des Hauses, erzählt, dass 80 Prozent der Abonnenten mitgingen, die alte Oper hat ohnehin mehr Plätze, nämlich 1500. Neues Publikum kam dazu, die Hemmschwelle, eine Hochkulturhütte zu betreten, ist niedriger als bei einem herrschaftlichen Gebäude. Und: es klingt!

Intendant Tobias Richter fühlt sich im Holzhaus gar wie im Inneren einer Stradivari. So weit muss man nicht gehen, aber Cavallis "Il Giasone", eine schlank besetzte Barockoper also, funktioniert hier beeindruckend gut. Gerade für die Sänger ist die Akustik ein Traum. Valer Sabadus, der in München ausgebildete Counter, kann sich in der Titelrolle vollkommen auf die Nuancen seiner schönen, immer weiter reifenden Stimme konzentrieren, ohne das Geringste forcieren zu müssen. Das ist ein echtes Erlebnis. Zwar klingt die Capella Mediterranea im (leicht improvisierten) Graben im Vergleich dazu weniger fokussiert; in München jedoch würde das Orchester ja auf der Bühne sitzen. Und das ist eine Verheißung, zumindest in den Größenverhältnissen hier in Genf.

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