Generationenwechsel:Die neuen Platzhirscherl der Münchner CSU

Generationenwechsel: Stephan Pilsinger hat sich innerparteilich durchgesetzt.

Stephan Pilsinger hat sich innerparteilich durchgesetzt.

  • Die profilierten Bundestagsabgeordneten der Münchner CSU treten praktisch komplett ab.
  • Ihnen folgen teils unbekannte junge Leute nach, die bislang noch alles andere als Charakterköpfe sind.
  • Nicht allen Wählern und Parteifreunden behagen die Ansichten der Jungen.

Von Frank Müller

Dafür, dass die Nachwuchshoffnung der Münchner CSU mehr als 24 Stunden lang praktisch nicht geschlafen hat, sieht sie recht frisch aus. Stephan Pilsinger sitzt in einem Café am Rotkreuzplatz, die Freitagmorgen-Sonne lächelt in den Tag, Pilsinger lächelt zurück. Der 29-Jährige hatte anstrengende Tage, Wochen, Monate - dann setzte er sich intern als Bundestagskandidat durch. Doch nicht dieser Kampf war es, der ihn schlaflos machte.

Pilsinger ist Arzt, er kommt direkt von einer Dreifach-Schicht aus dem Krankenhaus. Er könnte eine Rasur vertragen und entschuldigt sich dafür, dass er nicht völlig wie aus dem Ei gepellt aussieht. Passt schon. Grüne Steppjacke, geflochtene braune Lederschuhe, eine Brille, die nach Andreas Scheuer aussieht - so geht karrierebewusste Lässigkeit am Rotkreuzplatz. Und was die Bartmode betrifft, gibt es ja ohnehin keine Regeln mehr, nicht in München, nicht einmal mehr in der CSU.

Ein Hans-Peter Uhl wäre frisch rasiert erschienen. Uhl ist der momentan noch aktive Abgeordnete der CSU im Münchner Westen, er hat den Posten, den Pilsinger gerne will. Er wird bald 72 Jahre alt und hört jetzt auf. Uhl säße akkurat mit Jackett da, die einzige Lässigkeit, die er sich vielleicht erlauben würde, wäre, durch die Wahl einer extravaganten Krawatte einen indirekten politischen Kommentar zur Lage abzugeben.

Früher trug er manchmal eine Krawatte mit Narrenkappen, wenn ihm im Rathaus etwas nicht passte. Was könnte man heute für eine Krawatte wählen, eine mit Babyfläschchen und Kinderschuhen vielleicht?

Die Charakterköpfe gehen

Die Alten gehen, die sehr Jungen kommen - das ist derzeit die Lage in der Münchner CSU. Es sind gerade die profilierten Bundestagsabgeordneten, die praktisch komplett abtreten. Genau die Köpfe, die die Münchner CSU jahrzehntelang geprägt haben. Hans-Peter Uhl, Peter Gauweiler, in dieser Woche völlig überraschend dann auch noch Johannes Singhammer: Alle hören sie auf, für die Partei ist es der bedeutendste Wachwechsel seit vielen Jahrzehnten. "Das ist schon ein Einschnitt", sagt der Münchner CSU-Chef Ludwig Spaenle. Die Frage ist, ob die Münchner Partei insgesamt schon verstanden hat, wie tief er eigentlich ist.

Denn mit Uhl, Gauweiler und Singhammer gehen nicht nur einige ergraute Herren, sondern ein ganzer Typus von Charakterköpfen. Figuren, die die Münchner CSU groß und unverwechselbar gemacht haben. Und die gleichzeitig stets einen Hang zum Unkontrollierbaren hatten. Dadurch verhinderten sie selbst, dass die Partei den letzten Schritt an die Macht im Rathaus machte, weil es auch vielen Münchner Sympathisanten der Union oft zu bunt wurde.

Wenn Gauweiler einen Wirt von der Wiesn warf oder mit Protesten gegen die Wehrmachtsausstellung auch Neonazis nach München lockte, dann wusste man: Hier ist die CSU München, und sie hat einen Markenkern und seine Protagonisten.

Noch stehen nicht alle Neuen fest

Stephan Pilsinger im Münchner Westen (bisher Uhl), Michael Kuffer im Süden (bisher Gauweiler), dazu ein dickes Fragezeichen im Norden (bisher Singhammer): Die Neuen auf den Kandidatenplätzen stehen bislang nur zum Teil fest. Der Rückzug von Bundestagsvizepräsident Singhammer in dieser Woche kam auch für alle Nachfolgeaspiranten überraschend. Der vierte in der langjährigen Bundestags-Riege, Herbert Frankenhauser (München-Ost), hatte schon 2013 den Weg freigemacht, für den nun dort amtierenden Wolfgang Stefinger, der auch erst 31 Jahre alt ist.

Der breiten Masse der Münchner sagen die Neuen bislang nichts. Es sind Menschen, die sich ihren Weg zur Macht auf sehr viel leiseren Sohlen gebahnt haben als die Vorgänger. Anders als diese haben die Neuen auch viel weniger Erfahrung. Das halte er "im Grunde für nicht gut", sagt Uhl, der erst nach dem Ende seiner Amtszeit als Kreisverwaltungsreferent mit 54 Jahren nach Berlin ging.

Dabei sind die Nachrücker intern keineswegs Frischlinge. Pilsinger etwa sitzt nun auch schon acht Jahre im Bezirkausschuss Obermenzing, zudem ist er Chef der Münchner Jungen Union. Früher trieben dort die führenden Figuren die Platzhirsche der Mutterpartei gelegentlich zur Weißglut. Dadurch zum Beispiel, dass sie bei der Kommunalwahl auf eigenen Listen gegen die CSU kandidierten. Von Pilsinger sind solche revolutionären Umtriebe zwar nicht bekannt geworden.

Andererseits hat es sehr wohl gehörig gekracht bis zu seiner Aufstellung am Montag dieser Woche. Wieder einmal machten in der CSU Vorwürfe die Runde, der Parteinachwuchs versuche, bei internen Wahlen durch Manipulationen mit Adressen zu tricksen. Am Ende aber schnitt Pilsinger bei der Versammlung so gut ab, dass davon wenig übrig blieb. "Es ist offenbar für manchen schwer zu verkraften, dass auch ein Junger eine Mehrheit bekommen kann", sagt Pilsinger spitz.

Wenn er darüber spricht, was er nun vorhat, dann sieht man, wie stark sich auch eine Münchner CSU verändern kann. Es sind die Ansätze, die auch Bürgermeister Josef Schmid stets betont, der seine Partei unbedingt zur liberalen Großstadt-CSU formen will. Pilsinger spricht über höhere Wohnbauten, eine Ring-S-Bahn statt mehr Autoverkehr; liberal zu sein in allen Fragen sexueller Orientierung, gehört sowieso zum guten Ton. Seine Junge Union fuhr beim Christopher Street Day am vergangenen Wochenende mit.

Eine Partei verändert sich - zumindest ein bisschen

Dass sich Pilsinger so gegen seine Mitbewerberin Julia Obermeier durchsetzte, die bereits im Bundestag sitzt und etwas konservativer orientiert ist, ist bemerkenswert. Offenbar war es nicht so, dass Männer den Mann unterstützt haben und Frauen die Frau bei der Aufstellung. "Ich verdanke meine Kandidatur eigentlich auch den Frauen", sagt Pilsinger.

Eine Partei verändert sich, vielleicht wird sie damit auch austauschbarer oder beliebiger. Hans-Peter Uhl, der anfangs kein Unterstützer von Pilsinger war, ist an diesem Freitag sehr weit weg: in St. Petersburg beim gleichnamigen Dialog. "Das Kapital einer Partei sind ihre Köpfe", sagt er am Telefon nachdenklich. Und dass der Generationenwechsel natürlich zur Politik gehöre. Seine Krawatte zieren an diesem Tag übrigens Seefahrer-Knoten. Hat nichts zu bedeuten. Aber etwas knüpft sich neu zusammen.

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