Gender Budgeting:Ganz gerecht

Gender Budgeting: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Die Stadt München versucht seit einigen Jahren, bei der Haushaltsplanung die Interessen von Frauen und Männern gleich zu gewichten. Die Erfolge bei der Umsetzung sind bisher allerdings überschaubar

Von Silke Lode

Lydia Dietrich kann nicht verstehen, warum es einfach nicht so recht vorangehen will bei diesem Thema, das ihr seit mehr als zehn Jahren am Herzen liegt. "Dabei geht es um Gerechtigkeit!", sagt sie. Trotz der trockenen Materie Haushaltspolitik kann man die Empörung aus ihrer Stimme heraushören. Die Grünen-Stadträtin will erreichen, dass die vielen Millionen Euro an öffentlichen Geldern, die die Stadt jedes Jahr ausgibt, fair verteilt werden - und zwar so, dass sie in ihrer Wirkung Männer und Frauen, Jungen und Mädchen gleich erreichen.

Diese Perspektive auf die öffentlichen Haushalte ist noch relativ jung, sie nennt sich "Gender Budgeting". Gremien wie das EU-Parlament oder die UN-Frauenkonferenz haben das Thema in den letzten 20 Jahren aufgegriffen und seine Umsetzung empfohlen - als Strategie für mehr Gleichberechtigung. München gehörte durchaus zu den Pionieren, als der Stadtrat 2004 die ersten Beschlüsse zum Gender Budgeting gefasst hat und 2009 die ersten Pilotprojekte auf den Weg brachte.

Dietrich, die damals schon im Stadtrat saß, erinnert sich noch genau, wie sie mit ihrer Kollegin Jutta Koller den ersten Antrag schrieb. "Damals stand eine Haushaltskonsolidierung an und wir haben befürchtet, dass die Frauenprojekte unter dem Sparzwang leiden könnten." Die ersten Schritte waren durchaus erfolgreich. "Dank der kaufmännischen Buchführung, die in München seit 2009 angewendet wird, können wir Kennzahlen ermitteln, die etwas über Qualität und Wirkung auf bestimmte Zielgruppen aussagen", erläutert Kämmerer Ernst Wolowicz.

Bei der Umsetzung des Gender Budgeting heißt das konkret, dass die Stadt aufschlüsseln kann, in welchen Teilen ihre Angebote von Männern und Frauen genutzt werden. Anfangs beschränkte die Verwaltung sich dabei auf Pilotprojekte und knöpfte sich etwa die Realschulen vor. Schwarz auf Weiß war nun im Haushalt nachzulesen, dass nur 20 Prozent der Mädchen sich bei den Wahlfächern für den Schwerpunkt Mathematik und Technik entscheiden. "Wenn der Stadtrat oder die Fachreferate in solchen Zahlen einen Missstand sehen, kann das ein Ansatzpunkt sein, sich den Kopf zu zerbrechen, was man tun und ändern kann", sagt Wolowicz. Dass nur wenige Mädchen technische Fächer wählen, dürfte zwar kaum einen Bildungspolitiker überraschen. "Aber früher hatten wir solche Zahlen einfach nicht", verteidigt der Kämmerer den Ansatz.

Allerdings krankt das Gender Budgeting in München bislang daran, dass die neuen Analysemöglichkeiten zwar viele Zahlen auf den Tisch bringen, ihnen folgen aber nur wenige konkrete Änderungen in der Politik. An diesem Mittwoch legt die Verwaltung dem Stadtrat eine Zwischenbilanz vor, die ziemlich ernüchternd klingt. Das Direktorium zum Beispiel wollte sich mit den Bürgerbeschwerden zur Altenpflege beschäftigen - ein "personeller Engpass" stoppte jedoch die Analyse. Das KVR hat brav Zahlen gesammelt zu Gewerbemeldungen, Integrationskursen oder der Notfallrettung, um dann aber festzustellen, dass hier lauter Gesetze vollzogen werden und es "kaum Steuerungsmöglichkeiten" gebe. Das Kommunalreferat wollte sich mit den städtischen Kleingärten befassen, aber der Kleingartenverband konnte die nötigen statistischen Daten über die Pächter nicht liefern. Und das Bildungsreferat, das zwar seit vier Jahren Zahlen zu Wahlpflichtfächern an Realschulen erhebt, musste feststellen, dass der Mädchenanteil im mathematisch-technischen Bereich immer noch nicht gestiegen ist. Einige wenige Beispiele gibt es aber, die etwas erfolgsversprechender klingen. Die städtische Gleichstellungsbeauftragte Nicole Lassal nennt zum Beispiel die Gründungsberatung der Stadt: "Da gibt es große Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Frauen gründen seltener als Männer, nehmen geringere Mittel in Anspruch, sind aber mit ihren Vorhaben oft erfolgreich, was wir daran ablesen können, dass sie ihre Gründungskredite gut zurückbezahlen." Die Stadt versucht nun, Frauen besser zu erreichen, indem sie ihr Beratungsangebot stärker bewirbt - vor allem auch in Migrantenkreisen, da Migrantinnen die Beratung auffallend wenig in Anspruch nehmen, obwohl auch sie "gerne gründen", wie Lassal betont. Auch bei den Fortbildungen für die Mitarbeiter der Stadt habe sich einiges getan, nachdem die Analysen gezeigt haben, dass Männer und Frauen die Kurse zwar gleichermaßen in Anspruch nehmen, aber vor allem Männer die Angebote wählen, die in Richtung Aufstieg gehen. "Jetzt gibt es in diesem Bereich auch Fortbildungen, für die man nicht drei Tage wegfahren muss. Das ist für viele Frauen einfacher mit ihren Familienpflichten zu vereinbaren", sagt Lassal.

Auch Kämmerer Wolowicz kann sich an ein gelungenes Beispiel erinnern: Die Stadt ist der wichtigste Förderer der meisten Sportvereine, doch die haben lange vorwiegend Angebote gemacht, die vor allem Buben ansprechen. "Es wurden dann Vereine stärker gefördert, deren Angebote für Mädchen attraktiv sind", berichtet Wolowicz. "Das hat Folgen gezeigt, seitdem sind die Aktivitäten für sogenannte Frauensportarten deutlich angestiegen." Und wenn ein Hockey-Verein vorschlägt, den neuen Kunstrasenplatz so anzulegen, dass er nicht nur für Fußball taugt, dann hat er gute Chancen, Gehör zu finden.

Trotzdem ist Lydia Dietrich mit dieser Zwischenbilanz nicht zufrieden: "Es hätte schon viel mehr passieren können." Der ganze Bereich Verkehrsplanung, die Beschäftigungspolitik, Wirtschaftsförderung, Jugendhilfe: In ihren Augen gibt es noch viel Potenzial, "aber die Verwaltung sagt oft nur, das sei alles so kompliziert." Der Gesundheitsbereich ist für sie ein Beispiel, dass es nicht immer die Frauen sind, für die man mehr tun müsse: "In der Prävention gibt es einen ganz großen Nachholbedarf für junge Männer."

Dietrich fordert deshalb, mehr externe Fachkompetenz zu nutzen und die Mitarbeiter weiterzubilden. Und sie hofft auf die Konferenz zum Thema Gender Budgeting, die am 6. und 7. Oktober in München stattfindet. Der Kämmerer hat zum Geleit einen Satz formuliert: "Von Gender Budgeting reden ist Silber, es tatsächlich umzusetzen ist Gold." Er will das durchaus als Mahnung verstanden wissen: "Die Verwaltung muss Defizite aufdecken und konkrete Lösungsvorschläge machen." Dietrich hofft, dass München sich noch einiges von anderen Städten abschauen kann, die auf der Konferenz konkrete Projekte vorstellen. "Ein solcher Austausch kann einen Anschub bringen", meint Dietrich: "Weil er zeigt, dass es ein Politikum ist, Geld gerecht oder nicht gerecht auszugeben."

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