Gegen alle Widerstände:"Du musst besser sein als die Männer"

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Ihr Leben widmete Inge Hügenell der Politik. Manche machten ihr deshalb Vorwürfe

Protokoll von Pia Ratzesberger

Inge Hügenell, 88 Jahre: "Nicht alle haben es in den Siebzigerjahren gut geheißen, dass eine Frau in den Münchner Stadtrat strebt. Du solltest dich lieber um deine verwahrlosten Kinder kümmern als um die Stadtpolitik, sagte einmal jemand zu mir. Dabei gingen alle drei meiner Kinder auf ein Gymnasium und haben später studiert. Im Stadtrat und vor allem in der Verwaltung gab es immer wieder Männer, die uns Frauen nicht ernst genommen haben. Meine Kolleginnen und ich lernten schnell: Du musst besser sein als die Männer.

1977 hat Inge Hügenell auch mal angezapft: Nicht auf der Wiesn, sondern bei einem Symposium für Kosmologie. (Foto: privat)

Das erste Mal wurde ich 1972 in den Stadtrat gewählt - und blieb. 24 Jahre. In dieser Zeit habe ich alle möglichen Aufgaben übernommen, war etwa Vorsitzende des Arbeitskreises Obdachlosigkeit, des Behinderten-Arbeitskreises, Verwaltungsbeirätin des Stadtjugendamts. Der Schwerpunkt meiner Arbeit lag stets im sozialen Bereich, ganz bewusst. Ich hätte auch etwas anderes machen können, aber das wollte ich nie. Das Soziale lag mir, das habe ich wahrscheinlich von Zuhause mitgekriegt. Dass man sich für Schwächere einsetzt.

Inge Hügenell wurde 1972 in den Stadtrat gewählt - und blieb: 24 Jahre. (Foto: Claus Schunk)

Meine Familie war schon immer politisch, seit frühester Jugend war mein Vater Sozialdemokrat und Mitglied in der Gewerkschaft. Ich selbst war weder in der Hitlerjugend noch in einer anderen dieser NSDAP-Organisationen. Deshalb durfte ich auch nicht aufs Gymnasium gehen, eigentlich wollte ich gerne Medizin studieren. Ich habe dann nach der achten Klasse den Volksschulabschluss gemacht und musste zum Pflichtjahr zu einer Münchner Familie, deren Haushaltsvorstand hohes Mitglied der NSDAP war. Da war ich 14 Jahre alt. Anschließend habe ich bei Siemens den Beruf der kaufmännischen Angestellten erlernt. Es hat kaum Möglichkeiten gegeben, es war ja auch Krieg. Während der zweieinhalb Jahre dort habe ich zum Beispiel Stenografie, Schreibmaschine und Buchhaltung gelernt.

Sofort nach Kriegsende bin ich in die Gewerkschaft eingetreten und mit 21 dann in die SPD, früher ging das nicht. Auch wegen der Erfahrungen aus der Nazizeit wollte ich mich politisch engagieren, ich war überzeugt, dass man nun in Deutschland eine Demokratie etablieren muss.

Schon immer habe ich vorgehabt zu heiraten, Kinder zu haben und einen Beruf. Das alles zu vereinbaren war nicht schwierig, weil mein Mann einverstanden war, wir haben die Kinderbetreuung gemeinsam geregelt. Als mein Sohn in den Fünfzigerjahren zur Welt kam, war der Mutterschutz nach sechs Wochen vorbei und ich ging wieder arbeiten. Da hatten wir zuerst die Ilse, eine Tagesmutter, die zu uns kam. Später war mein Sohn die Woche über bei seinen Großeltern und nur am Wochenende zu Hause. Dort war Wald, dort war Wiese, andere Kinder, es war wirklich schön. Natürlich haben wir ihn vermisst. Dass ich daheim geblieben wäre, ging aber aus vielerlei Gründen nicht. Unter anderem brauchten wir das Geld. Nach der Geburt meiner zweiten Tochter blieb ich etwas länger daheim, aber auch sie ging mit zweieinhalb Jahren in den Kindergarten und ich wieder arbeiten. Das kam nach wie vor nicht überall gut an: Manche meinten, das Geld meines Mannes müsste doch für uns alle reichen. Das hat es aber nicht

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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