Gefängnis:Einsitzen auf Probe

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Ein Regal, ein Stuhl, eine Toilette, ein Bett - so sieht eine Gefängniszelle von innen aus. (Foto: Schellnegger)

Eine Gefängniszelle in der Fußgängerzone soll Passanten das Leben im Knast zeigen

Von Anna Hoben

Vor der Kirche St. Michael in der Fußgängerzone steht ein unscheinbarer Container, darauf ein Banner mit den Worten "Probe-Sitzen". Im Container befinden sich aber nicht etwa Designerstühle oder Sofas, auf die man sich fläzen kann, um herauszufinden, ob man sich eine dauerhafte Sitzbeziehung vorstellen kann. Stattdessen ein Bett mit blau-weiß karierter Decke, ein paar Zeichnungen an der Wand, ein schmaler Schrank, ein kleiner Tisch mit Stuhl davor, in einer Ecke eine Toilette, darüber ein Kalenderbild: Frau mit nackten Brüsten. Dies ist eine Gefängniszelle, zwei mal drei Meter, und das Probe-Sitzen ist ein Probe-Einsitzen.

Denen geht's doch viel zu gut, die leben wie im Hotel, mit Fernsehen und allem möglichen Luxus: "Die Leute haben bestimmte Vorstellungen vom Leben im Gefängnis", sagt Norbert Trischler. Der 59-Jährige ist Seelsorger in Stadelheim, er kennt das Leben im Knast seit einem Vierteljahrhundert aus seiner täglichen Arbeit. Mit der Aktion in der Fußgängerzone wollen er und seine Kollegen vom Erzbischöflichen Ordinariat Klischees und Vorurteile abbauen. Auch jenes, dass das "da drin" alles Verbrecher seien im Gegensatz zu den unbescholtenen Bürgern "draußen". Er habe im Gefängnis viel über sich selbst gelernt, sagt Trischler. "Zum Beispiel, dass ich keinen Deut besser bin." Jeder Mensch trage die Anlage zum Gewalttäter in sich. "Die Frage ist, wie man damit umgeht."

Die Frage ist auch, wie man mit dem Entzug der Freiheit umgeht, wenn man einmal zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Nadja Guttenberger kann davon erzählen, 16 Monate saß sie wegen Betrugs in Stadelheim ein, seit drei Monaten ist sie wieder draußen. Die Zellen in der Frauenabteilung seien etwas moderner, sagt sie, "aber sonst ist das hier authentisch". Am schlimmsten sei der Verlust der Würde gewesen, so die 49-Jährige. "Nur bei den Seelsorgern konnte man sich mal eine Stunde wie ein Mensch fühlen." Seit sie nicht mehr eingesperrt ist, genieße sie ihre Freiheit viel mehr als vorher. "Es zieht mich nach draußen, im Zimmer sitzen geht nicht mehr so gut."

Vom Sitzen in der Zelle haben Moritz Gammel und Lilo Jonischkeit schon nach kurzer Zeit genug. "Sehr bedrückend" sei die Erfahrung gewesen, sagen die beiden 17-Jährigen, als die Tür sich öffnet. Es habe sich angefühlt, als seien die Wände immer näher gerückt, sagt Moritz, er habe das Zeitgefühl verloren. Wie lange er drinnen war? Fünf Minuten.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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