Stolpersteine in München:Streit ohne Ende

Stolpersteine

Nach dem Beschluss des Stadtrats wollen Befürworter der Stolpersteine mit weiteren Aktionen für ihre Sache kämpfen.

(Foto: dpa)
  • Angehörige jüdischer Nazi-Opfer haben beantragt, drei Stolpersteine sowie eine Gedenkstele anbringen zu dürfen - trotz des Stadtratsbeschlusses, die Tafeln in München nicht zu dulden.
  • Deren Anwalt Hannes Hartung will klagen, sollte der Antrag nicht genehmigt werden.
  • Unmut und Unverständnis über die Haltung der Stolperstein-Befürworter sind im Rathaus groß.

Von Dominik Hutter und Melanie Staudinger

Der Streit über Stolpersteine spitzt sich weiter zu. Einen Tag nach dem Stadtratsbeschluss, die umstrittenen Messingtafeln auch künftig nicht auf Münchner Gehwegen zu dulden, haben Angehörige jüdischer Nazi-Opfer über eine Anwaltskanzlei beantragt, zunächst drei Stolpersteine sowie eine Gedenkstele anbringen zu dürfen. Die Reaktion der Stadt ist nach dem Mehrheitsvotum vorhersehbar: Vermutlich läuft es auf ein Nein zu den Stolpersteinen und ein Ja zur Stele hinaus. In diesem Fall würde Anwalt Hannes Hartung vor dem Verwaltungsgericht klagen - weil die Stadt seiner Ansicht nach bei der Genehmigung von Mahnmalen auf öffentlichem Grund mit zweierlei Maß messe.

Rein juristisch geht es um einen Antrag auf eine sogenannte Sondernutzungserlaubnis, mit der öffentlicher Grund für eigene Zwecke genutzt werden darf - das betrifft Obststände, Werbekästen und Freischankflächen genauso wie die Stelen, die der Stadtrat am Mittwoch ausdrücklich als Form des Gedenkens zugelassen hat. Hartung findet, dass dann auch Stolpersteine erlaubt sein müssen. Die Stadt dürfe schon wegen der im Grundgesetz garantierten Religionsfreiheit niemanden vorschreiben, wie er gedenkt. Zudem erlaube die in der Verfassung verankerte Kommunikationsfreiheit, darauf hinzuweisen, wo Holocaust-Opfer gewohnt haben.

Keine Angst vor einem Prozess

Das Rathaus weist ein solches Ansinnen zurück. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hält den Beschluss eines demokratisch legitimierten Stadtrats in einer solchen Frage für juristisch unanfechtbar. "Ich habe keine Angst vor einem Prozess", sagte er. SPD-Fraktionschef Alexander Reissl weist darauf hin, dass niemand einen Anspruch darauf habe, den öffentlichen Raum so zu nutzen, wie er wolle. Die Entscheidung sei der Verwaltung vorbehalten, die dafür auf vom Stadtrat beschlossene Richtlinien zurückgreife. Ein solcher Katalog liegt für München vor. Darin steht ausdrücklich, dass es dem Stadtrat nicht nur um die Nutzung, sondern auch um die Gestaltung des Straßenraums geht.

Im Rathaus sind Unmut und Unverständnis über die Haltung der Stolperstein-Befürworter groß - zumal sich der Stadtrat am Mittwoch mit Erfolg um eine besonnene Debatte ohne verbale Zuspitzungen bemüht hatte. Besondere Verärgerung hat eine direkt danach verschickte Erklärung der Gruppe rund um die Holocaust-Überlebenden Ernst Grube und Peter Jordan ausgelöst, in der die Rede war von einem "schwarzen Tag für die Demokratie und Erinnerung" und einem "guten Tag für jene, die einen Schlussstrich ziehen wollen". In dem Text wurde auch das Verbot von Stolpersteinen mit dem von Waffenhandel und Kinderpornografie gleichgesetzt.

Demokratische Entscheidung im Stadtrat

"Der Stadtrat hat getan, wozu er gewählt wurde: entscheiden", erklärte Reissl. Das sei keineswegs undemokratisch. Auch Grünen-Fraktionschef Florian Roth, der mit dem Großteil seiner Fraktion für Stolpersteine gestimmt hat, äußerte Zweifel an der Wortwahl der Gruppe. Solche Emotionen seien wohl dem leidenschaftlichen Engagement für Stolpersteine geschuldet, zeigten aber: "Der Stadtratsbeschluss hat nicht zu einer Befriedung geführt."

Von der Kritik aus dem Rathaus will sich Terry Swartzberg vom Verein Stolpersteine für München nicht von seiner Mission abbringen lassen. "Es ist mir völlig egal, wie die Politiker jetzt reagieren", sagte er. Seine Initiative werde nun gemeinsam mit ihren Unterstützern beraten, wie es nun weitergehen soll, und das Ergebnis im September bekannt geben. Ob am Ende der Diskussion ein Bürgerentscheid steht, ließ Swartzberg offen. "Da spricht einiges dafür und einiges dagegen. Im Vorstand sind manche dafür und einige dagegen", sagte er. Vor allem überlegten die Ehrenamtlichen, ob sie ein solches Unterfangen überhaupt stemmen könnten. Deshalb strebt Swartzberg ein breites Kampagnen-Bündnis aus allen möglichen Gruppierungen, Verbänden und Parteien an. "Alleine können wir es nicht", sagte er. Um einen Bürgerentscheid anzusetzen, müssten sie immerhin 36 000 Stimmen sammeln.

Swartzberg plant weitere Aktionen

Als sicher gilt: Swartzberg plant daneben weitere Aktionen. Ideen habe er genug. "Ein paar Holocaust-Überlebende wollten mal das Münchner Rathaus in ihren alten KZ-Anzügen stürmen, um so für die Stolpersteine zu protestieren", sagte Swartzberg. Heute tue es ihm leid, dass er ihnen diesen Plan damals ausgeredet habe. Reissl wie auch Roth warnen allerdings vor der Außenwirkung eines mangels Beteiligung gescheiterten Bürgerentscheids. "Ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Initiative 100 000 Stolperstein-Befürworter an die Wahlurnen bringen kann", erklärte Reissl - so hoch liegt das Quorum bei einem Bürgerentscheid.

Die Stolperstein-Befürworter verärgert auch die Rolle der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) bei der Meinungsbildung im Rathaus. Reissl hatte sie als Vertreterin der größten Opfergruppe bezeichnet. Einigen Kommunalpolitikern sei offensichtlich nicht klar, dass Charlotte Knobloch lediglich die Vorsitzende der IKG sei und daher nicht für alle Münchner Juden spreche, sagt hingegen Hartung. Die IKG, so Swartzberg, sei nur eine von vier jüdischen Gemeinden.

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