Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen:Das Universalgenie aus Egling

Herbert W. Franke

Lotete in seinen Science-Fiction-Geschichten die unendlichen Möglichkeiten aus: Herbert W. Franke.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Er ist Science-Fiction-Autor, Höhlenforscher und Begründer der elektronischen Kunst. Auch mit 90 Jahren treibt die Neugier Herbert W. Franke noch um die Welt.

Von Ingrid Hügenell

Menschen wie Herbert W. Franke gibt es kaum noch, wahrscheinlich waren sie immer schon selten. Der Science-Fiction-Autor, Physiker, Höhlenforscher, Künstler hat in seinem Leben viel erlebt, erforscht und angestoßen. Zur Physik hat er Mathematik, Chemie, Psychologie und Philosophie studiert, und er gilt als einer der Begründer der elektronischen Kunst. Früher nannte man so jemanden Universalgenie.

Als Experte für Zukunftsfragen saß er Anfang Mai bei der "Ars Technica" in Unterhaching auf dem Podium eines Diskussionsforums. Es ging darum, ob die künstliche Intelligenz letztlich eher positive oder negative Folgen haben werde. Zukunftsforscher, auch das ist ein Begriff, der Franke zutreffend beschreibt. Am 14. Mai wird der gebürtige Österreicher, der in Egling bei Wolfratshausen lebt, 90 Jahre alt.

Wie geht all das zusammen? Vielleicht ist Franke vor allem ein Reisender, getrieben von unstillbarer Neugier. Er reist ganz real durch die Welt - gerade ist er von einer zehntägigen Reise nach Usbekistan zurückgekehrt. Allein in den vergangenen Jahren war er in Fernost und Nahost, in Nord- und Südamerika, in Afrika. Er reist aber auch durch die Welt der Wissenschaften, durch die Szenarien der Science-Fiction-Geschichten, die in seiner eigenen Vorstellung entstehen, und auch durch virtuelle Welten, die er selbst erschafft.

Künftig, meint Franke, könnten Reisen auf fremde Planeten für alle möglich werden - virtuell, mit Nanotechnologie, die Informationen direkt ins Gehirn einspeist. "Statt einen Roman zu schreiben, kann man Erlebnisse anbieten. Es wird Künstler geben, die sich darauf spezialisieren", sagt er. "Jemand könnte auf den Mars reisen, und alle anderen könnten das nachempfinden" - ohne die Erde verlassen zu müssen. Franke ist überzeugt, dass die Menschen künftig virtuelle Welten häufiger nutzen werden.

Eine davon hat er selbst entworfen, die Z-Galaxy, die bei ActiveWorlds.com zu finden ist. Die nach dem Computer-Pionier Konrad Zuse benannte Welt ist eine virtuelle Kunstausstellung, die man betreten, durch die man spazieren kann. Über Tore gelangt man in die Welten befreundeter Künstler. Solche Welten könnte man auch für den Schulunterricht nutzen, stellt er sich vor.

Die unendlichen Möglichkeiten, die die Zukunft bereithalten könnte, hat er in seinen Science-Fiction-Geschichten ausgelotet. Da man die Zukunft nicht vorhersehen kann, spielt er mit unterschiedlichen Prämissen - mal hat die Menschheit die Raumfahrt gemeistert, mal eben nicht. Dass er die Geschichten veröffentlichte, geschah eher zufällig, wie er in einer autobiografischen Schrift erzählt. Der Verleger Wilhelm Goldmann wollte, so geht die Geschichte, in Deutschland das Science-Fiction-Genre einführen und bat Franke, ihm dabei zu helfen.

Acht Bände sollten es werden, doch nach einiger Zeit der Suche und zähen Verhandlungen mit Autoren fehlte, so erinnert sich Franke, der achte Band. Da habe Goldmann die Idee gehabt, Frankes Geschichten zu veröffentlichen. Davon gab es allerdings zu wenige, und sie waren teilweise extrem kurz. Goldmann gab Franke also 14 Tage Zeit - und dann erschien 1960 "Der Grüne Komet" mit 65 Geschichten, von denen manche nur eine halbe Seite lang sind, als achter Band der allerersten deutschen Science-Fiction-Buchreihe. Es folgten sieben weitere Kurzgeschichtensammlungen, 20 Romane, zuletzt 2007 "Flucht zum Mars" und eine lange Reihe von Sachbüchern.

Im Verlag p.machinery erscheint seit 2014 eine Franke-Werkausgabe mit 30 Bänden. Sie vereint Romane, Erzählungen, Hörspiele und andere mediale Werke Frankes. Bis heute gilt Franke als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Science-Fiction-Autoren. Im März wurde er in Bad Tölz mit dem Ehrenpreis "Europäischer Großmeister der Science Fiction" ausgezeichnet. Bei der Verleihung sagte er: "Ich bin der Meinung, dass die Zukunft nicht vorgegeben ist. Wir sind in unserer Gesellschaft aufgerufen darüber nachzudenken, welche Art von Zukunft wir wünschen."

Franke will nicht nur wissen, sondern verstehen

Dabei, so Franke, gehe es um etwas sehr Wichtiges: "Das Richtige zu tun. Zu entscheiden, was wirklich zu einer wünschenswerten Zukunft führt, ist nicht immer einfach. Je mehr man darüber weiß, welche Möglichkeiten bestehen, umso größer ist die Chance, dass wir vielleicht doch gelegentlich einmal das Richtige tun." Davon ist er nicht überzeugt, wie er bei der Ars Technica sagte: "Ich habe Zweifel, ob die Technik primär für vernünftige Zwecke verwendet wird. Die Technik der Zerstörung ist oft leichter herzustellen."

Er selbst hat die Technik schon der allerersten Computer für seine Kunst genutzt, und so prägte Franke auch die Computerkunst. Als deren Pionier sei er weltweit anerkannt und verfüge über ein gut dokumentiertes, reiches und anspruchsvolles Werk, schreibt die Kunsthistorikerin Heike Piehler über Franke - in einem Text für die chinesische Tsinghua-Universität in Peking, der dort zu Frankes 90. Geburtstag in einer Zeitschrift erscheinen soll. 1954 konzipierte er einen Analogcomputer für die Grundrechenarten, den er für Kunstexperimente einsetzte.

Ein Oszillograf diente als Drucker. In den Sechzigerjahren konnte er einen Großrechner für seine Werke nutzen, in den Achtzigerjahren arbeitete er mit der Deutschen Luft- und Raumfahrtbehörde zusammen, um an starke Computer zu kommen. Ihm gelang die Visualisierung von Fraktalen wie auch von algebraischen Formeln.

Er gehörte zu den ersten, der Bilder digitalisierte und so verfremdete. Und 1979 war Franke Mitbegründer der Ars Electronica in Linz, einem jährlich stattfindenden Festival. Es widmet sich der Präsentation und Förderung von Kunst in Verbindung mit digitaler Technik, aber auch gesellschaftlichen Fragestellungen.

Der urmenschliche Drang der Neugier treibt Franke auch noch mit bald 90 Jahren an. Er selbst nennt sie in autobiografischen Aufzeichnungen "ein richtungsweisendes Element für meine Entwicklung". Als direkt nach dem Zweiten Weltkrieg Auslandsreisen noch unmöglich waren, stieg Franke auf der Suche nach dem Unerforschten und dem "Sense of Wonder", wie er sagt, "in die lichtlosen Regionen der Höhlen" hinab.

Über die Abenteuer dort unten verfasste er 1956 sein erstes Buch: "Wildnis unter der Erde" und 2003, fast 50 Jahre später, das Sachbuch "Vorstoß in die Unterwelt - Abenteuer Höhlenforschung". Obwohl die Höhlenforschung für Franke eigentlich ein Hobby war , entwickelte er eine viel beachtete Methode zur Altersbestimmung von Tropfsteinen und war an der Erforschung der Mammuthöhle am Dachstein beteiligt.

Seine Neugier erschöpft sich nicht in der Suche nach immer mehr Wissen, sondern er will vor allem verstehen. Deshalb zählt die Kybernetik, die Wissenschaft von der Selbststeuerung von Systemen, zu seinen Lieblingswissenschaften. Franke misstraut Religionen und politischen Ideologien, er bevorzugt Erklärungen, die auf den Grundsätzen der exakten Wissenschaft beruhen.

Und bei alldem fragt er immer: Was kann ich damit tun? In der Kunst sieht er ein Übungsfeld der Wahrnehmung: "Sie bietet ein Lern- und Übungsfeld für jene Fähigkeiten, denen der Mensch seine Sonderstellung auf der Erde verdankt." Und eigentlich, so erzählt er, habe er die Science-Fiction-Geschichten nur geschrieben, weil mit seiner Kunst nicht genug Geld zu verdienen war.

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