Geburtskliniken:Immer mehr wollen ein Münchner Kindl

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Babyboom in der Landeshauptstadt: Die Geburtskliniken melden Rekordzahlen - die Mütter werden aber zusehends später schwanger.

Christian Rost

Die Zahl der Geburten steigt in München stark an. Im ersten Halbjahr 2008 kamen in der Landeshauptstadt 7000 Kinder zur Welt. Das sind 400 mehr als im vergangenen Jahr. Die großen Geburtskliniken, die wieder Rekordzahlen melden, rechnen damit, dass sich der Baby-Boom weiter fortsetzt. Der Trend, dass die Frauen immer später Nachwuchs bekommen, hat sich bestätigt.

Ein kleines Münchner Kindl (Foto: Foto: Hess)

Wie das statistische Amt der Stadt errechnete, wurden von Januar bis Juni exakt 7096 Kinder geboren. In den ersten sechs Monaten des Vorjahres waren es 6690 und im Jahr davor noch 6205 Geburten. Die Liste erfasse aber nur die "Münchner Kindl", wie Statistiker Gerhard Desch berichtet, also jene, deren Eltern ihren Hauptwohnsitz in der Landeshauptstadt haben.

Tatsächlich werden in München noch weit mehr Kinder geboren, weil werdende Mütter wegen des exzellenten Rufs der Geburtsmedizin in München zum Teil lange Wege für die Entbindung in Kauf nehmen. So wurde eine schwangere Frau aus San Diego im Klinikum Großhadern entbunden, weil ihr Kind wegen eines Herzfehlers sofort operiert werden musste. In den USA hatte man der Mutter geraten, die Schwangerschaft abzubrechen.

Karl Friese, Direktor der LMU-Frauenkliniken Großhadern und Maistraße, kann nun stolz berichten, dass es Mutter und Kind gut gehe. Der Eingriff am Herzen des Säuglings sei erfolgreich verlaufen. Sowohl in der Maistraße als auch in Großhadern, die 2007 zusammen 4066 Kinder bei 3892 Geburten verzeichneten, liegen aktuell 50 Geburten über dem Vorjahreswert.

Eine ebenso weite wie aufregende Fahrt hat auch eine Münchnerin hinter sich, die seit einiger Zeit in Venedig lebt, ihr Kind aber unbedingt im Klinikum Dritter Orden bekommen wollte. "Sie hatte schon einen Blasensprung, als sie uns anrief und darüber informierte, dass sie jetzt losfahren würde", so der Leitende Oberarzt Wolfgang Talsky.

Obwohl die Ärzte am Dritten Orden von der risikoreichen Reise mit geplatzter Fruchtblase dringend abrieten, tauchte die Hochschwangere Stunden später in Nymphenburg auf. Auch in diesem Fall verlief alles glatt. Nach den Angaben von Hebamme Dorothea Ille wurden im ersten Halbjahr bereits 1044 Kinder im Dritten Orden geboren, vor allem die vergangenen Wochen seien ereignisreich gewesen. "Vielleicht wegen des sich ständig wechselnden Wetters" sei die Geburtenzahl deutlich nach oben geschnellt.

Übers Jahr gerechnet werden an diesem Klinikum maximal 2100 Entbindungen vorgenommen. Die Zahl sei gedeckelt, um eine optimale Versorgung von Frauen und Kindern zu gewährleisten, sagt der Oberarzt. Auf der langen Warteliste für einen Termin im Kreißsaal stehen auch viele Schwangere aus dem Dachauer Raum, die wegen des Rufs, den Dachau durch das Konzentrationslager in aller Welt bekommen hat, lieber den Geburtsort München für ihre Kinder wählen. "Dabei leistet auch das Geburtsteam am Dachauer Krankenhaus hervorragende Arbeit", so Talsky.

Die nach eigenen Angaben mit Abstand geburtenstärkste Frauenklinik in Bayern und auf Rang drei im bundesweiten Vergleich nach der Charité und dem Vivantes-Klinikum in Berlin ist die Frauenklinik des Bayerischen Roten Kreuzes an der Taxisstraße. In der Taxisklinik kommen inzwischen jährlich mehr als 3000 Kinder zur Welt, das sind rechnerisch 8,8 Geburten am Tag.

Wie Julia Leichert von der Unternehmenskommunikation berichtet, sei die Tendenz bei den Geburten "definitiv steigend", in diesem Jahr liege das Krankenhaus bisher bei 1901 Entbindungen, das sind gut 150 mehr als noch 2007. In den kommenden Monaten sei sogar mit einer weiteren Steigerung zu rechnen. Bei den werdenden Müttern sei eine starke Nachfrage nach einer Kombination aus klassischer und sanfter Geburtshilfe gefragt, stellt Leichert fest: "Die Frauen schätzen es, wenn sie vor dem gesicherten Hintergrund höchster medizinischer Leistungsfähigkeit auch auf alternative Angebote wie Akupunktur oder Homöopathie zurückgreifen können."

Hebammen und Ärzten fällt auch in diesem Jahr auf, dass Frauen immer später schwanger werden. "Gerade Akademikerinnen bekommen ihre Kinder erst mit Mitte 30", sagt Leichert. Professor Friese von den LMU-Kliniken, die auch besonders viele Risikoschwangerschaften und fast die Hälfte aller Frühchen mit weniger als 1500 Gramm in Bayern betreuen, bestätigt dies: "Die schwangeren Frauen sind eindeutig älter."

1990 habe der Anteil der Schwangeren über 35 Jahre noch bei zehn Prozent gelegen, mittlerweile sind es 18 Prozent. Heute komme erst der Beruf und dann die Familienplanung, wobei allerdings bei Spätgebärenden die Risiken zunähmen. Das optimale Geburtsalter sei 25, sagt Friese, denn auch darunter gebe es entgegen der landläufigen Meinung "je jünger, desto besser" ein erhöhtes Risiko.

Wem nun das Verdienst für den Münchner Kindersegen zuzurechnen ist, da klopfen sich gleich mehrere Politiker auf die Schultern. Die Bundesregierung nennt das Elterngeld als Grund dafür, dass sich wieder mehr Paare für Kinder entscheiden. Gegen diese Annahme spricht allerdings, dass die Geburtenrate bundesweit in den vergangenen zwei Jahren nur leicht um 3000 zugenommen hat, während München alleine von 2006 auf 2007 einen Zuwachs von mehr als 600 schaffte.

Dementsprechend will auch das rot-grüne Rathausbündnis in München als eigentlicher Pate des Baby-Booms angesehen werden, weil die Landeshauptstadt "familienfreundlich" sei. Dieser Einschätzung lässt sich entgegensetzen, dass es im teuren München immer noch mehr Singlehaushalte als solche mit Kindern gibt - und dass der Anteil der Alleinlebenden in der Stadt zuletzt sogar noch um 1,5 Prozent auf 54,2 Prozent gewachsen ist.

Außerdem bestehen - trotz erheblicher Investitionen der Stadt - weiterhin große Defizite beim Betreuungsangebot für Kleinkinder. Nur für jedes fünfte Kind gibt es derzeit in München einen Krippenplatz.

© SZ vom 11.08.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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