Gebildet, erfahren und reich an Ideen:Not macht erfinderisch

Prof. Alexander Pustovar hat den Erfinderclub âÄžPionierâÄœ

Der Arzt und Forscher Alexander Pustovar kam vor 14 Jahren aus der Ukraine nach München.

(Foto: Florian Peljak)

Alexander Pustovar fand in München keine Arbeit und gründete einen Erfinderklub

Von Elsbeth Föger

München - Mit dem Kopf ist es ein bisschen wie mit einem Kochtopf. Es kann eine Weile dauern, bis man darin etwas vorzuzeigen hat. Aber irgendwann brodeln die Ideen schon hoch. So erklärt es zumindest Alexander Pustovar, 74. Der Mann mit den buschigen Augenbrauen und den großen, eckigen Brillengläsern muss es wissen. Er hat in München vor mehr als zehn Jahren den Erfinderklub "Pionier" gegründet. Einen Verein, der sich als Sammelbecken für kreative Querdenker versteht. Hier werde alles Mögliche entwickelt, vom Pizzaschneider bis zum Raketenantrieb, sagt Pustovar.

Seine ukrainische Abstammung erahnt man schon beim ersten Wort. Den weichen Akzent hat Pustovar nie abgelegt, obwohl er schon mehr als 14 Jahre in München ist. Erst arbeitete Pustovar in Charkow als praktischer Arzt, dann als Veterinärarzt und Mikrobiologe an der Universität, wo er Impfstoffe entwickelte. Doch das Hochschulklima war ihm zu einengend. Pustovar wollte nach Deutschland.

Nicht einfach, so ganz ohne Sprachkenntnisse. Er tat sich schwer, in München Arbeit zu finden. "Sie haben hier keine Zukunft", sagte man ihm am Institut für Mikrobiologie. "In diesem Kopf gibt es viel mehr als bei vielen deutschen Doktoranden", beharrte Pustovar. Und blieb. "Ich habe gesagt: Ich möchte arbeiten. Meiner Natur nach bin ich Forscher." Pustovar war nicht der Einzige, dem es so ging. In München gab es viele Gleichgesinnte mit Migrationshintergrund. Alle waren sie hochgebildet, erfahren, schöpferische Menschen - und konnten nicht arbeiten. Verschwendetes Potenzial, fand Pustovar. Als er von einem Erfinderklub in Berlin hörte, dachte er: Warum nicht dasselbe in München versuchen?

Interesse hatte anfangs nur eine Handvoll Leute, heute hat der Verein 22 Mitglieder. Einmal im Monat trifft man sich im Selbsthilfezentrum, es kommen IT-Spezialisten genauso wie Ingenieure oder Hobby-Bastler. Man hilft sich dabei, die Ideen zu patentieren und zu vermarkten. Viele davon kommen aus der Lebenswelt der Tüftler. Etwa aus der eines Hausmeisters. Er musste immer das zusammengerechte Laub am Boden in eine Kiste bugsieren. Irgendwann hatte er es satt, sich täglich den Rücken zu verbiegen. Da erfand er den Laubgreifer - eine Art überdimensionierte Hand, mit der sich das bequem im Stehen erledigen lässt. 100 Erfindungen wurden schon angemeldet. Oft entsteht Praktisches für den Alltag: die Halterung, damit das hohe Weißbierglas nicht im Geschirrspüler umfällt. Oder der Pizzaschneider, der den Sonntagsteller mit Goldrand vor dem Zerkratzen bewahrt.

Aber die Erfinder denken auch in größeren Dimensionen. Pustovar öffnet seine schwarze Ledertasche und kramt eine Broschüre heraus: "Das Schiff der Zukunft" steht darauf. Darunter ein futuristisch anmutendes Schiff mit zwei gegenläufigen Schiffsschrauben. Damit könnte man bis zu ein Viertel an Brennstoff einsparen. Für kleine Boote gibt es das bereits, für große Schiffe noch nicht. "Eine verrückte Fantasie, hat man uns anfangs gesagt", sagt Pustovar. Ein Erfinderkollege habe gar einen Elektroantrieb für Raketen entwickelt, mit dem man drei, vier Mal schneller zum Mars kommen würde als mit herkömmlicher Technologie.

Eine Zeit lang wurde der Verein staatlich unterstützt und durfte an der Erfindermesse in Nürnberg teilnehmen. Dort gewann er so viele Medaillen, dass er in einem Förderprogramm deutschlandweit gar zum Spitzenreiter wurde. Irgendwann aber war die Finanzierung zu Ende. Die Politik zeigt wenig Interesse, sagt Pustovar. So viel Korrespondenz habe er schon geführt. Briefe geschrieben an Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, an die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Oft habe Pustovar vergeblich auf Antwort gewartet. Für ihn steht Bayern nicht gerade für Innovationsförderung zwischen Laptop und Lederhose. "Das Klima für freie Erfinder ist starr, ungünstig, formalistisch", sagt Pustovar und legt eine theatralische Pause ein. Es brauche bessere Anlaufstellen für Erfinder, mehr staatliche Fördergelder, aufgeschlossenere Unternehmen.

Pustovar ärgert sich darüber so sehr, dass er bisweilen überlegt, mit dem Ganzen aufhören. Zumal auch nur zwei, drei von den 100 Erfindungen gewerblich umgesetzt und vermarktet wurden. Sein "Schiff der Zukunft" steht immer noch als ein Meter langes Kunststoffmodell im Keller. Aber von Ruhestand kann dennoch keine Rede sein. "Ich will nicht zu Hause auf der Couch sterben", sagt Pustovar. "Ich muss auch ein Beispiel sein - wie ein Daniel Düsentrieb." Damit der Kopf-Kochtopf weiterbrodeln kann.

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