Garteln in München:Zurück zur Parzelle

Garteln ist was für Senioren? Weit gefehlt! Kleingartenanlagen erleben eine neue Blütezeit. Vor allem jüngere Münchner schaffen sich kleine Idyllen mitten in der Stadt. Ein Besuch.

Sabrina Ebitsch

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Schrebergarten Arnulfstraße, Kleingartenverein Nord-West 4 e.V. am Hirschgarten

Quelle: Florian Peljak

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Natürlich, die Gartenzwerge. Da sitzen und liegen sie im Beet zwischen Bambus und Korkenzieherweide, und hinter ihnen steht groß das Klischee vom Schrebergarten, vom Laubenpieper. Katja Zellner, 29, Jeans und T-Shirt, rückt es aber recht schnell zurecht: "Die sind von außen gekommen. Wir haben sie übernommen und zwei geschenkt bekommen. Selbst gekauft haben wir keine", sagt ihr Mann Andreas. Sie seien eigentlich keine Gartenzwerg-Fans. Mittlerweile, so scheint es, ist der Gartenzwerg die Allegorie eines Vorurteils, das seit Jahrzehnten von außen an die Kleingärtner herangetragen wurde, aber spätestens jetzt auf den Komposthaufen gehört. "Ich habe noch nie gehört, dass das hier ja so spießig ist", sagt Andreas Zellner. "Im Gegenteil: Unsere Freunde sagen eher: Wie kommen wir schnell an so was?", sagt seine Frau. Gärtnern in der Stadt liegt im Trend, sei es in den traditionellen Schreber- oder, wie sie eigentlich heißen, Kleingartenanlangen, in Kraut- und interkulturellen Gärten oder in moderneren, postmodernen Varianten wie Guerilla Gardening oder Urban Farming. Und gerade die, die besonders urban sind, machen mit.

Schrebergarten Arnulfstraße, Kleingartenverein Nord-West 4 e.V. am Hirschgarten

Quelle: Florian Peljak

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"Man will dort etwas haben, wo man wohnt", sagt Christa Müller, Autorin des jüngst erschienenen Buches Urban Gardening - Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. "Die Leute suchen einen Zugang zur Natur mitten in der Stadt." Sie sieht einen "ganz klaren Trend", hinter dem sie gesundheitliche Motive vermutet, Misstrauen gegenüber der Ernährungsindustrie gepaart mit - gerade bei den Jüngeren - dem Wunsch, die Stadt als Lebensraum zu verändern. Auch der Schrebergarten hat unter diesen Vorzeichen den Ruch des Spießigen verloren. 46.000 Hektar Kleingärten gibt es bundesweit, die von fünf Millionen Menschen genutzt werden. Gerade in den Großstädten haben sie starken Zulauf. "Wir sind bevorzugte Münchner Bürger, wir müssen nicht drei Stunden im Stau stehen, wenn wir ins Grüne wollen", sagt Helmut Schmidt, Vorsitzender des Münchner Kleingartenverbands. Die Wartezeit auf eine Parzelle in einer der 85 Kleingartenanlagen liegt zwischen einem und fünf Jahren - je nach Stadtteil: In den Außenbezirken geht es schneller, im Zentrum dauert es länger. Die Vereine führen Wartelisten für Fördermitglieder, die hoffen, irgendwann einer der 8684 Pächter zu werden. Durchschnittlich ein bis zwei Parzellen werden pro Jahr und Anlage frei, weil jemand wegzieht, aufgibt oder stirbt.

Das Foto zeigt Roman Primig und Sonja Süß in ihrem Garten.

Schrebergarten Arnulfstraße, Kleingartenverein Nord-West 4 e.V. am Hirschgarten

Quelle: Florian Peljak

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"Die Nachfrage ist steigend. Und wenn man sieht, wer sich anmeldet, dann sind das in erster Linie jüngere Leute", sagt Schmidt, "es ist ein Generationswechsel, den wir zurzeit haben." Studien bestätigen das. Noch liegt das Durchschnittsalter bei knapp 60 Jahren, aber 64 Prozent aller neuen Pächter seit 2000 sind jünger als 55 und fast die Hälfte aller Neuverpachtungen von 2003 bis 2008 ging laut einer Studie des Bundesministeriums für Stadtentwicklung an Familien. "Plötzlich ist es wieder hip, sich die Fingernägel schmutzig zu machen. Die industriell geprägte Zivilisation ist am bröckeln und die Gärten sind ein Ausdruck davon", sagt Müller.

Schrebergarten Arnulfstraße, Kleingartenverein Nord-West 4 e.V. am Hirschgarten

Quelle: Florian Peljak

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Die Zellners kümmern sich nicht um Trends. Sie stellen fest, dass ihre Nachbarn jünger werden. Dass da drüben zwei Brüder im Teenageralter mittlerweile fast häufiger da sind als die Eltern und lernen oder Partys mit Freunden feiern. Und dass sie am Anfang die einzigen hier waren und jetzt schon vier Familien mit Kindern in der Nachbarschaft eingezogen sind. Die Zellners haben ihre Parzelle schon seit sechs Jahren. Sie mögen es, dass sie mitten in der Stadt im Grünen sein und sich hier nach der Arbeit entspannen können.

Schrebergarten Arnulfstraße, Kleingartenverein Nord-West 4 e.V. am Hirschgarten

Quelle: Florian Peljak

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Nelkenweg 25, in der 1924 gegründeten Kleingartenanlage Nord-West 4 zwischen Arnulfstraße und Hirschgarten, einer der ältesten in München. 200 Quadratmeter Privatidyll mitten in der Stadt. Den Verkehrslärm haben Bäume und Sträucher längst verschluckt. Laut ist nur der fünfjährige Florian, der mit einer elektrischen Rasenschere unter dem Tisch werkelt, an dem seine Eltern unter einem großen Sonnenschirm sitzen. Je nach Wetter zwei bis drei Mal pro Woche kommt die Familie in ihren Schrebergarten, nach der Arbeit und am Wochenende sowieso. "Es ist schön, wenn man in zehn Minuten hier ist und nicht in einen überfüllten Biergarten zu gehen braucht", sagt Andreas Zellner.

Schrebergarten Arnulfstraße, Kleingartenverein Nord-West 4 e.V. am Hirschgarten

Quelle: Florian Peljak

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Das Abschalten vom Alltagsstress fällt leichter als vor dem Fernseher. Man kennt sich, tauscht sich und Pflanzensamen über den Gartenzaun aus. Auch mit den Nachbarn hat es noch nie Ärger gegeben, nicht einmal, wenn Andreas mit seiner Fußballmannschaft hier feiert. "Wenn es abends lauter wird, sind die meisten eh schon weg." Die Zellners haben Freundschaften geschlossen, die sich jenseits des Koordinatensystems Nord-West 4 wahrscheinlich nie ergeben hätten, mit Michi und Marita, beide um die 50, und Manfred und Traudi, beide um die 70, ein Großeltern-Ersatz für Florian. "Ich habe früher immer gesagt: Ich schaffe mir nie einen Garten an, ich mache mir doch keine Arbeit - so ändern sich die Zeiten", sagt Katja Zellner. Jetzt freut sie sich über selbst geernteten Kohlrabi und schimpft über aufdringliche Nacktschnecken. "Das Besondere ist: Das Grün hier, das haben wir geschaffen." Ihr Mann schätzt auch die Schlichtheit: "Du hast keinen Fernseher, keine elektronischen Geräte, musst den Kaffee mit der Hand aufbrühen." Christa Müller sieht hier eine Gegenbewegung zur Virtualisierung in einer computerdominierten Welt: "Die indirekten Erfahrungen im Internet verstärken den Wunsch nach dem Echten, dem Authentischen. Der Garten bietet da etwas Handfestes. Gärtnern ist sinnlich und sinnvoll, eine Arbeit, die uns im wahrsten Sinne des Wortes erdet."

Das Foto zeigt Roman Primig und Sonja Süß in ihrem Garten.

Schrebergarten Arnulfstraße, Kleingartenverein Nord-West 4 e.V. am Hirschgarten

Quelle: Florian Peljak

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Denn bei allen Trends geht es immer noch und vor allem um die Gartenarbeit selbst. Dass hier Familie Zellner gärtnert, kündigt ein Schild an der Hütte an. Bei schönem Wetter verbringen sie ganze Tage in ihrem Garten, zupfen Unkraut - "Unkraut ist immer da" -, spielen mit Florian, grillen. Zurzeit wird geerntet, im Gemüsebeet warten Kohlrabi, Bohnen, Karotten, neben Florians Spielecke Jostabeeren und Himbeeren. Für morgen muss Andreas Zellner noch Salat und Tomaten holen, da sind sie auf eine Geburtstagsfeier eingeladen. "Unsere Freunde freuen sich immer", sagt der 41-Jährige. "Zur Ehec-Zeit gab's immer gesunde Gurken", sagt seine Frau Katja. Obst und Gemüse sind im Schrebergarten Bio, Pestizide verboten. Die Zellners haben ihren Garten auch, "damit Florian lernt, dass Erdbeeren nicht aus dem Kühlschrank kommen", sagt seine Mutter. In den Kindergarten bringt sie kiloweise Johannisbeeren mit.

Schrebergarten Arnulfstraße, Kleingartenverein Nord-West 4 e.V. am Hirschgarten

Quelle: Florian Peljak

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Wer eine Parzelle in der Anlage übernimmt, bekommt noch immer ein Heftchen in die Hand gerückt, das ihn darüber informiert, was er darf und muss. Die Gartenordnung regelt zum Beispiel, dass Nadelbäume unerwünscht sind, welche Heckenhöhe erlaubt ist und dass auf einem Drittel der Fläche Gemüse und Obst angebaut werden muss. Aber die Vorschriften werden entschlackt. "Vieles kommt weg, was kleinlich war. Der bürokratische Aufwand war groß, für jeden Dreck hat man einen Antrag stellen müssen", sagt Schmidt.

Schrebergarten Arnulfstraße, Kleingartenverein Nord-West 4 e.V. am Hirschgarten

Quelle: Florian Peljak

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Als die Zellners vor sechs Jahren angefangen haben, wollten sie einen Rosenbogen für ihren Garten. Sie mussten einen Antrag stellen, eine Planskizze einreichen und sich das Gestell genehmigen lassen. Heute ist das nicht mehr nötig. "Die Spießigkeit, die dem Laubenpieper angehangen hat, ist lange vorbei", sagt Heidi Pfadler, Vereinsvorsitzende von Nord-West 4. Als wollten die Kleingärtner sich den Muff selbst austreiben. Der Schrebergarten ist nicht nur als gesamtgesellschaftlicher Trend modern geworden, sondern auch in sich. Es könne ja nicht sein, dass etwas sei, nur weil es viele Jahre so gewesen sei, sagt Schmidt: "Die Zeiten haben sich geändert."

© SZ vom 29.08.2011/tob
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