Gardasee und Tourismus:Riva leuchtete

Schon Thomas Mann wusste den Luxus im Hotel Lido Palace zu schätzen. Nach vielen Jahren des Abstiegs blüht das Feriendomizil der besseren Münchner Gesellschaft wieder auf. Die ganze Region hängt am Geschäft mit den Urlaubern aus Bayern

Von Melanie Staudinger

Wenn Heinrich Mann über den Gardasee schrieb, geriet er prompt ins Schwärmen. Dieser sei "wunderschön; es gibt Bootsfahrten, Wanderwege, Wasserfälle, eine alte und graziöse Kleinstadt, ein gutes Hotel mit ausgezeichneter Kost, Dinge, die ein unbeschreibliches Gefühl der Sicherheit geben", erklärte er in einem Brief im Oktober 1883. Heinrich Mann verbrachte während seiner Münchner Zeit insgesamt über zweieinhalb Jahre in Riva del Garda, aufgeteilt auf etwa 20 Aufenthalte.

Sein jüngerer Bruder Thomas Mann war nicht ganz so oft da, aber immerhin reiste er mehrmals zwischen 1901 und 1904 dorthin. Doch auch er glühte für den südlichsten See Münchens, vor allem vom morgendlichen Rudern war er begeistert. Jedes Mal wieder sei er fasziniert: "Es ist etwas ganz besonders Bewegendes, wenn man nach einer langen Zeit der Unruhe wieder auf dieser sonnigen Ruhe gleiten kann, süss flüsternd und schwappend, umgeben von strengen Bergen." Wer damals in München zur besseren Gesellschaft gehörte, fuhr an den Gardasee. Und wer heute wissen will, wie luxuriös der Aufenthalt war, der kann das Hotel Lido Palace 1899 in Riva besuchen. Das thront noch immer am Nordufer, unter anderem nächtigte dort Thomas Mann.

Schon damals lief ohne Münchner am See nicht sehr viel. Das hat sich gehalten, bis heute. Roberta Maraschin, in Riva zuständig für den Tourismus, setzt auf Kontakte zu München. Partnerschaften gebe es unter anderem mit dem ADAC und MAN. Die machen Veranstaltungen am Gardasee, verlosen Reisen dorthin. "Die bayerischen Gäste sind anspruchsvoller geworden", sagt Maraschin. Früher hätten Pizza und Spaghetti gereicht, heute wollten sie mehr über regionale Produkte wissen, sie wollten gut essen und ließen sich das auch etwas kosten. "Entspannung, Sport, Genuss", so fasst die Tourismusdirektorin ihre Strategie zusammen. Und das individuell auf jeden Gast zugeschnitten, der mittlerweile per App seinen Surf- oder Mountainbike-Kurs buchen kann. Zum Treffen hat sie einen dicken Haufen an Prospekten mitgebracht: über Kletter- und Mountainbike-Routen, über Angebote für Familien und einen Restaurantführer bis hin zu einem "Guide" mit Pilates- oder Motorcross-Angeboten.

Doch nur die wenigsten Gäste können es sich leisten, bei ihrem Gardaseeurlaub zu nächtigen wie Thomas Mann. Hecken und Wände schirmen das Lido von der Außenwelt ab. Absolute Diskretion ist den Gästen, die 500 Euro pro Nacht bezahlen, wichtig. Dazu bietet das Lido etwa eine Gesichtsbehandlung mit 23-karätigem Gold (230 Euro), der eigene Schönheitschirurg verlangt 1690 Euro für eine komplette Botox-Gesichtsbehandlung.

"Wir wollen absoluten Luxustourismus bieten", sagt Hoteldirektor Gabriele Galieni. Seine Zielgruppe: reiche Menschen von 35 Jahren an, Aktivtouristen, die Sport treiben oder sich einfach nur erholen wollen. Für sie ist das Lido eine Insel. Es ist das einzige Fünf-Sterne-Hotel in Riva und auch die Gastronomie außerhalb ist für den normalen Geldbeutel gedacht. Doch Galieni ist unbeirrt. Besonders der deutsche Markt sei interessant für ihn. Und dieser soll wachsen. Erst ein Drittel der Kunden kommt aus Deutschland. Zum Vergleich: In der gesamten nördlichen Gardasee-Region stellen deutsche Gäste die Hälfte aller gut drei Millionen Übernachtungen im Jahr, gefolgt von Italienern (500 000), Briten (220 000) und Österreichern (160 000).

Und der Weg in den deutschen Markt führt über München - Schätzungen zufolge sind etwa 60 Prozent der deutschen Touristen aus Bayern, die meisten davon wiederum aus München und Oberbayern. Darunter auch der FC Bayern: Bis 2013 residierten die Fußballer des Rekordmeisters im Hotel Lido zum Sommertrainingslager - eine bessere Werbung gibt es kaum, viele Fans reisten freilich hinterher. Galieni hat noch immer Fotos auf seinem Handy, von sich und Trainer Pep Guardiola, von den Lido-Angestellten und der Mannschaft des FCB. "Das war ein Erlebnis", sagt Galieni.

Es gibt wohl kein zweites Hotel, das die Geschichte des Lago besser widerspiegelt als das Lido Palace. 1899 wurde es eröffnet. Damals wurde Riva del Garda noch "Reiff am Gartsee" genannt und gehörte zu Österreich-Ungarn. Nicht nur die Mann-Brüder kamen - das milde Klima und die Seeluft lockten viele andere Prominente der damaligen Zeit, die Habsburger etwa, amerikanische Milliardäre wie die Vanderbilts, Intellektuelle, Künstler oder Schriftsteller wie Franz Kafka. Doch der Glanz verblasste. Der Erste Weltkrieg unterband das Reisen jäh, im Zweiten Weltkrieg musste das Hotel gar als Stützpunkt der Wehrmacht herhalten.

Riva di Garda: Gardasee-Reportage / Lago di Garda

Während man im Hotel Lido Palace stilvoll unter sich bleibt, flanieren in der Altstadt die Touristen und machen Rast bei Pizza und Pasta.

(Foto: Johannes SImon)

Doch auch das Kriegsende brachte keine Besserung. Die glorreichen Zeiten waren vorbei - für sehr viele Jahre. Auch der beginnende Massentourismus in den Sechziger- und Siebzigerjahren konnte das Lido nicht retten. Problematisch für Luxushotels war schlicht das fehlende Publikum: An den Gardasee zog es besonders Low-Budget-Reisende, die auf dem Campingplatz wohnten und ihr Essen und ihre Getränke selbst mitbrachten. Für diejenigen, die etwas mehr Komfort wollten, entstanden günstige Zwei- und Drei-Sterne-Hotels. Der Lago wurde zu einem "Italien für Anfänger": Menschen mit Geld fuhren lieber in die Toskana.

Riva schien lange Jahre stehen geblieben, die Touristen waren zufrieden, wenn sie Spaghetti und Pizza bekamen, erholten sich am Strand, surften. Das Lido Palace hingegen wechselte oft den Eigentümer, hatte geschlossen, ein Neustart im Jahr 1995 misslang. Es verfiel bis nach der Jahrtausendwende. Nach fünf Jahren Renovierung für fast 20 Millionen Euro eröffnete das Lido Palace 2011 neu. Das historische Gebäude erhielt einen Anbau mit Spa-Bereich, Hallenbad, Bistro und einem Gourmetrestaurant. Im Haupthaus blieben die Raumzuschnitte gleich, wie Hoteldirektor Galieni erklärt. Hohe Zimmer, große Fenster, kunstvoll verzierte Decken und die original Treppe aus dem 19. Jahrhundert - all dies hat Architekt Alberto Cecchetto mit modernen Elementen ergänzt.

Die Geschäfte im Sommer laufen, ein Problem aber bleibt: Im Winter ist am See nur wenig los, die allermeisten Hotels und Gaststätten haben geschlossen. Galieni setzt im Lido auf seinen Spa-Bereich und die Nähe zu diversen Skigebieten. "Ein Kurzurlaub lohnt allemal", sagt er. Tourismus-Chefin Marachin setzt lieber auf Webeeffekte, die vielleicht auch im Winter mal ziehen werden. Ende August steht zum Beispiel schon der nächste Promi-Besuch aus München an: dieses Mal von den Basketballern des FC Bayern. Anders als Thomas Mann aber oder ihre Kollegen aus der Fußball-Abteilung übernachtet die Mannschaft nicht im Lido Palace, sondern im etwas günstigeren Astoria Park Hotel. Das hat einen Stern weniger.

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