Garching:Die Zukunft beginnt vor der Stadt

Roboter für die Ernte, Copter und Virtual-Reality-Brillen für Einsatzkräfte - beim Tag der offenen Tür am Garchinger Forschungszentrum beweisen Tausende von Besuchern ihr Interesse an der Arbeit der Wissenschaftler

Von Gudrun Passarge, Garching

Pommes mit Ketchup? Die Frau muss nicht lange überlegen. "Das ist ganz ungesund", sagt sie und entscheidet sich für Null Prozent. Aber wie viel Fett ist in den Pommes und wie viel Zucker im Ketchup? Das ist schon schwieriger. Solche und andere Fragen dürfen Besucher am Stand von "Enable" beantworten, einem interdisziplinären Forschungsprojekt, das dem Verbraucher Mittel an die Hand geben möchte, die ihn bei gesunder Ernährung unterstützen. Nur wenige Meter weiter hüpfen ein Mädchen und ein Junge vor einem Computer herum und wedeln mit den Armen. Sie versuchen, mit ihren Bewegungen kleine Autos auf dem Boden hin- und herfahren zu lassen, was tatsächlich gelingt, wenn auch nicht immer so, wie sie wollen. Tag der offenen Tür am Garchinger Forschungszentrum - das Interesse ist groß. Tausende von Menschen ziehen durch die Institute, um zu sehen, woran die Wissenschaftler arbeiten.

Kai Klinker steht am Stand von "Cat Care", einem Projekt der Wirtschaftsinformatiker, bei dem es um richtige Pflege geht. Dazu bedienen sich die Informatiker einer speziellen AR-Brille, was für Augmented Reality steht und auf Deutsch mit erweiterter Realität übersetzt wird. Mit der Brille sehen die Besucher kranke Katzen, die von grünen und roten Keimen befallen sind. Aber die Tiere müssen ja trotz ihrer Krankheit versorgt und gepflegt werden. Also müssen die Besucher die Katzen auch anfassen - und danach die Hände waschen. "Ein Video erklärt, wie es richtig geht", sagt Klinker. Das sei wichtig, weil jedes Jahr etwa 15 000 Menschen an Krankenhauskeimen sterben. Richtige Hygiene ist wichtig, stellt die Voraussetzung dar, solche Keime einzudämmen. Die Brille könnte also Anwendung bei Pflegeschulungen finden.

Ähnlich anwendungsbezogen ist auch eine Idee, die der Lehrstuhl für Raumfahrt verfolgt. Dort erklärt Alexander Höhn ein Forschungsprojekt, bei dem es darum geht, den Einsatz von Feuerwehrleuten und Hilfskräften zu optimieren. Bis diese sich am Unfallort einen Überblick verschafft haben, tappt die Leitzentrale "normalerweise total im Dunkeln", bekomme nur ansatzweise über Funk mit, was passiert ist und was zu machen ist. Wenn Feuerwehrautos mit Coptern ausgestattet wären, könnten diese über den Unfallort fliegen und Bilder dank modernster Satellitentechnik an die Leitstelle senden. Allerdings kämen diese Bilder dort mit etwa zwei Sekunden Verzögerung an, berichtet Höhn. Deswegen überlegen die Forscher außerdem, Virtual-Reality-Brillen einzusetzen. Dadurch könnte die Umgebung so eingescannt werden, dass die Helfer in der Leitstelle auch schneller reagieren könnten beim Lenken des Copters. Beispielsweise, wenn nach einem Unfall eine Person im Schock vom Auto weggerannt ist und gesucht wird, wofür die Feuerwehrleute aber zunächst keine Zeit haben, weil sie Verletzte versorgen müssen. Das wäre ein Fall für die Drohne, außerdem würde sie der Leitstelle helfen, schnell zu entscheiden, ob und welche zusätzlichen Einsatzkräfte angefordert werden müssten.

Ob bei den Fahrsimulatoren oder an der Teststrecke für automatisiertes Fahren - überall stehen Trauben von Menschen, verstrickt in Diskussionen mit den Forschern. Auch Werner Stehle und Klaus Dörrie nutzen den Tag, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sie sind vom Bodensee gekommen, gleich um 11 Uhr waren sie da und sie bleiben bis zum Schluss um 18 Uhr. "Wir wollten mal wissen, was hier so abgeht", sagt Dörrie. Gibt es etwas, das sie besonders beeindruckt hat? "Alles", sagen sie unisono, doch dann schiebt Stehle nach, die Mathematik sei für ihn eine Überraschung gewesen. "Da haben wir gedacht, das wird nicht so interessant", aber das war ein Irrtum, erzählt der ehemalige Lehrer.

Er ist schwer beeindruckt vor allem von dem Material, das für die Kinder aufgebaut ist. "Sie sind gar nicht mehr wegzubringen." Tatsächlich ist der Andrang der kleinen Baumeister groß. Die Kinder können sich entscheiden, ob sie Brücken oder Kuppeln bauen. Das einzige, was ihnen zur Verfügung steht, sind große und kleine Holzlatten. Vorbild sind die Ideen des genialen Leonardo da Vinci. Camilla ist das einerlei. Sie hat flugs eine Brücke verkehrt herum aufgebaut, deren Stäbe noch oben zeigen. "Das ist jetzt keine Leonardo-, sondern eine Camilla-Brücke", sagt sie selbstbewusst.

Die Stunden gehen wie im Flug vorbei. Sie bringen Begegnungen mit Robotern, die beispielsweise Paprikas ernten oder eines Tages mit Menschen zusammen am Fließband arbeiten sollen. Der neunjährige Simon hat ungarische Tänze dirigieren dürfen, und ein anderer Besucher ist beeindruckt von der modernen Kernspintomografie und ihrer Bildgewaltigkeit, ein dritter erwähnt den Nutzen der Forschung für die Medizin. Und wieder ein anderer diskutiert mit dem Chef des Staatlichen Bauamts München 2 über die geplante Bebauung am Campus und hat gute Ideen, wie man das Forschungszentrum erweitern könnte. "Man könnte doch einfach hier weiterbauen", sagt der junge Mann und zeigt auf die Felder jenseits des Wiesäckerbachs. Abgesehen von ein paar Schwierigkeiten - etwa dem Landschaftsschutzgebiet am Bach - hat das Bauamt aber zunächst noch genug andere Baustellen, wie etwa die neue Mensa oder die Fakultät für Elektrotechnik. Verändern wird sich der Campus also auf jeden Fall, wenn auch erst mal innerhalb der bekannten Grenzen.

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