"Games Engineering" an der TU München:Daddeln für die Uni

Games-Engineering-Studiengang.  TU Garching, Institut für Informatik, Boltzmannstr. 3.

Die Studenten Philipp Pannusch und Lukas Reindl (v.l.) arbeiten im Games-Lab der TU an einem Ego-Shooter.

(Foto: Florian Peljak)

Sie programmieren Ego-Shooter und Macarena-Tänze an der Uni: Im Studiengang "Informatik: Games Engineering" der TU München lernen mehr als 500 Studenten, Computerspiele zu entwickeln. Das Angebot ist einzigartig in Deutschland - und will Klischees entgegenwirken.

Von Anant Agarwala

Rechter Arm vor, linker Arm vor, Hände an die Schultern, hinter den Kopf, an die Hüften. Arriba, abajo im Games-Lab MI 00.13.010 der Technischen Universität (TU) München. Lukas Reindl tanzt die Macarena. Und auf dem Bildschirm macht eine Figur aus Pixeln die Bewegungen nach. Wenn sie die Arme hebt, sieht das noch gut aus, der Hüftschwung gerät allerdings etwas ungelenk.

"Active Sport Games" heißt das Praxisseminar, das acht Studenten jeden Dienstag um 13 Uhr in diesem Labor besuchen. Fünf Männer und drei Frauen in vier Zweierteams, sie entwickeln eigene Spiele, die nicht per Maus, sondern per Körperverrenkung gesteuert werden. Ihr Studiengang heißt "Informatik: Games Engineering". Die Studenten überlegen sich das Spielkonzept, entwerfen die virtuelle Welt und programmieren den Code, der die Bewegungen der Spieler vor der Kamera in Aktionen der Figur auf dem Bildschirm umwandelt.

Eigentlich entwickeln Reindl und sein Kommilitone Philipp Pannusch einen Ego-Shooter. Dafür halten sie auch mal ihre Arme wie Gewehre in die Kamera und ballern auf Bauklötze. Heute geht es darum, verschiedene Gesten zu programmieren und die Bewegungen des virtuellen Charakters zu optimieren - da kann auch eine Macarena helfen.

Uni wie ein Arbeitstag im Programmierer-Start-up

Der Studiengang ist, zumindest an einer Universität, einzigartig in Deutschland. Seit 2011 gibt es ihn als Bachelorstudiengang. 505 Studenten sind momentan in verschiedenen Semestern eingeschrieben. Seit diesem Wintersemester gibt es zusätzlich auch den Masterstudiengang, der Frauenanteil liegt insgesamt bei zwölf Prozent. "Active Sport Games" gehört zu den Praxisprojekten, die die Studenten jedes Semester neben den Informatik- und Mathevorlesungen besuchen.

Games-Engineering-Studiengang.  TU Garching, Institut für Informatik, Boltzmannstr. 3.

An der TU München gibt es einen eigenen Studiengang "Informatik: Games Engineering".

(Foto: Florian Peljak)

Frieder Pankratz leitet das Seminar in blauen Birkenstocksandalen. Er erklärt erste Schritte, wandert von Tisch zu Tisch, hilft mit Ratschlägen, nicht mit Lösungen. Für den Laien spricht Pankratz in fremder Zunge, redet über "Skeleton-Wrapper", die Probleme "links- und rechtshändiger Koordinatensysteme" und Lösungen wie "Mirror-Scripts". Eigentlich muss Pankratz nicht viel machen. Die Studenten arbeiten konzentriert, wechseln zwischen Programmieren vor dem Bildschirm und Hampeln vor der Kamera, essen Chinanudeln oder Brezen. Diese Uni-Veranstaltung, sie könnte auch ein Arbeitstag in einem Programmierer-Start-up sein. Nur die paar Folien, die der Beamer an die Wand wirft, akademisieren das Labor.

Lou Kramer ist ein Vogel, ihre Arme bewegt sie wie Flügel. Sie ist 21, studiert im fünften Semester, und plant mit ihrem Kommilitonen Daniel Suttor ein Spiel, bei dem der Spieler flügelschlagend entgegenkommenden Objekten ausweichen soll. "Im Moment ist das Problem, dass unsere Bewegungen von der Figur nicht gespiegelt werden", erklärt Kramer. Auf ihrem Bildschirm leuchtet der Code in verschiedenen Schriftfarben. Irgendwo stimmt was nicht. "Es ist frustrierend, wenn man den Fehler nicht findet", sagt sie. Dieses Mal geht es schnell. Bald reagiert der virtuelle Charakter auf dem Monitor korrekt.

Informatiker als menschenscheue Soziallegastheniker

Beim Programmieren stoßen die Studenten immer wieder auf Probleme. Die Logik ist vertrackt, kleinste Fehler können ganze Welten zum Einsturz bringen. Die gemeinsame Lösungssuche mit einem Partner soll die Studenten auf den Arbeitsmarkt vorbereiten, Stichwort "Soft Skills". Es reiche nicht, nur gut programmieren zu können, sagt Gudrun Klinker. Sie ist Professorin für Augmented Reality und koordiniert den Studiengang. Klinker weiß um das Klischee vom Informatiker als menschenscheuem Soziallegastheniker, der Sonnenlicht meidet und Beziehungen allenfalls zu seinem Computer unterhält - diesem schiefen Bild sollen ihre Studenten entgegenwirken. Was im Labor MI 00.13.010 vor sich geht, dürfte ihr gefallen: Die Studenten helfen sich gegenseitig, die Stimmung ist locker, es wird viel gescherzt.

Games-Engineering-Studiengang.  TU Garching, Institut für Informatik, Boltzmannstr. 3.

Verena Schönecker ist gelernte Zahnarzthelferin und hat Mathematik studiert, bevor sie zum Spielentwickeln kam.

(Foto: Florian Peljak)

Nicht jeder von ihnen wird nach dem Studium bei einem Spieleentwickler arbeiten. "Das Studium ist bewusst so aufgebaut, dass danach verschiedene Berufe möglich sind", sagt Klinker. Die Studenten lernen, wie aus Spielen Wissen wird, dass Spiele nicht nur zur Berieselung dienen, sondern überall dort zum Einsatz kommen können, wo komplexe Situationen simuliert werden: Beim Katastrophenschutz, um Unglücksszenarien durchzutesten. Im Flugsimulator, um Start und Landung zu üben. Oder bei der Ausbildung von Chirurgen. Nicht umsonst heiße der Studiengang "Informatik: Games Engineering", erklärt Gudrun Klinker - erst Informatik, dann Games.

Vom Kurzgeschichten-Schreiben zum Spieleentwickeln

Lou Kramer, die Studentin mit dem Vogelspiel, ist sich noch nicht sicher, was sie nach dem Studium machen will. Im nächsten Semester erst mal die Bachelorarbeit - und dann noch den Master. "Ich finde an dem Studiengang vor allem interessant, eigene Welten zu erschaffen. Ich habe früher schon Kurzgeschichten geschrieben, komme also nicht vom Programmieren."

Wie landet man eigentlich in diesem Studiengang, braucht es ein Erweckungserlebnis? Eine unschlagbare Runde Mario Kart oder ein durchgezocktes Commander Keen? Nein, sagt Kramers Kommilitonin Verena Schönecker: "Ich habe früher zwar selbst viel gespielt: Quake 3, Counter-Strike, die bösen Killerspiele, die am meisten Spaß machen", sagt Schönecker, "aber auf das Studium hat mich mein Freund gebracht - der ist Programmierer." Zwischen den ganzen Studenten Anfang 20 im Seminar ist Schönecker eine Ausnahme. Sie ist 33, hat Zahnarzthelferin gelernt, gearbeitet, später das Abi nachgemacht und ist nach einem unbefriedigendem Jahr Mathestudium hier gelandet.

Die Perspektiven sind gut

Jetzt ist Schönecker im siebten Semester, sie will nach dem Bachelor nicht weiterstudieren. "Aber was ich genau machen will, weiß ich auch noch nicht", sagt sie. So oder so: Ihre Perspektiven sind gut. Die Zahl der Beschäftigten in der Software- und Games-Industrie in Deutschland ist in den vergangenen Jahren um durchschnittlich sieben Prozent gestiegen. Informatiker werden in vielen Branchen gesucht.

Das sei zwar sehr gut, sagt die Professorin Klinker, aber gleichzeitig sieht sie es mit Bedauern, wenn Studenten die Uni nach dem Bachelor verlassen: "Eine TU entfaltet ihre ganze Wucht erst mit den letzten Semestern. In der Forschung können wir besonders viel leisten." Klinker würde am liebsten alle Studenten für den Master da behalten, Eignung vorausgesetzt.

Um 16 Uhr ist der Sauerstoff im Labor längst aufgebraucht. Während Studenten in den meisten Vorlesungen spätestens nach einer Stunde nervös auf die Uhr gucken, sitzen die acht im Labor konzentriert vor ihren Rechnern. Und als Frieder Pankratz das Seminar nach über drei Stunden beendet, hacken einige von ihnen noch ein paar Codezeilen in die Tastaturen.

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