Gäste auf dem Oktoberfest:"Und warum machen die das?"

Urtriebe am "Prato di Teresa": SZ-Korrespondenten berichten, was andere Völker an der Wiesn so fasziniert.

Es ist weltberühmt und oft kopiert, das Oktoberfest. Zwischen Sydney und St. Petersburg entstehen immer neue Wiesn-Imitate und Bierzelt-Ableger.

Aber wie wird das Münchner Original mit seinen Sitten, Traditionen und Absonderlichkeiten von ausländischen Gästen erlebt? Halten die uns für verrückt? Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung schildern, wie Amerikaner, Chinesen, Italiener und Schweden das Oktoberfest finden - und warum sie sich so gerne als Bayern verkleiden.

USA Gemeinhin lernt der Amerikaner über das Oktoberfest in Munich dieser Tage Folgendes: Im vergangenen Jahr wurden dort 6,1 Millionen Liter Bier getrunken, 95 Ochsen verspeist, dazu 55913 Schweineknöchel (auch Hax'n genannt), 479610 Brathähnchen und 179557 Bratwurst-Pärchen (die Zahlen variieren gelegentlich, die Größenordnung aber ist stets dieselbe). Das wird mit einer Mischung von Unglauben und Bewunderung zur Kenntnis genommen.

Dann erfährt der staunende US-Bürger, dass man Bier aus steins trinkt, womit irdene Krüge gemeint sind. Dass die Männer Lederhosen tragen und die Frauen Dirndl - und ebenfalls Bier aus Riesenhumpen trinken, für Amerikaner eine faszinierende Vorstellung.

Und weil die Damen darob enthemmt sind, so die amerikanische Logik, dürften sie für Avancen des anderen Geschlechts durchaus empfänglich sein. Je nach Niveau des Berichterstatters wird das dann dezent unter "flirting made simple" zusammengefasst.

Oder es wird schlicht als "drunken groping" gepriesen, was mit Grapschen unter Alkoholeinfluss zugegebenermaßen etwas blass übersetzt ist. Solcher Art ist wohl die Information, die "Joe Sixpack" interessieren dürfte, wie in den Philadelphia Daily News der durchschnittliche amerikanische Oktoberfestbesucher genannt wird.

Doch es sind auch ernstzunehmende Betrachtungen über die bayerische Bierseligkeit in Amerikas Medien zu lesen. So konnten die Leser des Bradenton Herald, einer kleinen Lokalzeitung in Florida, erfahren, dass das Münchner Spektakel auf die Hochzeit von Kronprinz Ludwig von Bayern und Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen am 12. Oktober 1810 zurückgeht.

Der Grad der Informiertheit dürfte damit zusammenhängen, dass sich inzwischen nicht wenige deutsche Ruheständler in Florida niedergelassen haben. Dazu wurde sogar noch ein Rezept für Pretzel gedruckt, das sind die kleinen, durchgebackenen Verwandten der Bretzel.

Doch den wahren Grund, zum Oktoberfest nach München zu kommen, konnte man in Stars and Stripes, dem Blatt der US-Truppen, nachlesen: "Ich habe alle amerikanischen Biere probiert", wird darin der immerhin 24-jährige Landry Talbert zitiert, "jetzt ist es einfach Zeit für etwas Neues."

"Und warum machen die das?"

China

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(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

So viel Bier wie in einen echten Bayern passe in keinen Chinesen hinein, sagt Zhou Xiaodong, "aber fünf Maß schaffe ich schon!" Der 42jährige Pekinger war schon fünf Mal beim Oktoberfest in München - und bekommt nicht genug davon.

Zhou hat seine eigene Firma und handelt mit ausländischen Fernsehserien, die er nach China importiert. Wann immer er beruflich in Europa zu tun hat, legt er seinen Termine auf die Zeit des Münchner Bierfestes. "Am meisten faszinieren mich die Kellnerinnen, die zehn Maß auf einmal tragen können", sagt Zhou. Selbst das Essen hat es ihm angetan. "Meine Freunde in Peking halten mich für leicht verrückt, aber ich persönlich liebe Eisbein", sagt der Chinese. "Letztes Jahr habe ich mich daran überfressen."

Obwohl die Zahl der chinesischen Wiesn-Besucher von Jahr zu Jahr wächst - die meisten Normalverdiener in Peking oder Shanghai können sich noch keine Reise nach München leisten. Sie kennen das Oktoberfest nur vom Hörensagen oder aus dem Fernsehen. Daran gemessen aber ist es ungeheuer populär. Es gibt kaum einen Chinesen, der nicht schon einmal vom "Munihei Pijiu Jie" gehört hätte, wie das Oktoberfest auf Chinesisch heißt.

Und weil die Chinesen nicht nur neugierig und fremden Kulturen gegenüber aufgeschlossen sind, sondern auch die Weltmeister im Nachmachen und Kopieren sind, gibt es mittlerweile überall in China Bierfeste. Von Chongqing in der Provinz Sichuan, über Guangdong im Süden, bis nach Shanghai und Peking: Überall wird in diesen Wochen das berühmte Vorbild in München nachgeahmt.

In der Küstenstadt Qingdao, wo einst die deutschen Besatzer eine Brauerei errichtet hatten, kommen jedes Jahr mehr als drei Millionen Besucher und trinken rund eine Million Liter Bier. Auch die nordchinesische Stadt Dalian hat dieses Jahr ein "Inspektionsteam" auf die Wiesn entsandt und will "Münchner Management-Methoden nach China holen", sagt Lin Hao vom "Dalian Bierfest".

Wer Chinesen für "reservierter" oder "schüchterner" hält als die Bewohner anderer Erdteile, hat noch nie einen dieser chinesischen Wiesn-Klone besucht. In Hongkong sind glückliche Bierfest-Besucher gesichtet worden, die "mit ihrer Unterwäsche auf dem Kopf durch die Stadtmitte liefen und wildfremden Menschen ihre Lebensgeschichte erzählten", berichtet eine örtliche Zeitung.

Henrik Bork

"Und warum machen die das?"

Italien

Schon den römischen Schriftsteller Publius Cornelius Tacitus faszinierte der Bierkonsum der Germanen. "Würde man ihrer Trunksucht Vorschub leisten und ihnen die Möglichkeit bieten, soviel zu trinken, wie ihr Herz begehrt, könnte man sie durch dieses Laster leichter zugrunde richten als durch Waffen", notierte der Historiker in seinem Werk "Germania".

Das Faszinosum sollte die folgenden zwei Jahrtausende überdauern. Viele Italiener bekommen leuchtende Augen, wenn sie hören, ihr Gesprächspartner sei aus München. "La festa della birra", murmeln sie verzückt, so als sei die Stadt mit dem Oktoberfest identisch. Die einen schwelgen dann in nicht immer glasklaren Erinnerungen, während die anderen ehrfurchtsvoll um Aufklärung bitten.

Vergangene Woche in einem Bergdorf Kalabriens: "Sie kommen aus München?", fragt der Gastgeber. "Da gibt es doch dieses Bierfest. Was ist das eigentlich?"

Auf die Auskunft, dort stünden riesige Festzelte für Tausende Menschen, erwidert er: "Was machen die dort?" "Sie tanzen zu Blasmusik auf den Tischen und trinken aus gewaltigen Gläsern literweise Bier." Der Mann schüttelt den Kopf. "Und warum machen die das?"

Für Italiener ist der Alkohol mehr Genussmittel als Rauschhilfe. Man trinkt gern und regelmäßig, aber eher maßvoll als in Massen. Wer betrunken herumtorkelt, macht keine bella figura. Umso erstaunlicher muss Italienern ein Spektakel vorkommen, bei dem das kollektive Besäufnis nicht nur erlaubt, sondern geboten ist. Der "Prato di Teresa", die Theresienwiese, wird da zum mythischen Ort, an dem der sozial überkontrollierte Zivilisationsmensch endlich einmal seine Urtriebe ausleben darf.

Erschöpft und geläutert fährt er dann im Wohnwagen, Sonderzug oder Billigflieger zurück über die Alpen nach Arkadien - irgendwie erleichtert, dieser bayerischen Walpurgisnacht halbwegs heil entronnen zu sein.

Eine gewisse Sehnsucht aber nimmt er mit. Daher werden im Herbst in vielen Orten "Sagre della birra" abgehalten, mit Wurstel, Crauti und viel Bier - ganz nach dem großen Vorbild.

In Genua gibt es sogar ein Lokal, das sich "Oktoberfest Stube" nennt, und in Rom, da steht ein "Löwenhaus". Unter jungen Italienern gilt Bier längst als schicker als Wein. Tacitus könnte sich über seine Landsleute nur noch wundern.

"Und warum machen die das?"

Schweden

Es ist schwer nachzuvollziehen, aber viele Schweden mögen Berlin lieber als München. Reiseführer über die Bundeshauptstadt füllen einen großen Teil der "Deutschland"-Regale in den Buchhandlungen. Der Titel "München" ist nur selten zu sehen.

Immerhin, ein bayerisches Utensil hat es auf die Umschläge fast aller Bücher über Deutschland geschafft: der Maßkrug. Der ist meist originalgetreu abgebildet: halbvoll, mit riesiger Schaumkrone.

Das Oktoberfest ist sehr bekannt, wobei die Sache mit den großen Maßkrügen auf die Schweden etwas exotisch wirkt. Schließlich wohnen sie in einem Land, in dem Alkohol nur in staatlichen Geschäften, bei strenger Alterskontrolle und mit hohen Steuern verkauft wird. Bier ist ein besonderes Getränk, weil es besonders teuer ist.

Natürlich hat "Systembolaget" - so heißt die staatliche Alkoholika-Kette - trotzdem Oktoberfest-Bier im Sortiment. Die Tageszeitung Dagens Nyheter rezensierte kürzlich einige Sorten. Auch solche, die aus den USA stammen und nur dem Etikett nach etwas mit dem Oktoberfest zu tun haben.

Man kann das als Frevel betrachten oder als Beleg für die internationale Bedeutung der Wiesn. Der Getränke-Experte der Zeitung steigerte sich bei der Beschreibung der echten Münchner Biere in einen regelrechten Rausch. Er schrieb etwas von "herrlicher Fruchtigkeit mit einem deutlichen Einschlag von Zitrone". Solche Nuancen mögen dem Besucher im Festzelt entgehen.

Allerdings war in der schwedischen Zeitung immer von "deutschen Bieren" die Rede. So wie auch die Wiesn oft als "deutsches Volksfest" und die Lederhosen als "deutsche Tracht" bezeichnet wird. Solche Ungenauigkeiten sind sicherlich eine Erklärung für die seltsamen Vorlieben der Skandinavier, was deutsche Städte betrifft. Sie denken, sie mögen Berlin, aber sie meinen bestimmt München.

(SZ vom 30.9.2006)

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