Neue Heimat:Auf dem Fußballplatz herrscht Krieg

Unser Autor, ein Flüchtling aus Afghanistan, fragt sich, warum es beim Amateurfußball in Deutschland so wüst zugeht.

Auch bei Amateur-Spielen kann es auf dem Fußball-Rasen hoch hergehen.

(Foto: dpa)

Selbst wenn es im Amateurfußball um nicht viel geht, schimpfen die Zuschauer auf der Tribüne wüst. Warum?, fragt sich unser afghanischer Autor.

Von Nasrullah Noori

"Schiri, wir wissen wo dein Auto steht!" Wahrscheinlich kennen die jungen Männer am Feldrand das Fahrzeug des Mannes mit dem schwarzen Trikot gar nicht wirklich. Das kann man dem Schiedsrichter jedenfalls nur wünschen. "Du bist doch gekauft" schreien sie ihm hinterher.

Ein Fußballspiel in einem Dorf im Osten von München. Wobei Spiel nicht gerade der richtige Ausdruck ist. Krieg wäre präziser. Die Beteiligten: Zwei Mannschaften, eine Horde von Zuschauern und ein bedauernswerter Mann mit Trillerpfeife. Die Heimmannschaft trägt rote Trikots, der Gegner Grün-Weiß. Die Farben der Liebe, des Friedens und der Hoffnung also. Doch es könnte verdrehter nicht sein.

Ich bin sicherlich kein Fußballexperte. Das braucht es aber auch gar nicht, um die Dramatik eines bayerischen Amateurspiels zu verstehen. Gerade jetzt, wo überall Meisterschaften und Abstiege entschieden werden. Hier geht es gerade eigentlich nicht mehr um so viel, möchte man zumindest meinen: Beide Teams haben genügend Spiele gewonnen, um die Klasse zu halten, und zu wenige, um sich für eine höhere Liga zu qualifizieren.

Die Männer mit den langen Strumpfsocken gehen jedoch zu Werke, als ginge es um den Champions-League-Sieg. Und die Fans genauso. "Niet' ihn um, den Schulbuben", plärrt ein Mann an der Seitenlinie. Seine Gesichtsfarbe ist fast so rot wie die Spielertrikots, er hat starke Arme und hält eine Bierflasche in der Hand. Ich hoffe inständig, dass er sie nicht zum Wurfgeschoss umfunktioniert.

Flaschen gehören beim Fußball dazu. Neben und auf dem Platz. Das Treiben der 22 Männer auf dem Rasen (der den Namen nicht verdient hat) kann man vielleicht noch nachvollziehen. Sie werden von anderen Männern, die wahrscheinlich noch schlechter im Toreschießen sind, angefeuert. Das bestärkt sie darin, nach dem ultimativen Erfolgserlebnis zu streben. Danach, einen Lederball in ein Stoffnetz zu schießen. Etwas zu treffen, das unter bestimmten Bedingungen schwer zu treffen ist. Vor allem, wenn man so große Probleme hat, mit dem Ball umzugehen, wie die Spieler dieser beiden Klubs. Vielleicht macht es aber gerade das so spannend. Je kleiner das Talent, desto größer die Herausforderung.

Neue Heimat im Container

Vom 22. Mai bis zum 15. Juni betreibt die SZ-Lokalredaktion ein Pop-up-Büro im Container Collective im Werksviertel hinter dem Ostbahnhof. Am Mittwoch, 23. Mai, sind von 19.30 Uhr an die Neue-Heimat- Kolumnisten zu Gast, die ihre Texte lesen und erzählen, wie sie als geflüchtete Journalisten München und Bayern erleben. Der Eintritt ist frei. SZ

In Afghanistan war ich Krieg gewohnt. Wo ich herkomme, gab es Drogenkämpfe, Mafia und Taliban. Man muss fliehen, um den Kämpfen Afghanistans zu entkommen. In Oberbayern muss man dafür lediglich von der Zuschauertribüne Richtung Parkplatz gehen. Von dort hört man die Schimpfwörter der Zuschauer kaum mehr. Das hilft beim Ordnen der Gedanken. Warum stellen sich Menschen an den Spielfeldrand und beschimpfen Männer mit kurzen Hosen? Vielleicht weil dann das Bier besser schmeckt? Weil sie glauben, dass sie recht haben? Oder weil sie daheim nichts zu melden haben? Weil in bayerischen Haushalten bisweilen die Frau das Sagen hat. In Afghanistan wäre beides undenkbar. Das mit den Frauen, und mit den Biertrinkern am Spielfeldrand.

Keinesfalls beneidenswert, aber zu bewundern ist der junge Mann mit der Pfeife. Der Kampf ist jetzt in der Endphase, es steht immer noch 0:0, ein Spieler setzt zu einer Grätsche an. Ein anderer schreit, wie von einer Kugel getroffen, rollt sich im Dreck und winkt mit einer Hand. Während die Zuschauer den Grätscher beklatschen, rennt ein Mann mit Koffer auf den Platz. Jetzt pfeifen die Zuschauer und schreien: "Der simuliert doch." Offenbar halten hier alle zur Heimmannschaft. Es geht ihnen nicht darum, dass es gerecht zugeht, sondern dass der Gegner möglichst viele Nachteile hat. Anders der Schiedsrichter: Er holt jetzt eine Karte aus der Tasche. Sie leuchtet so rot wie das Gesicht des Mannes am Spielfeldrand.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München

Der Autor: Nasrullah Noori, 27, stammt aus Kundus in Nordafghanistan. Er arbeitete dort als Journalist fürs Fernsehen, unter anderem für den staatlichen Sender RTA. Wegen seiner Berichte über Mädchenschulen erhielt er von der Taliban-Miliz Morddrohungen und musste fliehen. Seit 2014 lebt er mit seiner Familie in München.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Noori für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

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