Fürstenried:Ungeliebte Nachverdichtung

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Angst um Grünflächen: Fürstenrieder kritisieren Pläne zum Bau von 600 zusätzlichen Wohnungen im Viertel

Von Jürgen Wolfram, Fürstenried

Es kommt äußerst selten vor, dass der Bezirksausschuss 19 bei seinen Sitzungen im Bürgersaal an der Züricher Straße zahlenmäßig in die Minderheit gerät. Als es jetzt um die Pläne zur Nachverdichtung in Fürstenried West ging, sah sich das Stadtteilgremium jedoch mit eben diesem Phänomen konfrontiert: Dutzende Bewohner des betroffenen Gebiets um die Appenzeller, Bellinzona- und Zuger Straße kreuzten auf, um ihre Vorbehalte gegen das Vorhaben anzumelden. Zuvor schon waren 16 Beschwerdebriefe im Stadtbezirksbüro eingegangen. Deren Absender wie auch die Protestredner erinnerten unter anderem an ein Verdikt der ehemaligen Stadtbaurätin Christiane Thalgott, die einer Nachverdichtung in Fürstenried West 2005 noch mit der Begründung eine Absage erteilt hatte, der Charakter des Stadtviertels dürfe nicht zerstört werden.

Ähnlich hatte sich vor Jahren auch der Bezirksausschuss (BA) Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln schon einmal geäußert. Doch der sieht die Dinge inzwischen anders, bewertet die "Vorlage zur Weiterentwicklung in Fürstenried West" einhellig als "insgesamt positiv". Man müsse dem Siedlungsdruck, der auf der prosperierenden Stadt München laste, Rechnung tragen, sagte Michael Kollatz (SPD). Allerdings machte sich der BA einige Forderungen der Anwohner zu eigen, etwa den Schutz wertvoller Grünflächen. Diese müssten "unangetastet" bleiben, einige bedürften sogar der Aufwertung, heißt es explizit in einer Stellungnahme. Ausdrücklich empfohlen wird die Begrünung von Dächern und Fassaden.

Wie aus Unterlagen des Referats für Stadtplanung und Bauordnung hervorgeht, ist an etwa 600 zusätzliche Wohnungen gedacht, die teils durch Aufstockungen, teils durch Neu- und Anbauten entstehen sollen. Anina Bühler vom Planungsreferat bestätigte in der BA-Sitzung diese Zahl; sie sei das realistische Ergebnis einer Voruntersuchung. Viele Fürstenrieder aber lesen aus der Zahl eine Bedrohung ihrer Wohnqualität heraus. Es fehle in ihrem Viertel nicht an Wohnblocks, sondern an Einkaufsmöglichkeiten, Spielplätzen und einem Wirtshaus, erklärte einer ihrer Sprecher. Der Vertreter einer Eigentümergemeinschaft monierte, dass es der Hauptbauwerberin, der Bayerischen Versorgungskammer, um teure Eigentumswohnungen statt um sozialen Wohnungsbau gehe. "Dafür viereckige Kästen statt Bäume - das kann kein Ziel sein", sagte er unter Beifall.

Die Hauptsorge der Leute aus Fürstenried West gilt ihren Grünflächen. Viele dieser Oasen und grünen Lungen würden zwangsläufig verschwinden, wenn das Nachverdichtungskonzept zum Tragen komme, wurde beklagt. Die Naturschützerin Gisela Krupski hielt ein "Plädoyer für Grüngürtel am Stadtrand". An der Nahtstelle Fürstenrieds zu Neuried hat sie 29 Vogelarten gezählt, darunter einige bedrohte. "Ich bin fassungslos, dass wir uns offenbar keine Natur in der Stadt mehr leisten können", so Krupski. Anina Bühler sicherte daraufhin zu, die Gehölzränder des Viertels zu schonen und die Bedenken seiner Bewohner noch gründlich zu erörtern.

Der Bezirksausschuss ließ sich in seiner Haltung zur Nachverdichtung nicht erschüttern. Er sah sich "in der Pflicht, einen Beitrag zu leisten", um den Wohnungsmangel in München zu lindern. In seiner einstimmig verabschiedeten Stellungnahme zum Bebauungsplan und bevorstehenden Eckdaten- und Aufstellungsbeschluss des Stadtrats fordert er jedoch Korrekturen beim Planungsumgriff, der zu weit gefasst worden sei. Auch die verbindliche Festlegung auf 600 Wohneinheiten lehnt der BA ab. Diese sei keine geeignete Basis für den angekündigten städtebaulichen Wettbewerb, denn die Zahl sage zu wenig aus über den Grad der Versiegelung und die Bebauungsdichte. Die gesamte Nachverdichtung soll nach Meinung des BA "hauptsächlich durch Aufstockung bestehender Baukörper und die Überbauung vorhandener eingeschossiger Tiefgarageneinfahren" erfolgen. Zusätzliche Gebäude müssten in Straßennähe stehen, um die rückwärtigen Freiflächen zu schützen. Die Grünzüge seien als Lebens- und Erholungsraum zu erhalten, steht ferner in der Stellungnahme. Als erforderlich betrachtet werden weitere Tiefgaragen, um einer Versiegelung des Planungsgebiets entgegenzuwirken. Weil mit einer 40-prozentigen Steigerung der Einwohnerzahl im Umgriff der Planung zu rechnen sei, fordert der BA ein Mobilitätskonzept, das unter anderem Angebote zum Car-Sharing oder zum Betrieb von Elektroautos beinhalten soll. Um den jetzt schon zu beobachtenden Parkdruck rund um den Schweizer Platz zu verringern, sei eine Erweiterung der Park-and-ride-Anlage Fürstenried West anzustreben. Ein Stellplatzschlüssel von 1,0 ist nach Ansicht der BA-Mehrheit "unbedingt einzuhalten".

Das Referat für Bildung und Sport wird aufgefordert, nach dem Beschluss des Stadtrats zur Nachverdichtung mit der Planung "ausreichender, ortsnaher Unterrichtsmöglichkeiten in allen Schulzweigen" zu beginnen. Zum Thema Nahversorgung heißt es, zusätzliche Einzelhandelseinrichtungen seien ebenso notwendig wie gastronomische Angebote. Um das soziale Leben im wachsenden Viertel zu fördern, rät der BA zur Einrichtung von Nachbarschaftstreffs. Schöner werden soll Fürstenried West im Zuge der Nachverdichtung obendrein - der Investor wird gebeten, wohlwollend zu prüfen, ob ein Street-Art-Projekt "sinnvoll und möglich" sei.

© SZ vom 04.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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