Fürstenried:Schwester Else und ihr Erbe

Mit einer Mitarbeiterin beginnt 1965 die Arbeit des Evangelischen Sozialdienstes. 50 Jahre danach ist die Einrichtung mit 40 Angestellten eine wichtige Stütze für kranke und pflegebedürftige Menschen im Münchner Südwesten

Von Stefan Mühleisen, Fürstenried

Dieter Seiler steht inmitten seiner alten Kirche und kann nicht anders: Er muss schwärmen. "Es ist unglaublich, was aus diesem kleinen Anfang geworden ist", sagt er. Dutzende Menschen strömen herein; Seiler, eigens aus Solothurn in der Schweiz angereist, muss viele Hände schütteln an diesem Sonntag. Der 84-Jährige zählt zu den Ehrengästen beim Festgottesdienst in der evangelisch-lutherischen Andreaskirche in Fürstenried. Seiler war vor einem halben Jahrhundert der erste Pfarrer des neuen Gotteshauses. Gründungsgeistlicher, wenn man so will. Und er war der geistige Vater eines Hilfsdienstes, der sich in 50 Jahren zu einem professionellen Unternehmen entwickelt hat: dem Evangelischen Sozialdienst (ESD), getragen vom Diakonieverein der Andreaskirche. "Die Idee der diakonischen Sozialarbeit war damals noch völlig neu", sagt Seiler.

200 Besucher sitzen auf den Kirchenbänken, um das Jubiläum des ESD zu feiern. Die Redebeiträge, die entspannte Atmosphäre, die fast 80 Seiten dicke Festschrift - das alles dokumentiert die Erfolgsgeschichte eines Sozialdienstes, der in fünf Jahrzehnten zu einem fest verankerten Akteur in Fürstenried herangewachsen ist. Die Geschichte des ESD wirft zudem ein Schlaglicht auf die wichtige Rolle der Kirchen in der sozialen Versorgungslandschaft der Stadt einst und jetzt.

Fürstenried: Gut 200 Besucher feiern in der Andreaskirche in Fürstenried das 50-jährige Bestehen des Evangelischen Sozialdienstes (ESD).

Gut 200 Besucher feiern in der Andreaskirche in Fürstenried das 50-jährige Bestehen des Evangelischen Sozialdienstes (ESD).

(Foto: Robert Haas)

Zum Jahreswechsel 1957 überschreitet die Einwohnerzahl Münchens die Millionengrenze; mit dem ungebrochenen Zuzug muss die Stadt expandieren. Es entstehen Trabantenstädte wie das Hasenbergl - und Fürstenried. 1970 wohnen in Forstenried und Fürstenried schon 30 000 Einwohner. Die vielen Familien müssen allerdings weitgehend selbst zurecht kommen. Es gibt keine sozialen Einrichtungen, kaum Kinderbetreuung. 1965 macht sich Sailer, kaum ist der Putz in der neu erbauten Andreaskirche trocken, Gedanken, über das Zusammenwirken von Religion und Urbanität am Stadtrand. "Soziale Probleme nehmen den Weg von innen nach außen, von der kleineren Gemeinschaft zur größeren", schreibt er damals in den Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Das heißt: Alte, Kranke und Pflegebedürftige wenden sich an die Kirche - und diese ist gehalten, zu helfen.

Die Sozialarbeit im Rahmen der Kirchengemeinde ist damals ein neuer Ansatz. Es sollte der ehrenamtliche Keim für ein später blühendes mittelständisches Unternehmen werden. Der Diakonieverein kann anfangs nur eine Mitarbeiterin aufbieten: Else Schmidbauer, Diakonisse und Krankenschwester, hält Beratungsgespräche in ihrer kleinen Wohnung über dem Kindergarten an der Fritz-Baer-Straße ab; sie fährt mit dem Fahrrad zu kranken Menschen, versorgt Alleinstehende, organisiert sogar Fahrten für Familien an die Adria.

Fürstenried: Volle Sitzreihen beim Festgottesdienst am Sonntag.

Volle Sitzreihen beim Festgottesdienst am Sonntag.

(Foto: Robert Haas)

Bald wird die Arbeit immer mehr, die Wege weiter. 1968 schafft der Verein für Schwester Else einen Dienstwagen an, einen VW Golf. Drei Jahre später wird die erste festangestellte Sozialarbeiterin eingestellt, sukzessive die professionell organisierte Krankenpflege aufgebaut. Die Kosten trägt weitgehend das diakonische Werk der Evangelischen Landeskirche. Langsam aber stetig wächst der ESD.

Mit städtischer Beteiligung wird das Alten- und Servicezentrum (ASZ) Fürstenried und das Familienzentrum Friedenskapelle aufgebaut. Dazu wächst der Ambulante Pflegedienst auf heute 30 Mitarbeiter an, die monatlich gut 3000 Hausbesuche absolvieren. Indes verlieren die Verantwortlichen nie den diakonischen Blick für aktuelle Erfordernisse. Vor fünf Jahren registriert der Verein, dass Kinder von sozial schwachen und Migrantenfamilien dringend Unterstützung brauchen. So wird die "verlässliche Nachmittagsbetreuung" an der Grundschule Walliser Straße eingeführt. "Das alles macht den ESD mehr denn je zu einer wertvollen sozialen Institution im Münchner Südwesten", schreibt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in seinem Grußwort in der Jubiläums-Festschrift.

Diese Chronik ist nun ein kleines Mosaiksteinchen in der Sozialgeschichte der Stadt. Sie erzählt davon, wie sich christlich motivierte Fürsorger unprätentiös und pragmatisch zur Stütze eines ganzen Stadtteils entwickelten. Der neue Pfarrer Johannes Schuster, seit acht Wochen im Amt, weiß das in seiner Festpredigt zu würdigen. "Das ist kein frommes Gerede, sondern tatkräftiges Handeln."

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