Fürstenried:Freestyle bewegt

Der Gorilla-Tag mit dem ehemaligen Streetskate-Weltmeister Tobias Kupfer soll Kindern die Scheu vor Sport nehmen. Sie sollen merken, wie gut es ihnen tut, wenn sie nicht nur über dem Handy sitzen

Von Melanie Staudinger, Fürstenried

"Guten Morgen, Herr..." Der Chor der Schüler stoppt abrupt. Ja, wie heißt er denn, der Mann, der mitten in der Turnhalle der Mittelschule an der Walliser Straße steht und die Kinder gerade so schwungvoll begrüßt hat? Als Thomy hat er sich vorgestellt, aber da fehlt doch der Nachname, mit dem man die Leute anredet, die einem in der Schule etwas beibringen wollen. Thomy aber ist kein Lehrer, er ist ein Coach, der für den gemeinnützigen Verein Gorilla arbeitet. Er ist mit seinen knapp 20 Kollegen hier, um den Ganztagsschülern viel beizubringen über ihren Körper, Bewegung und gesundes Essen. Das aber will er auf Augenhöhe machen, weshalb sich alle hier duzen.

Gorilla ist ursprünglich ein Trendsport-Projekt, das aus der Schweiz stammt. 2014 startete Tobias Kupfer, einst Europa- und Weltmeister im Streetskaten, das Gesundheitsförderprogramm auch in Deutschland. Die Idee: Die Kinder sollen für Sport und ausgewogene Ernährung sensibilisiert werden. Kupfer und seine Coaches machen sich ihre Mission nicht leicht. Bewusst haben sie sich auf Mittelschulen und Förderzentren spezialisiert, auf eine Klientel, die manchmal nicht einmal einen Esstisch zu Hause hat, auf Kinder, für die der Weg vom Auto zum Klassenzimmer in der Früh und nachmittags zurück oftmals die einzige wirkliche Bewegung am Tag ist.

Auch an der Mittelschule in Fürstenried-West zeigt sich nach wenigen Minuten, welchen Stellenwert Essen in den Familien hat. Nur eine Handvoll der etwa 60 Schüler meldet sich auf die Frage, wer denn gefrühstückt hat. Auf diese Situation sind die Coaches vorbereitet: Bevor es in die Sporteinheiten geht, gibt es erst einmal ein Stück Banane für jeden. "Die gibt Power für die erste Runde", sagt Thomy. Später werden alle Kinder zugreifen, selbst die, die sonst nie Obst verspeisen. Später werden diese Schüler auch Himbeeren, Kiwis und Heidelbeeren probieren - Sorten, die einige von ihnen gar nicht kannten vorher.

Auf Augenhöhe bedeutet im Konzept von Gorilla auch, dass die Trainer sich zunächst vorstellen, ein bunt gemischter Haufen Trendsportler, von denen manche von ihrem Sport leben, andere wiederum einen langen Weg hinter sich haben und schon als Kellnerin oder im Einzelhandel gejobbt haben. Bei Gorilla verdienen sie nicht das große Geld, es geht um mehr, um Lebensart zum Beispiel und um Spaß. "Wir sehen uns als Freestyle-Sport-Bewegung", sagt Tobias Kupfer, den alle nur Tobi nennen. Die Lebenswege der Trainer und ihre Begeisterung für ihren Sport zeigt den Schülern, dass es sich lohnt, für die eigenen Ziele zu kämpfen. Und sie sehen, dass selbst bei Weltmeistern im Longboard (eine Art langes Skateboard) oder Footbag (ein kleines mit Sand oder Granulat gefülltes Säckchen, mit dem man Tricks wie beim Fußball machen kann) nicht immer alle Kunstgriffe auf Anhieb klappen.

Die Kinder und Jugendlichen sehen aber auch, dass man an sich arbeiten muss. Zuerst teilen sie sich in die verschiedenen Gruppen Skateboard, Longboard, Freestyle Soccer und Footbag, Parkour, Freestyle Frisbee sowie Breakdance ein. "Das funktioniert auch ohne Absprache immer reibungslos", sagt Tobias Kupfer. Die mutigen Kinder, die sich gerne zeigen und sich viel trauen, die gehen zum Tanzen oder zum Skaten. Die eher Schüchternen versuchen sich lieber in Frisbee oder Parkour.

Die Trainer gehen behutsam vor. Vielen Mädchen und Jungen ist anzusehen, dass sie noch nie auf einem Skateboard standen. Vor der Müsli-Pause geht es also erst darum, ein Gefühl für das Sportgerät zu bekommen. Die Kinder - ausgestattet mit Helm und Schonern - stehen im Kreis und tippen die Boards mit die Füssen an. Dann geht es darum, die am Boden liegenden Bretter nur mit den Beinen auf die Räder umzudrehen. Erst am Nachmittag werden die Kids sich im Befahren eines kleinen Rundwegs mit Hindernissen üben. Einige von ihnen schaffen das ohne fremde Hilfe, andere werden von den Trainern gehalten.

"Wir wollen ihnen ein Gefühl für ihren Körper und für das Brett vermitteln", sagt Kupfer. Ein Anstoß soll der Workshoptag sein, damit die Kinder sich vielleicht künftig häufiger bewegen, die Scheu vor Sport verlieren und stattdessen sehen, wie gut es ihnen tut, wenn sie nicht nur über dem Handy oder vor der Konsole sitzen. Mehr als 1000 Münchner Schüler haben in diesem Jahr am Gorilla-Tag teilgenommen. "Unsere Evaluationen zeigen, dass ein hoher Anteil der Kids dabeibleibt und auch nachher noch ab und zu skatet", sagt Kupfer. Und wenn es nur zehn seien, sei schon viel gewonnen.

So viel Engagement ist auch bei der Stadt aufgefallen. Seit 2014 schon fördert sie die Actionsportarten, sei es, indem Sportstätten zur Verfügung gestellt werden oder indem einzelne Projekte Geld erhalten, damit sie sich etablieren können. Dem Referat für Bildung und Sport sei es ein großes Anliegen, die Vielfalt sportlicher Angebote zu erweitern, sagt Sprecherin Christina Warta. Seit 2015 fördert das Referat drei Pilotprojekte: Gorilla mit gut 70 000 Euro, Skateboard-Workshops an Schulen mit 22 000 Euro und das Skatepark-Mobil, das Werkzeuge zum Reparieren von Skateboards oder BMX-Rädern zur Verfügung stellt, mit 30 000 Euro. Die Summen stellen den Großteil der Kosten dar. "Nächstes Jahr wollen wir selbständiger sein und weniger auf öffentliche Zuschüsse angewiesen sein", sagt Kupfer. Das werde noch einmal eine große Herausforderung sein für den jungen Verein, eine Herausforderung, der sich Kupfer im Sinne der Kinder gerne stellt.

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