Wirtschaftsserie, Folge 15: "Vater, Mutter, Firma":Eine Frage des Vertrauens

An der Expansion des ehemaligen Münchner Unternehmens Ludwig Meister für Technik und Handel hatten Frauen großen Anteil. Die dritte Generation arbeitet heute in Dachau

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Von Peter Ludwig Meister gibt es ein Porträt, das ihn als Inbegriff des Patriarchen präsentiert: Vor einem grau melierten Hintergrund hebt sich ein Mann mit weißen, kurz geschnittenen Haaren, Schnurrbart und leichtem Lächeln ab, der in Brauntöne gekleidet ist. Die farblich deutlich abgesetzte Innenweste betont einen gewissen Hang zu Gemütlichkeit und Sesshaftigkeit. Sie ist gleichzeitig Sinnbild für eine unverbrüchliche Kontinuität und Standhaftigkeit. Das Problem an dem Bild ist nur: Peter Ludwig Meister, geschäftsführender Inhaber eines mittelständischen Unternehmens mit 250 Angestellten, einem Stammsitz in Dachau und elf Filialen in ganz Deutschland und Österreich bei einem Umsatz von 90 Millionen Euro im Jahr, ist kein Patriarch.

Denn diese Fotografie zeigt zusätzlich seine Frau Ulrike. Sie ist vor ihm platziert, wodurch in der Komposition erst ein sichtbarer Raum entsteht. Ulrike rückt ihren Mann dezent in den Hintergrund. Da beide Kunstfreunde, Kunstsammler und Kenner der modernen Fotografie sind, drängt sich die Vermutung auf, dass dieses Bild garantiert ein durchdachtes ist. Tatsächlich ist es ein sanft ironischer Schlenker auf den Mythos des Mittelstands und eine Reminiszenz an die Zeit der Unternehmer-Patriarchen. Die Botschaft lautet: Der Eindruck von der Führungspersönlichkeit ist zwar zutreffend, aber nur im und durch das Zusammenspiel mit der Gattin. Das Bild eröffnet die Monografie über die fast 80-jährige Geschichte des Familienunternehmens, das in der dritten Generation von den Kindern Elisabeth und Max Meister mitgeführt wird.

Frauen spielten von Beginn an eine entscheidende Rolle. Ohne sie gäbe es vermutlich das Unternehmen nicht mehr. Ludwig Meister gründete einen Handel für technische Produkte aller Art im Januar 1939 in der Goethestraße in München. Im September desselben Jahres wurde er von der Wehrmacht eingezogen und kehrte erst 1945 nach München zurück. Seine Frau Anna führte das damals kleine Geschäft weiter; erst in München, dann auf der Flucht vor den Bomben in Obing am Chiemsee. Eine mit den Meisters befreundeter Inhaber einer Kfz-Werkstatt hatte die Frau einschließlich des gesamten Kugellagerbestands aufgenommen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begannen Anna und Ludwig Meister das Unternehmen für Technik und Handel neu in der Volkartstraße im Münchner Stadtteil Neuhausen, wo sie auch Ersatzteile für Autos anboten.

Im Jahr 1969 stirbt Ludwig Meister im Alter von nur 61 Jahren. Der 24-jährige Sohn, der gerade das Vordiplom des Studiums für Maschinenbauingenieure bestanden hat, muss die Firma übernehmen. Die Doppelbelastung von Studium und Unternehmensleitung wäre ohne seine Mutter nicht möglich gewesen. Bis zum Alter von 86 Jahren arbeitete sie in der Firma weiter, zuletzt zeichnete sie für die Krankenkassen-Abrechnungen verantwortlich. Anna Meister hatte es nicht mit Computern: "Aber sie konnte sehr gut rechnen. Das ging wie im Flug", schwärmt ihr Sohn heute noch.

Familientreffen im Konferenzsaal in der Otto-Hahn-Straße 11 in Dachau. Frage: Wann funktioniert ein Familienunternehmen? Die erste Antwort gibt Max Meister, 32 Jahre alt, verheiratet, vier Kinder: "Mein Vater hat Verantwortungsbereiche abgegeben." Als Max 19 Jahre alt war, durfte er einen kleinen Teil des Unternehmens neu strukturieren und erhielt dafür einen Etat von 30 000 Euro. Vor drei Jahren waren es drei Millionen für den Ausbau der Hallen in Dachau, dazu zwei Millionen Euro für ein vollautomatisches Logistiksystem einschließlich fahrbarer Roboter, die Waren aus dem riesigen Lager holen und für den Versand an die jeweiligen Fachhändler zuverlässig vorbereiten. Hinzu kamen die internen Kosten für die Software, die mit der IT-Abteilung von Ludwig Meister selbständig entwickelt wurde.

Max Meister und seine Schwester Elisabeth haben eine moderne Form des Handels eingeführt, die darauf abzielt, die Gesamtkosten zu reduzieren: Alle Bestellungen sind elektronisch möglich, das Unternehmen übernimmt den gesamten Handelsweg, wodurch die logistischen und finanziellen Aufwendungen des Partners sich enorm senken lassen. Max Meister spricht von den "echten Kosten, die entstehen, bis ein Produkt im jeweiligen Lager ist und auch wirklich zur Verfügung steht". Das ist schon die oftmals angekündigte Welt der Industrie 4.0: Die Informatik durchdringt die Wirtschaft von der Fertigung bis zur Logistik.

Wie aber erging es dem Seniorchef, der die Firma seines Vater zu den zehn besten des Handels mit technischen Produkten geführt hat, mit dem Vorgehen seiner Kinder? "Ich muss gestehen, ich war skeptisch", antwortet Peter Ludwig Meister. Jetzt sagt er: "Die Neuerung war der Durchbruch." Diese Investitionen von 5,35 Millionen Euro stellte sich als entscheidend für die Zukunft heraus. Denn sie dürfte die Existenz in einem hart umkämpften Sektor sichern helfen. Seine Entscheidung, die Jungen machen zu lassen, also Max als Diplomingenieur und Elisabeth - 35 Jahre alt, verheiratet ein Kind - als Betriebswirtschaftlerin, war die richtige? "Hundertprozentig", sagt er. Dass seine Kinder das Unternehmen weiter führen, war sowieso sein Traum: "Ich wüsste nicht, wie ich mich fühlen würde, wenn es sich nicht so ergeben hätte."

Vor ungefähr 30 Jahren hatte er eine ähnlich mutige Entscheidung getroffen. Er ist raus aus der Volkartstraße in München und in einen großen Neubau am Frankfurter Ring gezogen. Gleichzeitig hat er das Sortiment verändert, weg vom Autozubehör hin zu technischen Bereichen, in denen seine Fähigkeiten und sein Wissen als Maschinenbauingenieur gefragt waren. Schließlich folgte der noch größere Schritt nach Dachau, weil die Grundstückspreise in München Ende des 20. Jahrhunderts bei 1000 Mark pro Quadratmeter lagen. Dieser Entschluss fiel ihm schwer, obwohl er mit seiner Familie in der Karlsfelder Rothschwaige wohnte. Die Münchner Adresse zugunsten einer Dachauer aufzugeben, führte unter seinen Kunden vor allem im Ausland zu Diskussionen. Allerdings wich Meister dieser Herausforderung nicht aus. Der Blick aus seinem Büro geht in der Winterzeit, wenn die Bäume kahl sind, direkt auf den Appellplatz der KZ-Gedenkstätte. "Mich mit Dachau auseinanderzusetzen, war meine innere Entscheidung", sagt er.

Geschäftsführerin Elisabeth schaltet sich per Telefon aus dem Urlaub in Griechenland zu. Für ihren Vater ist sie die geschickte Verhandlerin im Team, "freundlich, aber bestimmt". Diese Qualifikation hat sie an die Spitze des Europäischen Verbands der Fachhändler für technische Produkte gehievt. Auf die Frage, was sie an dem Familienunternehmen schätzt, sagt sie: "Die Gesprächs- und die Vertrauenskultur innerhalb der Familie."

Fehlt noch die vierte, vermutlich maßgebliche Antwort auf die Frage, wie das Unternehmen erfolgreich sein konnte: Ulrike Meister hat bis zu ihrer Pensionierung vor einem halben Jahr die Personalabteilung der Firma geleitet, dazu drei Kinder aufgezogen - die älteste Tochter Alexandra arbeitet in die Filmbranche - und das Haus der Familie in Schuss gehalten. Sie sagt von sich: "Ich war keine perfekte Mutter, keine perfekte Personalchefin und keine perfekte Hausfrau. Aber insgesamt gelang mir ein Hauch von Perfektion." Und dann lüftet sie das Geheimnis ihres familiären Zusammenhalts: "Wir haben unsere Kinder nie zu etwas getrieben." Aber: "Klar ist es schön, dass es so ist, wie es ist." So wie auf der Fotografie, wenn sie vollständig zu sehen ist und nicht nur der Ausschnitt von Ulrike mit Peter Ludwig Meister in der Monografie zur Firmengeschichte. Lachend legt Elisabeth die Hand auf die Schulter ihrer Mutter, stolz blickt Max in die Kamera. Die beiden Männer rahmen die Frauen ein.

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