Westernstadt "Hot Gun Town":Erst Bürgerprotest, dann Brandstiftung

Westernstadt Grafrath

Die Westernstadt Grafrath: Anziehungspunkt für Familien - und Brandstifter.

(Foto: privat)

Vor 40 Jahren ging die umstrittene Westernstadt "Hot Gun Town" in Grafrath in Flammen auf. Es war nicht nur das Aus für eine kühne Idee, sondern auch der Ruin des Besitzers. Die Täter von damals wurden nie gefasst.

Von Manfred Amann

Am 10. Juli 1973 loderten an der Villenstraße Nord in Grafrath die Flammen. Gegner der noch jungen Westernstadt "Hot Gun Town" hatten in den Holzhütten so geschickt Feuer gelegt, dass den Feuerwehren die Löschwege versperrt waren. Der umstrittene Freizeitpark brannte völlig nieder; der oder die Brandstifter wurden nie gefasst. Den Betreiber Toni Lötschert trieb der Feuersturm jedoch in den Ruin, so dass es nicht nur mit der Grafrather Western-Romantik vorbei war, sondern auch mit dem beliebten Märchenwald nebenan. Lötschert, ein ehemaliger Rossschlächter aus Koblenz, hatte 1661 nördlich der Eisenbahnlinie auf einem 48 000 Quadratmeter großen Sumpfgelände einen Kinderpark errichtet, auf dem in 17 Häusern Szenen aus den Märchen der Gebrüder Grimm gezeigt wurden. Dazu gab es Spielplätze, eine Kindereisenbahn, man konnte Auto und Schifferl fahren und in einem Wildgehege scheue Tiere bewundern.

"Der Märchenwald war damals eine echte Attraktion und lockte jährlich Tausende Besucher an", erinnert sich Christel Hiltmann, die in Grafrath das Gemeindearchiv betreut. Die Bundesbahn habe damals sogar Sonderfahrkarten angeboten. Weil das Geschäft offenbar bestens lief, entwickelte Lötschert die Geschäftsidee, nebenan die erste Westernstadt Europas zu errichten. Schon 1966 hatte der Unternehmer trotz Widerstands der örtlichen Forstverwaltung von den Staatsforsten auf Weisung des damaligen Landwirtschaftsministers Alois Hundhammer für einen Pachtzins von jährlich 20 000 Mark etwa 14 000 Quadratmeter Erweiterungsgrund zugesprochen bekommen. Darauf ließ Lötschert insgesamt 19 Holzgebäude errichten, darunter den "Silver-Dollar-Salon", ein "Mexican Restaurant", das "Sheriff-Office" mit Gefängniszellen, eine Schmiede, einen "Western-Store", das Redaktionsgebäude der "Frontier News" und sogar eine kleine Kirche. Zur Eröffnung im Jahre 1971, zu der mehr als 1000 Ehrengäste geladen waren, kamen auch vier amerikanische Generäle. Der damalige Vize-Landrat Karl Huber lobte den Unternehmergeist des ehemaligen Metzgers, weil er mit der Westernstadt den Landkreis "um eine Einzigartigkeit bereichert" habe.

Doch mit der Eröffnung kamen auch die Probleme, denn erst jetzt erfuhr die Bevölkerung der umliegenden Gemeinden, was auf der Lichtung im Grafrather Wald nach und nach entstanden war. Wie den Archivalien zu entnehmen ist, formierte sich sehr rasch ein enormer Widerstand "gegen die Ballerei" in der Westernstadt, bei der gemäß Show-Programm täglich etliche Cowboys ihr Leben lassen mussten. Eine schnell zusammengetrommelte Bürgerwehr habe zunächst die stündlich veranstalteten Raubüberfälle aufs Korn genommen, schrieb damals das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Vor den Toren der Westernstadt wurden Flugblätter verteilt, in denen Besucher gewarnt wurden: "Hier lernen Kinder nichts als Morden". Die Aktivisten fanden auch bald heraus, dass es bei der Genehmigung der Westernstadt nicht ganz korrekt zugegangen war. Da das Waldstück, auf dem Lötschert Western-Romantik bieten wollte, zu keiner der angrenzenden Kommunen gehörte, hatte das Landratsamt Fürstenfeldbruck die Pläne offensichtlich in aller Stille ohne Beteiligung der Gemeinden genehmigt. Außerdem hatte es die Kreisbehörde versäumt, die Regierung von Oberbayern in das Genehmigungsverfahren einzubeziehen.

Die Gegner fühlten sich daher übergangen und organisierten Protestmärsche mit Transparenten, auf denen sie den Behörden vorwarfen, das Profitstreben Einzelner zu fördern und das Allgemeingut zu verschleudern. Der Spiegel zitierte den Sprecher der Bürgerinitiative Dietmar Stutzer damals mit den Worten, man solle "aus der Stadt der heißen Gewehre so schnell wie möglich eine Kinderstadt zu machen, zu der jeder freien Zugang hat". Archivarin Hiltmann hat noch klar vor Augen, dass beim einstigen "Schweigerwirt", wo sich die Demonstranten versammelten, "tagelang die Hölle los" war. Schon nach wenigen Tagen reagierten die Behörden auf den Volkszorn und verboten die Schießereien auf dem Gelände. Bis dahin hatten etwa 12 000 Besucher in Hot-Gun-Town die Wild-West-Show erlebt und Rindersteaks verzehrt oder Whiskey geschlürft. Doch den Widerständlern war es nicht genug, dass bei den Shows nicht mehr geschossen werden durfte, sie beschwerten sich über Lärmbelästigung, Verkehrsprobleme, Umweltverschmutzung und vieles mehr. Als die Besucher daraufhin ausblieben, kam Lötschert in Finanznöte, versuchte aber mit allen rechtlichen Mitteln, sein Projekt doch noch durchzubringen. Und er setzte sich durch. Doch genau am dem Tag, an dem die Westernstadt wieder eröffnet werden sollte, die wegen Verbesserung der Abwasserableitung kurze Zeit geschlossen war, schlugen im Morgengrauen die Brandstifter zu. Sie schütteten Öl in die Holzbuden und warfen brennende Fackeln hinein. "Die Täter müssen Profis gewesen sein", glaubt Hiltmann, die in ihrem Büchlein "Bahnhof Grafrath", das sie unlängst anlässlich der Bahnhofseröffnung vor 140 Jahren herausgegeben hat, die "Westernstory" in Erinnerung ruft. Die Brände seien so gelegt worden, dass die Wehren nicht an die extra angelegten Zisternen gekommen seien, schreibt die Archivarin. So habe die Feuerwehr nur noch den angrenzenden Wald schützen können.

"In den gigantischen Rauchschwaden, begleitet vom Klirren der berstenden Fensterscheiben, ging Hot Gun Town unter", titelte damals die Tageszeitung. Die Suche der Polizei konzentrierte sich in den Tagen danach unter anderem auf eine große Frau, die angeblich am Tatort gesehen worden war. "Doch die Polizei stieß auf eine Mauer des Schweigens", schreibt Hiltmann. Lötschert, der nun pleite war, meldete am 8. Februar 1974 frustriert sein Gewerbe ab und verließ die Region. Auch der Märchenwald wurde geschlossen.

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