Unterwegs mit einem Geistlichen:Seelsorge kennt keine Freizeit

Pfarrer Singer

"Von der Wiege bis zur Bahre" begleitet der evangelische Pfarrer Niclas Willam-Singer die Menschen in seiner Gemeinde.

(Foto: Günther Reger)

Seinen Arbeitsalltag nennt der Fürstenfeldbrucker evangelische Pfarrer Niclas Willam-Singer unumwunden einen "Knochenjob"

Von Linda Zahlhaas, Fürstenfeldbruck

"Ich verwandle dich in einen Hasen", sagt das kleine Mädchen und setzt Pfarrer Niclas Willam-Singer einen Hut auf. Die anderen im Stuhlkreis sitzenden Kinder lachen laut auf und beginnen gemeinsam das "Zaubererlied" zu singen. Für den Geistlichen bedeutet das, ein Mal um den Stuhlkreis wie ein Hase zu hoppeln. "Ein Pfarrer muss zum Anfassen sein. Darum bemühe ich mich", erzählt Willam-Singer. Seit elf Jahren ist er der Seelsorger der evangelischen Erlöserkirche Fürstenfeldbruck. Für ihn "eine Berufung", zu der das Mimen eines Hasen für den Kinderchor ebenso gehört wie Gottesdienste, Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten und Beerdigungen. "Ich begleite die Menschen von der Wiege bis zur Bahre. Durch all ihre Höhen und Tiefen, von Freud bis Leid", erklärt er. In den Karwochen und an Ostern, dem höchsten kirchlichen Fest, herrscht auch in seiner Kirche Hochbetrieb.

"Ostern und Weihnachten ist für viele Menschen die Zeit der Entscheidungen. Oft sind dann die eigenen Kinder nicht da und es heißt: Herr Pfarrer kann ich mit Ihnen reden? Natürlich können Sie, ist dann meine Antwort", erzählt Willam-Singer. Alleine dadurch sei Ostern einfach stressiger. Aber das alles habe seinen Platz, so Willam-Singer. "Ich arbeite zwischen 35 und 90 Stunden in der Woche. Der Vorteil an dem Beruf ist, dass relativ wenige Termine festgelegt sind und ich dadurch gut mit den Stunden jonglieren kann", erklärt er. Doch man müsse es als Pfarrer aushalten, dass man nie mit der Arbeit fertig sei. Das bedeutet für Willam-Singer auch, dass er zu jeder Zeit für seine Gemeindemitglieder erreichbar sein möchte: Anrufe auf dem Pfarrtelefon werden weitergeleitet auf sein privates Mobiltelefon. Donnerstag Früh habe er seine so genannte "Außensprechstunde". Ab 7.30 Uhr findet man den Herrn Pfarrer auf dem Fürstenfeldbrucker Wochenmarkt, wo er zum einen seine privaten Einkäufe erledigt, aber die Zeit auch nutzt, um mit den Menschen außerhalb der Kirche locker ins Gespräch zu kommen.

Vielleicht ist es genau das, was viele nach wie vor an dem Beruf des Pfarrers abschreckt. Klagt die katholische Kirche seit Jahren über Priestermangel, sieht es in den evangelischen Gemeinden kaum besser aus. Es habe sich herumgesprochen, dass man als Pfarrer nicht schlecht verdiene, erzählt Willam-Singer, dennoch bliebe der Beruf für viele ein Knochenjob ohne Freizeit. "Früher war man Pfarrer und hat privat nichts gemacht. Auch wenn sich das Pfarrerbild gewandelt hat, alleine die äußeren Umstände machen das Amt des Pfarrers immer mehr zu einem normalen Beruf", stellt Willam-Singer fest. "Die Zeiten sind vorbei, wo man sagt: Hier, ich habe die Kirchentür offen, kommt zu mir!".

Heutzutage muss auch die Kirche gezielt auf ihre unterschiedlichen Zielgruppen eingehen. Willam-Singer bietet seiner Gemeinde beispielsweise Gottesdienste für Motorrad- und Fahrradfahrer, verwaiste Eltern, zum Valentinstag und für Schüler. Neben der Seniorenarbeit ist es für Willam-Singer besonderes wichtig, auch die Kinder in der Gemeinde einzubeziehen. Schon vor 35 Jahren habe ihn auf einer Reise nach Cuba der auf eine Wand mit Graffiti gesprühte Satz "Die Kinder sind unsere Zukunft" sehr bewegt. Doch besonders der Kindergottesdienst sei in den vergangenen Jahren immer schlechter besucht worden. Für Willam-Singer ein Zeichen für nötige Umstrukturierungen: "Auch als Kirche muss man den Schritt gehen, ein sterbendes Projekt nicht weiter zu päppeln." Statt einem wöchentlichen Kindergottesdienst singen die Kinder jetzt jeden Freitagnachmittag im Chor zusammen. Der Schwerpunkt liege auf der Kirchenmusik, weil er wisse, dass man damit sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Kindern punkten könne.

Insgesamt ist Willam-Singer für sieben Liegenschaften zuständig. Doch das alles stemmt er natürlich nicht allein. Das fünfköpfige Team bestehend aus Kantorin, Mesnerin, Sekretärin, der Pfarrerin Sigrid Schott-Breit und dem Dekan Stefan Reimers unterstützen sich gegenseitig in ihrer Arbeit für die Evangelische Erlöserkirche Fürstenfeldbruck und die Versöhnungskirche Emmering. Das Team hat Willam-Singer dieses Jahr auch ermöglicht, während der Osterfeiertage von Gründonnerstag bis Karsamstag frei zunehmen. "Es ist das erste Mal seit 35 Jahren, dass ich an den heiligen Osterfeiertagen dienstfrei habe", erzählt er. In diesen drei Tagen reist er mit seiner Frau nach Berlin, um eine Kunstausstellung zu besuchen. Erst am Ostersonntag steht er wieder auf der Kanzel und hält um 9.30 Uhr den Familiengottesdienst.

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