Unternehmensgeschichte:Puchheimer Präzisionsgeräte für die Welt

Der ehemalige Stadtarchivar Werner Dreher hat die Geschichte des traditionsreichen Ertel-Werks veröffentlicht. Dessen optische Geräte waren von Sydney bis Sankt Petersburg gefragt

Von Peter Bierl, Puchheim

Dass Kommunalpolitiker großen Firmen den roten Teppich ausrollen, weil es um Steuereinnahmen und Arbeitsplätze geht, ist kein neues Phänomen. Das zeigt die Geschichte des Ertel-Werks in Puchheim, das einst optische Geräte in die ganze Welt exportierte. Der Journalist und ehemalige Stadtarchivar von Puchheim, Werner Dreher, hat Aufstieg und Fall dieses Betriebes in einer kleinen Broschüre publiziert. Er hat damit ein Stück regionaler Industriegeschichte gut recherchiert, anschaulich geschrieben und bebildert. Das Unternehmen ist auch ein Beispiel dafür, dass Globalisierung nichts Neues ist.

Im September 1956 schrieb der Firmenchef Carl Preyß an die Gemeinde, er wolle seinen Betrieb komplett aus München in ein Gebäude in der Gröbenzeller Straße 13 verlagern, das die Firma Hess-Musik genutzt hatte. Der Standort sei bestens geeignet, "da die dortige Lage ein staubfreies und erschütterungsfreies Aufstellen von Präzisionseinrichtungen möglich macht". Preyß stellte dem Bürgermeister in Aussicht, dass Puchheimer dort ein Auskommen finden könnten.

Ertel-Werk in Puchheim

Eine Aufnahme aus dem Jahr 1978 zeigt das Ertel-Gelände.

(Foto: Bayerischen Wirtschaftsarchiv)

Das einzige Problem sei der schlechte Zustand der Straße. Der nicht asphaltierte, ziemlich zerfurchte Weg sei für Kunden und Lieferanten unmöglich, seine Mitarbeiter würden eine Busverbindung brauchen. Bürgermeister Heinrich Müller versicherte in seiner Antwort, dass die Gemeinde den Ausbau der Straße "als eine ihrer vordringlichsten Aufgaben" ansehe.

Das Fabrikgebäude war 1949 für 100 bis 150 Mitarbeiter gebaut worden, um Musikinstrumente herzustellen und für den Handel mit Radios, Uhren und Rasierklingen. Die Firma Musik-Hess stammte aus Klingenthal in der DDR, der Besitzer war enteignet worden und wagte in Puchheim einen Neustart. Die Rezession von 1953 scheint das Unternehmen jedoch schwer getroffen zu haben. Dreher berichtet jedenfalls von Kurzarbeit und Stilllegung. Im Juli 1956 pachtete Preyß das Anwesen. Den Vertrag mit dem Besitzer Curt Glass unterschrieb er auf einer Hotelterrasse in Cannes.

Im Sommer 1957 war der Umzug nach Puchheim abgeschlossen, die Gemeinde ließ eine schöne Straße bauen und das Unternehmen florierte. Die Zahl der Beschäftigten wuchs bis 1963 von 70 auf 149 Personen. Das Ertel-Werk war damit der zweitgrößte Arbeitgeber am Ort, nach dem Dämmschutzwerk Reinhold & Mahla mit mehr als 300 Mitarbeitern.

Gegründet wurde das Unternehmen von dem Erfinder Georg von Reichenbach (1771-1826). Mit einem Vorschuss von 600 Gulden schuf er 1802 in München die erste Firma in Bayern, die geodätische Instrumente herstellte. Das Unternehmen produzierte damals die besten astronomischen Fernrohrobjektive, Messinstrumente und Theodolite. Josef von Fraunhofer lieferte Linsen, Prismen und andere Bauteile.

Ertel-Werk in Puchheim

Besonders die Theodolite der Firma Ertel waren früher begehrt.

(Foto: Stadtarchiv Puchheim/oh)

Reichenbach übertrug die Firmenanteile 1821 an Traugott Leberecht von Ertel, seinen Werkmeister aus Sachsen. Der baute das Geschäft aus. Der berühmte Mathematiker Carl Friedrich Gauß empfahl die Produkte, Sternwarten in Sydney und Sankt Petersburg bestellen Geräte. Dazu produzierte der Betrieb Draisinen, Strommesser, hydraulische Pressen, Feuerspritzen, angeblich auch Teile der ersten in München gefertigten Lokomotiven. Der Techniker August Diez kaufte den Betrieb 1890 und schaffte den Übergang zur industriellen Serienfertigung von einfachen Theodoliten und Nivelliergeräten.

Die Winkelmessinstrumente, die Theodolite, waren für die Artillerie unentbehrlich. Das Ertel-Werk war Kriegsgewinner. Im Ersten Weltkrieg expandierte das Unternehmen von 200 auf 600 Mitarbeiter. Während der NS-Zeit lieferte der Betrieb an die Wehrmacht und entwickelt unter anderem ein Richtgerät für Funkpeiler. 1944 brannte das Fabrikgebäude an der Barthstraße, Ecke Westendstraße in München nach einem Luftangriff völlig aus. Hinweise auf eine NS-Zugehörigkeit der Firmenbesitzer Walter und Carl Preyß oder die Beschäftigung von Zwangsarbeitern hat Dreher nicht gefunden. Das ist für einen kriegswichtigen Betrieb überraschend. Dreher führt es darauf zurück, dass die Arbeitskräfte allesamt eine hohe und spezielle Qualifikation haben mussten.

Photonics Puchheim

Bei der Vorstellung seiner Forschung präsentiert Werner Dreher (Mitte) Bürgermeister Seidl und Sonja Weinbuch von der Puchheimer Wirtschaftsförderung ein historisches Gerät.

(Foto: Günther Reger)

1951 ließ Preyß den Betrieb an einem neuen Standort an der Kugelmüller Straße in München wieder aufbauen. Die Theodolite waren in der Bauindustrie gefragt. In den Siebzigerjahren war die Firma Ertel in Puchheim erster und einziger Hersteller eines Vertikal-Laser-Instruments, das vollautomatisch arbeitete. Damit wurde unter anderem das AKW Gundremmingen vermessen. Trotzdem schrumpfte der Betrieb und musste 1984 Konkurs anmelden. Dreher sieht die Ursachen darin, dass die immer noch überwiegend handwerkliche Fertigung mit seriell hergestellten Geräten aus Japan nicht mehr konkurrieren konnte. Außerdem habe sich die Bundeswehr als wichtiger Abnehmer für Vermessungsgeräte abgemeldet. "Trotz überlegener Qualität hat das Ertel-Werk den Schritt zum Global-Player nicht geschafft", stellt Dreher fest.

Werner Dreher, Von Reichenbachs Werkstatt zum Ertel-Werk in Puchheim. Standortgeschichte eines ruhmreichen Unternehmens, 2016, herausgegeben von der Stadt Puchheim.

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