Umzug:Schutzheiliger bietet Petrus die Stirn

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Teilnehmer des Brucker Leonhardizugs lassen sich von schneidendem Wind und Regenwolken nicht beirren. Die Zuschauer bekommen prächtige Rösser, Reiter und historische Kutschen zu sehen - und Lokalprominenz, die schon mal kurzzeitig im falschen Gefährt landet

Von Viktoria Lackund Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Der stürmische Geselle, den der Wetterdienst auf den Namen Herwart getauft hat, ist am Samstag noch Zukunftsmusik. Doch der durchgebogene Fahnenmast vor der Leonhardskirche mit seinem gelb-weißen "Segel" und die in den Eingängen Schutz suchenden Zaungäste legen den Schluss nahe, dass an diesem Tag Daunenjacken die passende Ergänzung zu Trachtenjanker oder Dirndl sind. Da kommt den Protagonisten der Leonhardifahrt ihr dickes Fell zu Gute. Zierliche Shetlandponys, mächtige Friesen, Rappen, Schimmel und auch Ochsen lässt das Wetter kalt, sie ziehen ungerührt die prächtig geschmückten Kutschen durch die Stadt.

Vier Schimmel ziehen die Figur des Heiligen Leonhard, der als Schutzpatron der Tiere gilt und in Fürstenfeldbruck seit 1966 mit großen Festzügen gewürdigt wird. (Foto: Günther Reger)

So auch Esel Pepe aus Moorenweis, der 22 Lenze auf dem Buckel hat und in der Kreisstadt Stammgast bei dieser größten Brauchtumsveranstaltung jenseits des Volksfests ist. Pepe begnügt sich mit zwei gelben Blumen am Zaumzeug. Beeindruckter von dem, was Petrus den Bruckern an diesem Tag zugedacht hat, zeigt sich Militärdekan Alfons Hutter, der den erkrankten Stadtpfarrer Albert Bauernfeind vertritt. Bevor er die an ihm vorbeidefilierenden Rösser segnet, verkündet er beim Votivamt, als ihm eine Böe seine Unterlagen fortträgt: "Ohne Wind kann jeder, wir können aber auch mit Wind." Ein paar Meter weiter stellt sich der Zug auf, der in einer Schleife durch Bruck führen wird - von der Leonhardskirche zum Rathaus, über Pucher und Schöngeisinger Straße, bis zum Volksfestplatz. "Trinken wir später noch einen Glühwein?", fragt ein Mann im historischen Gewand seine Entourage, die neben den vier braunen Kaltblütern der Brauerei Kaltenberg und dem Truhenwagen mit der Aufschrift "Heiliger Leonhard, bitt für uns" steht. Brucks Polizeichef Walter Müller, der mit Frau und ziviler Daunenjacke gekommen ist, plauscht mit Oberbürgermeister Erich Raff. Müllers Stellvertreter Michael Fischer schiebt Dienst, trägt also Uniform. Normalerweise fotografiert Fischer leidenschaftlich Bergrennen und Rallyes. Heute sind es also viel weniger Pferdestärken, die sich aber auch viel schöner im Sucher präsentieren. Zwei berittene Polizisten führen den Zug dann auch an. Vorher müssen noch schnell die 17 Gäste vom Croix Rouge aus Brucks Partnerstadt Livry-Gargan ihren Wagen erklimmen. Die Stadträte Gabriele Fröhlich und Franz Neuhierl halten die Leiter. "So schöne Umzüge gibt es bei uns nicht", sagt Yvette Colson. Schon gar nicht in Syrien - und deshalb freut sich der 24-jährige Breakdancer Omar Kweder aus Damaskus ganz besonders, bei der Heimatgilde mitfahren zu dürfen.

Mitten drin statt nur dabei ist der überhaupt nicht störrische Esel Pepe aus Moorenweis, dem aus gegebenem Anlass Blumen ans Zaumzeug gesteckt wurden. (Foto: Günther Reger)

Unter den zahlreichen Passanten, die am Samstag die Straßen säumen, sind alle erdenklichen Nationalitäten vertreten. So wie die zwei Jahre alte Melissa aus Ghana, die auf den Schultern ihres Vaters Ibrahim Ago sitzt. "Sie mag Pferde", sagt der 29-Jährige, der aus Germering gekommen ist. In seinem Heimatland gibt es christliche Feste. Aber so was? "No", sagt Ibrahim. "It's really nice" - es ist wirklich schön. Melissa verfolgt derweil mit großen Augen, wie der Wind die platte rot-weiße Mütze des Mädchens vom Fanfarenzug Graf Toerring Gernlinden davonträgt, wie die Stadtkapellen-Klarinettisten trotz rot gefrorener Finger weiterspielen, wie der Kutscher des Feuerwehrwagens von 1926 es schafft, die Messingglocke zu schlagen und gleichzeitig das Handy nicht aus der Hand zu verlieren, wie der Engel des Isidori-Vereins Maisach die goldenen Pappflügel in den Wind hält, wie der stellvertretende Fliegerhorstchef Oberst Lutz Mühlhöfer die dicken Wolken unbeirrt durch die dunkle Sonnenbrille betrachtet und wie Willi Dräxler, der im grauen Tuch des Edigna-Vereins Puch gewandete Integrationsreferent des Stadtrats, fröhlich herüberwinkt. Dräxlers Kollegen haben sich zuvor vor der Sparkasse in die Kutschen sortiert. Schon klar, die Kutsche, die von den zehn Rappen und Schwarzbraunen aus Obergünzburg gezogen wird, ist für die Hohe Geistlichkeit, die Kulturreferentin Birgitta Klemenz und den Oberbürgermeister reserviert - und der Sechsspänner für die Landratsstellvertreter Martina Drechsler und Johann Wieser. Aber in den voranfahrenden Kutschen? Grünen-Stadt-, Kreis- und Bezirksrat Jan Halbauer steigt erst in eine mit rotem Samt ausgelegte Kutsche. Dann steigt er wieder aus und in die nächste. Die ist mit grünem Samt ausgelegt. Passt besser. CSU-Bezirkstagskollege Josef Loy mag das differenzierter sehen, er steigt aber dennoch zu. Politisches Neuland betreten Hans Schilling (CSU) und Alexa Zierl (parteifrei). Im Stadtrat sind sie manchmal wie Hund und Katz, im Truhenwagen der Marthabrauerei sitzen sie Schulter an Schulter. Ein paar Pferdelängen weiter bilden in der Postkutsche der Familie Weiß Markus Droth und Simone Görgen (beide CSU) eine große Koalition mit Irene Weinberg (BBV) und Philipp Heimerl (SPD).

Vor allem der Marktplatz ist gesäumt von zahlreichen Zuschauern. (Foto: Günther Reger)

So ist das: Der Heilige Leonhard ist immer gut für ein Wunder. Das will auch Schwester Agnes nicht bestreiten, die gemeinsam mit zwei Schwestern und vielen Bewohnern des Pflegeheims Theresianum gekommen ist. Die Leonhardifahrt ist ein Herzens-Pflichttermin für sie: "einfach schön". Er stehe dafür, dass die Tradition so etwas wie eine Renaissance erlebt.

© SZ vom 30.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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