Umstrukturierung:Ein Landkreis für Radfahrer

Eine bessere Infrastruktur soll Anreize dafür schaffen, nicht nur in der Freizeit, sondern auch im Alltag auf das Fahrrad umzusteigen. Dafür wird nun ein neues Wegekonzept erarbeitet

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Den Landkreis aus der Radfahrerperspektive neu denken und neu verstehen: Darum geht es den nicht ganz hundert Kommunalpolitikern, Planern und Bürgern, die sich am Donnerstagnachmittag im großen Sitzungssaal des Landratsamts versammeln. Sie wollen in den nächsten eineinhalb Jahren gemeinsam an einem neuen Radwegekonzept für den gesamten Landkreis arbeiten. Also ein Netzwerk an Verbindungen knüpfen, das alle 23 Kommunen primär für Alltags-, aber auch für Freizeitradler verbindet. Das alte Konzept aus dem Jahr 1993 ist nämlich Stückwerk geblieben - und es hat einen gravierenden Nachteil: Es orientiert sich einseitig am Radfahren als einem Freizeitvergnügen.

Das mit dem Freizeitradeln ist, zumindest aus verkehrspolitischer Sicht, inzwischen Schnee von gestern. Deshalb ist das neue Konzept letztlich nur ein Mittel zum Zweck. Das eigentliche Ziel besteht nämlich darin, das Alltagsradfahren nicht nur in den Kommunen, also innerorts, attraktiver zu machen, sondern die Bürger dazu zu bringen, das Fahrrad auch auf längeren Strecken von einer Gemeinde zur anderen zu nutzen. Beispielsweise auf dem Weg zur Arbeit oder bei Besorgungen. Dazu bedarf es jedoch einer eigenen Infrastruktur, zu der viel mehr gehört als nur Wege. Das sind Abstellplätze in ausreichender Zahl, Servicestationen mit Luftpumpen oder Ladestationen für E-Bikes, verkehrssichere Routen sowie gut ausgebaute Wege, auf denen Radfahrer gut und schnell vorankommen. Alle diese Dinge gibt es bereits, aber nicht in einem ausreichenden Maß.

Bei den Überlegungen, das Radfahren zu fördern, wie es im Leitbild für den Landkreis beschlossen und vorgegeben ist, schwingt durchaus etwas Idealismus mit. Aber nicht nur. Der andere Teil der Motivation ist der Einsicht in die Notwendigkeit geschuldet, attraktive Alternativen zum Auto bieten zu müssen, um den Verkehrskollaps im Ballungsraum des östlichen Landkreises zu verhindern und gleichzeitig den Klimawandel zu schaffen.

Dass das geht und keine Utopie ist, macht einer der Teilnehmer vor, allerdings ohne davon Aufhebens zu machen. Martin Schäfer (UWG), der Bürgermeister von Gröbenzell, ist bei winterlichem, nasskaltem Sauwetter die 14 Kilometer vom Gröbenzeller Rathaus zum Landratsamt geradelt. Das ist seiner Kleidung auch anzusehen. Die dunklen Dreckspritzer reichen von Schäfers Schuhen bis zum Kragen seines Trachtenjankers. Der Gröbenzeller widerlegt damit, was Landratsstellvertreter Johann Wieser (FW) einleitend ausführt. Das winterliche Wetter sei nicht gut zum Radeln geeignet, sagt der Jesenwanger, der sicher das warme Auto dem Fahrrad vorgezogen hat, aber man könne an einem solchen Wintertag zumindest gut übers Radeln diskutieren. Im Gegensatz hierzu macht Schäfer, der in Gröbenzell fast nur radelt, vor, dass das umweltfreundliche Vehikel durchaus schon jetzt und auch an einem Wintertag eine Alternative zum Auto ist. Schäfer verrät nicht, ob er auch diesmal sein weißes Transport-Fahrrad benutzt hat, in dem Fall hätte er noch die Amtspost aus seinem Rathaus ins Landratsamt mitnehmen können.

Da der Umstieg aufs Fahrrad und das Denken in Fahrradkriterien im Kopf beginnt, wissen die meisten der Anwesenden nicht so recht, was von ihnen erwartet wird. Mit einem neuen Radwegekonzept verbinden vor allem Politiker erst einmal den Bau von weiteren Radwegen. Solche Wege kosten vor allem viel Geld. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die für den Bau neuer Wege benötigten Grundstücke, wenn überhaupt, dann nur nach jahrelangen, schwierigen Verhandlungen zu bekommen sind.

Um solche Überlegungen geht es jedoch Andreas Ampßler vom Planungsbüro Topplan, das den Auftrag erhalten hat, das Konzept zu erstellen, gar nicht. Wichtiger ist es zum Auftakt, das teilweise chaotische Durcheinander zu ordnen und das Bewusstsein dafür zu wecken, was einen guten Radweg ausmacht. Weil der Diplom-Bauingenieur Ampßler der Qualität Vorrang vor der Quantität einräumt, wirbt er dafür, ungeeignete Radstrecken, aus dem Netz zu nehmen. Ein angeblicher Radweg über abgelegene, ungepflegte Feldwege, der mit einem normalen Fahrrad fast nicht mehr zu befahren ist, wird niemanden dazu bewegen, vom Auto aufs Zweirad umzusteigen. Zur Qualität gehört aber auch eine einheitliche klare Beschilderung, Das heißt, die Beschilderung der unterschiedlichen Radwegekategorien zu vereinheitlichen und den Bestand samt dem Zustand der Wege zu dokumentieren. Die Beschilderung ist teilweise chaotisch und verwirrend, weil es Fernradwege wie den Ammer-Amper- oder Isar-Lech-Radweg, Auszeichnungen für das Bayernnetz für Radler gibt sowie den Radring München oder Strecken des Nah-tourbandes der Bürgerstiftung für den Landkreis gibt.

Ampßler unterscheidet zwischen solchen Fern- und Themenrouten sowie dem Basis- oder Alltagsradnetz mit Nebenrouten und Anschlussbereichen. Ein Grund für das Schilderchaos ist laut Topplan auch der Umstand, dass der Erholungsflächenverein der Region eigene Schilder verwendet, die sich von der grünweißen Standardbeschilderung für Radwege unterscheidet. Als Grundlage für die weiteren Diskussionen präsentiert Ampßler einen Vorentwurf einer Radwegekarte des Landkreises mit allen bestehenden überörtlichen Radwegeverbindungen. Kommunen und Interessierte wie ADFC und Agenda-Gruppen haben nun bis Anfang Februar dazu Stellungnahmen abzugeben. Politiker und Bürger sind dazu aufgerufen, fehlende Verbindungen einzutragen und ungeeignete zu streichen. Beurteilungskriterien sind die Verkehrsbelastung und Verkehrssicherheit, die direkte Linienführung bei Alltagsradwegen, Gefahrenstellen, der Zustand der Wege und deren Breite sowie bei Freizeitradwegen deren Attraktivität.

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